SILVESTER I., Bischof von Rom, konsekriert 31. Januar 314, + 31. Dezember 335 in Rom, Heiliger. - Über sein Leben und Wirken ist nur wenig bekannt, es fehlt jeder schriftliche Nachlaß. In der diokletianischen Verfolgung bewährte er sich allem Anschein nach, wenn auch nicht unumstritten (Augustinus, de unico baptismo 16.27,30; vgl. ferner Konzil zu Rom 378, Mansi, Coll. conc. III 627), als Confessor und wurde Nachfolger des Bisch. Miltiades. Sein Pontifikat fällt vollständig in die Regierungszeit des Kaisers Konstantin, die dem Christentum die Integration in den römischen Staat brachte, wobei S. keine tragende Rolle gespielt hat. Ganz offensichtlich lag die religionspolitische Initiative beim Kaiser. Den großen Kirchenstreitigkeiten, die in seiner Amtszeit ihren Anfang hatten, stand S. keineswegs fern. Nachdem sich bereits 313 die Synode zu Rom unter Leitung des Miltiades um eine Klärung der donatistischen Streitigkeiten in Nordafrika bemüht hatte, berief der Kaiser zur erneuten Verhandlung die Synode zu Arles für den 1. August 314 ein. S. nahm an der Versammlung - nur wenige Monate nach Amtsantritt - nicht teil, sondern ließ sich durch zwei Presbyter und zwei Diakone (Mansi, Coll. conc. II 476) vertreten. Möglicherweise liegt hier der Beginn des späteren zeremoniösen Grundsatzes, der römische Bischof solle die Stätte der Apostel nicht verlassen. Die Synode unterrichtete ihn von den Beschlüssen, auch zum Ostertermin und zur Häretikertaufe, in einem besonderen Schreiben (Optatus von Mileve, App. 4), damit er sie bekanntgebe. Zum Konzil von Nikäa (325), dem er gleichfalls (Euseb vermutet Altersgründe, Vita Constantini III,7) fernblieb, entsandte er zwei seiner Presbyter; die Entscheidungen und die Glaubensformel hat er also nicht mitgestaltet. Von persönlichen Begegnungen mit Konstantin während der wenigen Romaufenthalte ist uns nichts überliefert. In der Stadt förderte der Kaiser jedoch Bau und Ausstattung von Kirchen in außerordentlichem Umfang. Als für die Zeit des S. gesichert dürfte die Errichtung der Lateranbasilika mit dem Baptisterium und der Peterskirche im Vatikan gelten. Älter ist dagegen die ihm zugeschriebene Gründung des von Papst Symmachus zu Anfang des 6. Jahrhunderts Silvester geweihten titulus Equitii (LibPont I, 170), der späteren Kirche S. Martino ai monti auf dem Esquilin. Vielleicht knüpft seine dort seit dem 5. Jahrhundert bezeugte Verehrung an eine frühere Priestertätigkeit an. Bestattet wurde Silvester neben Märtyrern in der Priscilla-Katakombe an der Via Salaria, die wohl seit dem 6. Jahrhundert seinen Namen trug. Die Grabstätte (ohne inschriftliche Spuren) hat De Rossi 1890 ausgegraben. Seine Überreste wurden unter Papst Paul I. 762 nach S. Silvestro in Capite überführt. S. gehört (wie Martin von Tours) zu den ersten nicht als Märtyrer, sondern als Confessores verehrten Heiligen. Zu großer historischer Bedeutung gelangte S. dagegen als Gestalt der Legende, die im Gefolge der Auseinandersetzungen um die Ausbildung des Papsttums in S. die Gegenfigur zum Kaiser schuf, indem sie ihn mit der Bekehrung Konstantins verband (nicht ohne zugleich Ersatz für seine Taufe durch den arianischen Bischof Euseb von Nikomedien zu finden): Der Kaiser habe als Heide zu Rom grausam die Christen verfolgt und sich, zur Strafe vom Aussatz befallen, nach einem Traumgesicht an den auf den Berg Soracte geflüchteten Papst S. gewandt und Heilung erlangt, als er sich von S. taufen ließ. Zum Dank habe er das Christentum privilegiert, Kirchen gestiftet und den römischen Bischof zum Oberhaupt der Geistlichkeit bestimmt. Diese in den Actus Silvestri wohl am Ende des 4. Jahrhunderts in Rom niedergelegte Legende fand in lateinischen, griechischen und orientalischen Fassungen große Verbreitung und ist sowohl in die Symmachianischen Apokryphen vom Ende des 5. Jahrhunderts (z.B. Constitutum Silvestri) als auch in den Liber Pontificalis eingegangen. Zu weitreichender Wirkung kam sie jedoch erst, nachdem sie in Rom im 8. Jahrhundert zur Abfassung des Constitutum Constantini als eines der in den Actus genannten Privilegien verwendet worden war. Darin überläßt der Kaiser dem Papst S. die Stadt Rom und Hoheitsrechte über den Westen des Reiches, während er seine Herrschaft in den Osten verlegt. Diese angebliche Konstantinische Schenkung, deren Gültigkeit und Echtheit immer wieder bestritten wurden, sollte während des gesamten Mittelalters der päpstlichen Partei zur Durchsetzung ihrer weltlichen Machtansprüche dienen und fortan das Bild Silvesters wie Konstantins prägen, bis sie im 15. Jahrhundert von Lorenzo Valla endgültig als Fälschung erwiesen wurde. In der bildlichen Kunst wird S. mit der Legende entnommenen Attributen und sie ausschmückenden Motiven dargestellt wie mit Buch und Tiara als vom Kaiser verliehenem Ehrenzeichen, mit dem wiederbelebten Stier und dem gebundenen Drachen, bei der Taufe Konstantins, bei der Beisetzung der Petrusreliquien und der Verehrung des von Helena, der Mutter des Kaisers, aufgefundenen Kreuzes.
Quellen: Boninus Mombritius, Sanctuarium seu Vitae Sanctorum, ND Parisiis 1910, II 508-531; LibPont I 170-201; Das Constitutum Constantini (Konstantinische Schenkung). Text, hrsg.v. Horst Fuhrmann, MGH Fontes iuris germanici antiqui X, Hannover 1968.
Lit.: Wilhelm Levison, Konstantinische Schenkung und Silvesterlegende, in: Miscellanea Francesco Ehrle II, Roma 1924 (Studi e Testi 38), 159-247 = in: ders., Aus rheinischer und fränkischer Frühzeit. Ausgewählte Aufsätze, Düsseldorf 1948, 390-465; - Hans Ulrich Instinsky, Bischofsstuhl und Kaiserthron, München 1955, 83-102; - Eugen Ewig, Das Bild Constantins des Großen in den ersten Jahrhunderten des abendländischen Mittelalters, HJ 75 (1956), 1-46 = Das byzantinische Herrscherbild, hrsg. v. Herbert Hunger, Darmstadt 1975 (WdF 341), 133-192 = Spätantikes und fränkisches Gallien I, Zürich/München 1976, 72-113; - Innocenzo Mazzini: Lettera del Concilio di Arles (314) a Papa Silvestro tradita dal Codex Parisinus Latinus 1711, Vigiliae Christianae 27 (1973), 282-300; - R. J. Loenertz, Actus Sylvestri. Genèse d'une légende, RHE 70 (1975), 426-439; - Klaus Martin Girardet, Konstantin d.Gr. und das Reichskonzil von Arles (314). Historisches Problem und methodologische Aspekte, in: Oecumenica et Patristica. Festschrift für Wilhelm Schneemelcher zum 75. Geburtstag, hrsg.v. Damaskinos Papandreou u.a., Stuttgart/Berlin/Köln 1989, 151-174; - Wilhelm Pohlkamp, Textfassungen, literarische Formen und geschichtliche Funktionen der römischen Silvesterakten, Francia 19/1 (1992), 115-196; -Duchesne, LibPont I CIX-CXX; CXXXIII-CXL; - Hefele-Leclercq I/1 275-280; - Caspar I, 113-130; - Fliche-Martin III, 37-39, 46-47; - Seppelt I, 75-85; - DACL XI/2 (1932), 1961-1962; XIII/1 (1937), 1197-1198; XV/1(1950), 1455-1458 (H. Leclercq; H.-I. Marrou); - DThC XIV/2 (1941), 2068-2075 (E.Amann); - EC XI (1953), 596-597 (A. Amore); - RGG VI (1962), 35 (F. Jürß); - LThK IX (1964), 757-758 (H.U. Instinsky); - BS XI (1968), 1077-1082 (A. Amore; Cl. Mocchegiani Carpano); - LCHI VIII (1976), 353-358 (J. Traeger); - HRG II (1978), 1110-1115 (A. Erler); - TRE VIII (1981), 196-202 (H. Fuhrmann).