True Detective: Der verschlossene Raum - TV-Kritik
Review zu Episode 1x03
Auch die neue Episode von True Detective räumt seinen Hauptfiguren - vor allem aber Rust Cohle (Matthew McConaughey) - wieder viel Zeit ein, damit diese ihre Sicht der Welt, der Menschen und der Dinge ausbreiten können. Gegen Ende von Der verschlossene Raum räsoniert Cohle, das Leben sei „a dream about being a person. Like a lot of dreams, there's a monster at the end of it.“ Besagtes Monster bleibt nicht lange sprichwörtlich. Wir sehen einen leichtbekleideten, schmutzigen Mann, der, mit Gasmaske auf dem Kopf und Machete bewaffnet, auf eine Art unterirdischen Bunker zusteuert. Es ist vermutlich Reggie Ledoux (Charles Halford), der nun ganz oben auf der Liste der möglichen Tatverdächtigen für den Mord an Dora Lang steht.
People incapable of guilt usually do have a good time
Der Cliffhanger beschließt eine Episode, die zum ersten Mal einen Weg findet, die langatmigen Ausflüge Cohles so geschickt mit der Geschichte zu verweben, dass ein organisches Gesamtbild entsteht. Dies beginnt schon bei der Auftaktszene, in der Martin Hart (Woody Harrelson) und Rust Cohle den Sermon des Predigers Joel Theriot (Shea Whigham) verfolgen, bei dem das Mordopfer Dora Lang Zuflucht gesucht hatte. Schnell entspinnt sich zwischen den beiden eine Debatte über die Notwendigkeit von Religion. Wenig überraschend vertritt Cohle die Ansicht, dass sich nur unaufgeklärte Menschen dem Glauben zuwendeten: „If the only thing that makes a person decent is the promise of divine reward, then that person is a piece of shit.“
Er begründet seine Ansichten mit dem Zitat wissenschaftlicher Studien und Theorien: „Certain linguistic anthropologists think that religion is a language virus that rewrites pathways in the brain, dulls critical thinking.“ Hart reagiert darauf zunächst verärgert - wie er es zuvor schon immer getan hatte -, findet dann jedoch einen Weg, um angemessen auf die misanthropischen Ausfälle Cohles zu reagieren: „For a guy who sees no point in existing you sure fret about it a lot.“ Es ist schön, zu sehen, dass Hart nach einigen Wochen gemeinsamer Arbeit einen Zugang zu Cohle gefunden hat, der es ihm ermöglicht, mit der Arroganz und der offensichtlichen intellektuellen Überlegenheit seines Ermittlungspartners umzugehen: „Not everybody wants to sit alone in an empty room, beating off to murder manuals.“
Überhaupt gibt die neue Episode mehr Informationen über Hart preis denn über Cohle. Wenngleich Cohle vordergründig als derjenige gezeichnet wird, der sich - vor allem im Jahre 2012 - völlig aus jedwedem Gesellschaftsvertrag verabschiedet hat, so erscheint Martin Hart nach dieser Episode als mindestens ebenso übergeschnappt. In zwei Szenen wird das Bild, das Hart von sich selbst zu zeichnen versucht, dekonstruiert. In der ersten kommt Hart nach Hause, um dort festzustellen, dass Cohle den Rasen vor seinem Haus gemäht hat. Cohle bezeichnet dies als Dankesgeste, Hart interpretiert jedoch viel mehr hinein: „I don't want you ever mowing my lawn. I like mowing my lawn.“ Es ist offensichtlich, dass Hart damit auch die Nähe Cohles zu seiner Ehefrau Maggie (Michelle Monaghan) meint.
Die zweite Szene zeigt noch deutlicher, dass Hart der unberechenbarere Teil des ungleichen Ermittlerpaares ist. Er und Maggie laden Rust zu einem Blind Date mit ihrer Freundin Jennifer (Bree Williamson) ein. Dort trifft Martin auf seine Affäre Lisa (Alexandra Daddario). Sie macht ihre Ankündigung aus der letzten Episode wahr und sucht sich gerade einen neuen potenziellen Partner. Diese Entdeckung versetzt Martin so sehr in Rage, dass er sich später bei Maggie entschuldigt, zu Lisa fährt und wutentbrannt anfängt, auf seinen Konkurrenten einzuprügeln.
Girls always know before boys
Maggie hat indes eine kleine Vorahnung, dass Martin seine ständige Einsatzbereitschaft bei der Polizei als Ausrede vorschiebt, um sich ebensolche Affäre erlauben zu können. Sie weiß, dass seine Polizeikumpels ihn bei Nachfrage decken würden. Also ruft sie den Einzigen an, zu dem sie echtes Vertrauen hat: Rust. Er antwortet zögerlich und sehr vage. Einerseits will er seinem Partner nicht in der Rücken fallen, andererseits möchte er Maggies Vertrauen nicht enttäuschen. Hier etabliert die Serie eine der interessantesten Konstellationen außerhalb der Mordermittlungen. Die Dynamik zwischen Maggie, Martin und Cohle ist eine wahre Fundgrube für zukünftige Konflikte.
Als Maggie ihren Ehemann mit ihren Verdächtigungen konfrontiert, gelingt es ihm, die eigene Verlorenheit überzeugend vorzuspielen: „I think I'm all fucked up.“ Harrelson spielt diese Szenen fantastisch, er schafft es, als Charakter gleichzeitig seine Serienehefrau zu besänftigen und einen Restzweifel beim Zuschauer zu hinterlassen: Sind seine Tränen nun echt oder gespielt? Sollte zweites zutreffen, wäre dies ein weiterer Beleg dafür, dass Martin der Schizophrenie tatsächlich näher steht als Cohle. Die ganze Episode ruft uns als Zuschauer in Erinnerung, dass hier nicht nur ein, sondern gleich zwei Hollywood-A-Lister die Hauptrollen spielen. Bisher wurde lediglich McConaughey mit Lobpreisungen überschüttet. Dies sei hiermit nun auch für Harrelson nachgeholt.
Die Beziehungskrise ist jedoch nicht das einzige Problem, das Ehepaar Hart zu überwinden hat. Bei der älteren Tochter wurden Zeichnungen von diversen Pärchen bei sexuellen Handlungen gefunden. Die Kleine erklärt sich damit, dass Freundinnen sie dazu angestiftet hätten. Daraufhin versuchen sie, ihrer Tochter näherzubringen, dass solche Zeichnungen sehr problematisch seien: „It makes something that should be nice ugly.“ Zusammen mit der von ihr nachgebildeten Sex- (oder gar Vergewaltigungs-)szene in Visionen ergeben die Zeichnungen ein bedenkliches Bild, das Maggie gemeinsam mit den Verdächtigungen gegen Martin an den Rand der Verzweiflung bringt: „I'm close, Marty.“
Während es für Hart im Privaten also alles andere als rund läuft, können er und Cohle einen kleinen Ermittlungserfolg feiern. Sie stehen kurz davor, durch die angekündigte Spezialermittlungsgruppe abgelöst zu werden, schaffen es jedoch, bei ihrem Chef Quesada (Kevin Dunn) noch etwas Zeit herauszuschlagen. Ihre Ermittlungen führen sie zu einem geistig Behinderten, der zur Kongregation des Zeltpredigers Theriot gehört. Der stammelt etwas davon, Dora Lang mit einem großen Mann mit Gesichtsnarbe gesehen zu haben.
Compassion is ethics
Der Hinweis führt jedoch ins Leere, weil der Verdächtige, den sie daraufhin vernehmen, nicht als Täter in Frage kommt. Während ihrer Ermittlungen taucht jedoch immer wieder der Name des einflussreichen Priesters Billy Tuttle auf, der in der Pilotepisode als Cousin des Gouverneurs von Louisiana eingeführt wurde. Außerdem wird wunderbar beiläufig aufgezeigt, wie die Bewunderung Harts für seinen Partner trotz dessen Überheblichkeit stetig wächst: „As arrogant as he could be, he was right.“
Cohle verdient sich schließlich seine Sporen, indem er schlaflose Überstunden im Polizeirevier verbringt, um vergleichbare alte Fälle zu finden - und damit seine These vom Serientäter zu stützen. Er wird fündig bei der Wasserleiche von Rianne Olivier, die in dem 300-Einwohner-Kaff Pelican Island zu Tode gekommen war. Weil diverse Rauschmittel in ihrem Blut gefunden wurden, stufte das zuständige Polizeidezernat den Fall als Unfall ab. Die gleichen Indizien sowie das Vorhandsein zahlreicher Schnittverletzungen veranlassen Cohle jedoch dazu, von einem Mord auszugehen. Weil auf dem Rücken der Toten zudem das gleiche Tattoo zu finden war, das auch den Rücken von Dora Lang zierte, kann dies als legitime neue Spur eingestuft werden.
Sie führt zu Reggie Ledoux, der mit Dora Langs Exfreund Charlie (Brad Carter) zwei Jahre lang eine Gefängniszelle teilte - ebenjenes „Monster“, das laut Cohle am Ende eines jeden Traums warte. Während der verwahrloste Cohle diese Worte im Jahre 2012 ausspricht, faltet er aus einer zerschnittenen Bierdose eine kleine Blechfigur: „World needs bad men. We keep the other bad men from the door.“