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Gab es jemals eine Fernsehserie, die so schonungslos mit den eigenen Charakteren umgegangen ist? Die so wenig Empathie für ihre Protagonisten und auch für ihre Zuschauer hatte? Gab es jemals eine, die an ihrem Ende alle Hoffnung hat fahren lassen? Die so konsequent und rücksichtslos ihre Geschichte erzählt hat? Dem Autor fällt nur das nicht wirklich vergleichbare The Wire ein. Der Mord an Andrea (Emily Rios) vor Jesse Pinkmans (Aaron Paul) Augen findet jedoch auch dort keine Entsprechung. Falls irgendjemand ein gutes Vergleichsbeispiel kennen sollte, bitte in den Kommentaren posten.
Besagter Mord ist der moralische Tiefpunkt einer Episode, die mit solchen Magenschlägen wahrlich gespickt ist. Jesses Befreiungsversuch, der Einbruch der Nazibande bei Skyler, Walters neues Eremitendasein, das Telefongespräch zwischen Walter und seinem Sohn und natürlich der mit größtmöglicher - weil beinahe lautloser - Grausamkeit inszenierte Mord an Andrea. Breaking Bad schert sich nicht um den Gefühlshaushalt seiner Zuschauer. In gewisser Weise spiegelt die Figur des Psychopathen Todd (Jesse Plemons) genau das wider, was die Serie für seine Zuschauer geworden ist: kalt, kompromisslos, konsequent.
Schwer zu sagen, ob Todds Charakterisierung als genial oder doch als „zu sehr das reine Böse repräsentierend“ bezeichnet werden soll. In Granite State bekommt er jedenfalls weitere, tiefdunkle Facetten verpasst. Durch Jesses Bekennervideo, das die Nazibande aus dem Haus von Familie Schrader entwendet hat, finden Onkel Jack (Michael Bowen) und Konsorten heraus, dass Todd den bislang als vermisst geltenden Drew Sharp (Samuel Webb) einfach erschossen hat. Während Jesse in der Videoaufnahme diese Geschichte erzählt, kann sich Todd ein Lächeln, ein diabolisches Grinsen nicht verkneifen. Was fühlt er in diesem Moment? Stolz, Genugtuung, Erhabenheit? Oder etwa Lust?
In der Geschichts- und Moralphilosophie gibt es den Begriff des „radikalen Bösen“. Dieser wurde von Immanuel Kant geprägt und später von Hannah Arendt aufgenommen. Beide legten den Begriff unterschiedlich aus. Während es Kant darum ging, eine Erklärung für die Ursache des Bösen zu finden, nutzte Arendt den Begriff, um eine Maximalform des Bösen zu definieren. Todd scheint eine solche „Maximalform“ zu verkörpern. Er hat keinerlei moralisches Empfinden. Arendt entwickelte den Begriff des „radikalen Bösen“ angesichts ihrer Erlebnisse beim Prozess gegen den Nazi Adolf Eichmann in Jerusalem zu einer neuen Vorstellung weiter: „Doch das wirklich Böse ist das, was bei uns sprachloses Entsetzen verursacht, wenn wir nichts anderes mehr sagen können als: Dies hätte nie geschehen dürfen“, schrieb sie in „Über das Böse“.
Mit sprachlosem Entsetzen sitzen wir Zuschauer also da und schauen zu, wie Todd Andrea mit den Worten „Just so you know: This isn't personal.“ hinterrücks erschießt. Jesse muss alles mit ansehen, es ist die Strafe für seinen Ausbruchsversuch und seine Weigerung, weiterhin Meth zu kochen. Ob es ein Zufall ist, dass es gerade Nazis sind, die in Breaking Bad die abscheulichsten Taten verrichten? Gegen diese Bande aus Soziopathen und Massenmördern verblassen die Taten von Walter White (Bryan Cranston) und Gus Fring (Giancarlo Esposito) jedenfalls regelrecht.
Ihr heimlicher, stiller und grausamer Anführer ist dabei längst nicht mehr Onkel Jack. Mit seinem zutiefst bösen Wesen hat Todd das Kommando übernommen. Er will weiter Meth kochen, um Lydia Rodarte-Quayle (Laura Fraser) für sich zu gewinnen. Gar nicht auszudenken, was mit ihr passiert, sollte sie seine Avancen abwehren.
Doch Todd geht mit zweierlei Maß vor. Während er Andrea ohne Reue niederschießt, verschont er Skyler White (Anna Gunn) und ihre Tochter. Lydia ist damit gar nicht einverstanden: „You're not Western Union, Todd.“ Will heißen: Es reicht bei weitem nicht, Skyler zu warnen und um Stillschweigen zu bitten. Die Gier lässt jedoch schließlich auch Lydia wieder jegliche „Vernunft“ vergessen. Als sie hört, dass Todd mit seinem neuen, unfreiwilligen Partner Jesse wieder blaues Meth auf Heisenberg-Niveau kocht - in einer Reinheit von 92 und später sogar 96 Prozent - lässt sie sich zur weiteren Kooperation überreden.
Wie schon an mehreren Stellen - im letzten Review und im Podcast - erwähnt, steht die Motivation der Charaktere hier auf wackligen Füßen. Onkel Jack spricht es sogar aus („We've won the lottery here“), lässt Todd dann aber doch gewähren, weil er einem - völlig utopischen - Zusammenkommen mit Lydia nicht im Wege stehen will: „What the hell? The heart wants what the heart wants.“ Aber irgendwie muss es ja noch zum endgültigen Showdown kommen, irgendwie müssen die Nazis ja noch ihrer gerechten Strafe zugeführt werden. Oder wird am Ende doch das „radikale Böse“ siegen? Nach dieser Episode muss man Breaking Bad auch das zutrauen.
Walter White fällt indes noch einmal tiefer als überhaupt für möglich gehalten. Nach seinem wohl endgültigen Abschied von Saul Goodman (Bob Odenkirk: „It's over“), der darauf hofft, mit seiner neuen Identität in Nebraska eine Karriere als Leiter einer Cinnabon-Filiale einzuschlagen, wird auch er in sein neues Zuhause verfrachtet. Den geschätzten Zweitagestrip in die verschneiten Berge des „Granite State“ New Hampshire darf er im leeren Tank eines ausrangierten Benzinlasters verbringen. Dort wartet eine einsame Berghütte auf ihn. Sein einziger Kontakt in die Außenwelt ist der namenlose Identitätsverschaffer (Robert Forster), der ihn im monatlichen Abstand mit Nahrungsmittel, Medizin und Zeitungen versorgt.
Autor Peter Gould zeigt dabei weder Empathie für seine Protagonisten noch für den Zuschauer. Walter White ist alleine, er wird einen einsamen Tod sterben. Seine Familie will nichts von ihm wissen, sein Geld ist wertlos geworden. Es dient ihm lediglich dazu, seinem letzten verbliebenen menschlichen Kontakt mit einer absurden Summe eine Stunde von dessen kostbarer Zeit abzukaufen. Walter ist zu einer dürren, mitleiderregenden Kreatur verkommen. Hier traut sich Breaking Bad etwas zu, was viele andere Dramaserien (wie The Sopranos) nicht wagen: die völlige Destruktion ihrer zentralen Charaktere. Die Serie formuliert hier ein eindeutiges Credo: Begibst du dich einmal auf diesen düsteren Pfad, wirst du ihn nie wieder verlassen.
Am Ende von Granite State, als Walter realisiert, dass er alles verloren hat, dass sogar sein eigener Sohn ihm den Tod wünscht, da scheint er aufzugeben. Er meldet sich bei der DEA, gibt sich als Walter White aus und legt den Hörer nicht auf, damit die Polizei seinen Anruf nachverfolgen kann. Doch in einem unerwarteten Moment packt ihn doch noch einmal sein Stolz, als er nämlich seine ehemaligen Geschäftspartner Elliott (Adam Godley) und Gretchen Schwartz (Jessica Hecht) in einer TV-Sendung sieht, in der sie versuchen, sich von jeglicher Mitwisserschaft am „Heisenberg“-Imperium reinzuwaschen.
Walter wird also nach Albuquerque zurückkehren, um seinem ewiggroßen Ego ein letztes Fanal zu gewähren, ein letztes Denkmal zu errichten. Sicherlich wird er sich dort auch den Nazis widmen, schließlich haben die sein ganzes Geld, die letzten Reste seines Imperiums. Ob er dabei Jesse befreien und sich damit einen kleinen Rest menschliche Würde bewahren wird?
Es wäre immerhin eine kleine Wiedergutmachung für diejenigen Zuschauer, denen die Ereignisse in dieser Episode doch etwas zu weit gingen. Die Hinrichtung Andreas ist kaum zu ertragen, vergleichbar höchstens mit der Szene, in der Preston „Bodie“ Broadus (J. D. Williams) in der Episode Final Grades von The Wire hinterrücks erschossen wird. Diese ist so herzlos inszeniert, wie es eigentlich nur eine quasidokumentarische Produktion kann. Der Schuss kaum hörbar, keine letzten Worte, kein Betteln, kein Flehen. Nur eiskaltes Töten.
Walter und besonders Jesse bekommen in dieser Episode die volle Härte der Konsequenzen ihrer Aktionen zu spüren, ohne jegliche Rücksicht. Vor allem Jesses Leidensgeschichte ist beinahe unerträglich. Beinahe gelingt ihm die Flucht, hätte er seinen Versuch in die Nachtstunden verlegt, wäre sie ihm möglicherweise geglückt. Jesse ist und bleibt Todds Arbeitssklave, ihn ereilt in der Serie das schlimmste Schicksal, denn - an diesem Punkt angekommen - wäre er lieber tot als lebendig. Doch ein Druckmittel haben Todd und Konsorten noch: „Remember, there's still a kid.“
Die Grundkonstruktion von Breaking Bad findet mit dem Mord an Andrea ihre Vollendung. Dieser ist so grausam, so gewissenlos, so brutal dargestellt, dass eine schlimmere Wendung kaum noch vorstellbar ist (dass Vince Gilligan sich als Autor der letzten Episode an Brock vergreifen würde, darf stark bezweifelt werden). Die Hinrichtung geschieht aus den niedersten Motiven, sie ist das „radikale Böse“. Sie hinterlässt nur Hoffnungslosigkeit, Wut, Trauer und Entsetzen. Breaking Bad ist die vielleicht dunkelste Serie der Fernsehgeschichte.
Verfasser: Axel Schmitt am Montag, 23. September 2013Darsteller | Rolle | |
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Bryan Cranston | …………… | Walter White |
Anna Gunn | …………… | Skyler White |
Aaron Paul | …………… | Jesse Pinkman |
Dean Norris | …………… | Hank Schrader (credit only) |
Betsy Brandt | …………… | Marie Schrader |
RJ Mitte | …………… | Walter White, Jr. |
Bob Odenkirk | …………… | Saul Goodman |
Laura Fraser | …………… | Lydia Rodarte-Quayle |
Jesse Plemons | …………… | Todd |
Emily Rios | …………… | Andrea Cantillo |
Michael Bowen | …………… | Uncle Jack |
Kevin Rankin | …………… | Kenny |
Adam Godley | …………… | Elliott Schwartz |
Jessica Hecht | …………… | Gretchen Schwartz |
Carmen Serano | …………… | Carmen Molina |
Brennan Brown | …………… | AUSA |
Eric Price | …………… | Public Defender |
Robert Forster | …………… | Ed |
Todd Terry | …………… | SAC Ramey |
Patrick Sane | …………… | Frankie |
Tait Fletcher | …………… | Lester |
Matthew T. Metzler | …………… | Matt |
Joe Nemmers | …………… | DEA Agent Scott |
Aaron Wright | …………… | Deputy #1 |
Dave Premazon | …………… | Deputy #2 (as Dave Priemazon) |
Julianne Flores | …………… | Waitress |
William R. Stafford | …………… | Government Lawyer (as William Stafford) |
Deborah Martinez | …………… | School Office Worker |
Kurt Soderstrom | …………… | Bartender |
Leslie O'Carroll | …………… | Barfly |
Charlie Rose | …………… | Charlie Rose |
Simon Drobik | …………… | New Hampshire Officer |
Moira Bryg MacDonald | …………… | Holly White |
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