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Die Serien von Mike Flanagan sind immer dann am besten, wenn sie Gothic-Literatur mit Familiendrama zusammenbringen. Das war die Erfolgsformel bei The Haunting of Hill House (2018) und bei Midnight Mass (2021). Bei The Midnight Club, Flanagans jüngstem Netflix-Original, das vor fast genau einem Jahr erschien, fehlte was von dem, was sich bewährt hatte. Doch nun meldet sich der Horrorfürst - zu dessen Bewunderern auch Genrekönige wie Stephen King und William Friedkin zählen oder zählten - mit dem Achtteiler The Fall of the House of Usher (zu Deutsch: „Der Untergang des Hauses Usher“) womöglich besser denn je zurück.
Inspiriert wurde die Miniserie von verschiedenen Werken des Schriftstellers Edgar Allan Poe. Der Titel der einstündigen Auftaktepisode, Mitternacht, von Gram umschattet, ist ein Zitat aus Poes vielleicht berühmtesten Gedicht, „Der Rabe“. Flanagan schrieb bei fast allen Folgen am Drehbuch mit und führte auch Regie. Und wie üblich hat er wieder sein Stamm-Ensemble zum Großteil vor die Kamera gekriegt.
Das wären zum einen Carla Gugino, Henry Thomas, Rahul Kohli, T'Nia Miller, Samantha Sloyan, Ruth Codd, Annabeth Gish, Sauriyan Sapkota, Zach Gilford und natürlich Flanagans Frau Kate Siegel. Neu dabei sind derweil Mary McDonnell (Battlestar Galactica), Carl Lumbly („M.A.N.T.I.S.“), Mark Hamill („Star Wars: Die letzten Jedi“) sowie Bruce Greenwood (The Resident), der bekanntlich den wegen Fehlverhaltens gefeuerten Frank Langella in der zentralen Patriarchenrolle ersetzt hat.
Die Zwillinge Roderick (Greenwood) und Madeline Usher (McDonnell) haben mit dubiosen Mitteln und vereinten Kräften ein Milliarden-Imperium errichtet: den Pharmariesen Fortunato. Ihre Erb:innen wurden streng erzogen, um dem Familiennamen keine Schande zu machen. Roderick hat sechs Kinder von fünf verschiedenen Müttern: den schleimigen Erstgeborenen Frederick (Thomas), die spitzzüngige PR-Fachfrau Camille (Siegel), Möchtegern-Thronerbin Tamerlane (Sloyan), Wissenschaftlerin Victorine (Miller), Partylöwe Napoleon (Kohli) und das naive Nesthäkchen Prospero (Sapkota).
Die Sprösslinge genießen das Leben in Saus und Braus, versuchen aber auch, sich mit mehr oder weniger vorhandenem Talent im Unternehmen einzubringen. Die oberste Währung für Kinder, denen es finanziell nie an was gemangelt hat, ist der Respekt vom Vater (und in dem Fall auch der Tante). Untereinander bekämpfen sich die ungleichen Geschwister, was vom Patriarchen implizit gutgeheißen wird. Denn Kampfgeist und Härte sind wohl notwendig, um erfolgreich zu sein.
Wer die Parallelen zur vielfach preisgekrönten HBO-Serie Succession da noch nicht erkennt, wird spätestens durch den Original-Score der Newton Brothers darauf hingedeutet, der zweifelsohne angelehnt an das klassische Roy-Theme erscheint...
Richtig schief hängt der Haussegen erst, als der Staatsanwalt C. Auguste Dupin (Lumbly), der die Ushers seit Jahren für ihre schmutzigen Geschäfte mit der Gesundheit Amerikas drankriegen will - die Familie steht dabei stellvertretend für den realen Sackler-Clan rund um Purdue Pharma -, vor Gericht die Bombe platzen lässt, dass er einen geheimen Informanten aus dem innersten Zirkel hat. Arthur Pym (Hamill), der seltsame Anwalt und Mann für alles von Roderick und Madeline, schreckt erst jetzt hoch. Vorher hatte er siegesgewiss während der Verhandlung Kreuzworträtsel gelöst.
Noch am selben Abend wird ein Abendessen/Krisentreffen einberufen. Roderick und Madeline lassen alle Kinder, Partner und Enkel strengste Verschwiegenheitserklärungen unterzeichnen und setzen sogar ein Kopfgeld von 50 Millionen Dollar auf die Ratte aus. Die Dinnerszene, an der auch Rodericks junge Gattin Juno (Codd) teilnimmt, ist sicherlich der Höhepunkt der ersten Episode, weil so köstlich die dysfunktionale Familiendynamik vorgeführt wird. Und auch hier fühlt man sich an „Succession“ und konkret an die „Boar-on-the-Floor“-Episode Hunting erinnert.
Allerdings eskaliert die Lage bei The Fall of the House of Usher deutlich drastischer: Da wir es mit einer Horrorserie zu tun haben, sterben tatsächlich binnen weniger Tage alle sechs Kinder von Roderick. Bei ihrer Beerdigung sieht er sie als Geister - genauso wie eine mysteriöse Frau aus seiner Vergangenheit, gespielt von Gugino. Später lädt er seinen Widersacher Dupin ein, um bei einem Tropfen des teuersten Schnaps der Welt ein umfassendes Geständnis abzulegen. Los geht die Geschichte natürlich schon in seiner Kindheit und mit seiner und Madelines Mutter Eliza (Gish)...
Mike Flanagan legt mit seiner neuen Netflix-Miniserie „House of Usher“ einen nahezu perfekten Auftakt hin. Uns wird ein großartiges und auch ziemlich großes Ensemble vorgestellt, bei dem wir dennoch überraschend schnell einen Überblick kriegen. Die Schauspielveteranen Bruce Greenwood, Mary McDonnell, Carl Lumbly, Mark Hamill und Carla Gugino verleihen der Usher-Familie und ihrem Umfeld eine enorme Gravitas. Dass die Serie The Midnight Club letztes Jahr nicht so gut ankam, dürfte auch daran gelegen haben, dass der Cast zu jung und blass war.
Der anmutige Soundtrack, in dem auch Beethovens schwermütige „7. Sinfonie“ durchklingt, und das stimmungsvolle Setdesign tun ein Übriges für die Atmosphäre. Die größte Stärke liegt wie auch bei früheren Flanagan-Werken nicht in billigen Schreckmomenten, sondern im tief verstörenden Familiendrama. Und dabei schafft der Serienmacher es immer wieder, die Beziehungsgeflechte durch Humor zu entladen, wobei trotzdem keine Spannung verloren geht.
Spannend aufgebaut wird aber auch die Frage, was genau sich die Ushers - allen voran Roderick und Madeline - überhaupt zuschulden haben kommen lassen. Der Flashback in die Silvesternacht 1980 mit Gugino als mysteriöse Bardame und Zach Gilford als jungem Roderick deutet eine Art Teufelspakt ein, der nun mit dem Tod der Kinder beglichen werden muss. Auch steckt die Serie natürlich voller Anspielungen auf das Œuvre von Edgar Allan Poe.
Als einzigen Schwachpunkt kann man vielleicht den Rückblick in die Kindheit von Roderick und Madeline anführen. Die Szene ist nicht ganz so gut gespielt und hätte erst später in der Staffel kommen können. Davon abgesehen ist an der ersten Episode gar nichts auszusetzen. Wir haben richtig Lust auf den Rest der Miniserie - viereinhalb von fünf kohlschwarzen Raben!
Hier abschließend der aktuelle Trailer zur nun neu an den Start gegangenen Netflix-Miniserie „The Fall of the House of Usher“:
Darsteller | Rolle | |
---|---|---|
Carla Gugino | …………… | Verna |
Bruce Greenwood | …………… | Roderick Usher |
Mary McDonnell | …………… | Madeline Usher |
Henry Thomas | …………… | Frederick Usher |
Kate Siegel | …………… | Camille L'Espanaye |
Rahul Kohli | …………… | Napoleon Usher |
Samantha Sloyan | …………… | Tamerlane Usher |
T'Nia Miller | …………… | Victorine LaFourcade |
Zach Gilford | …………… | Young Roderick Usher |
Malcolm Goodwin | …………… | |
Willa Fitzgerald | …………… | Young Madeline Usher |
Michael Trucco | …………… | Rufus Griswold |
Katie Parker | …………… | Annabel Lee |
Sauriyan Sapkota | …………… | Prospero 'Perry' Usher |
Matt Biedel | …………… | William 'Bill-T' Wilson |
Crystal Balint | …………… | Morella Usher |
Ruth Codd | …………… | Juno Usher |
Kyliegh Curran | …………… | Lenore |
Carl Lumbly | …………… | C. Auguste Dupin |
Mark Hamill | …………… | Arthur Pym |
Sarah-Jane Redmond | …………… | Longfellow's Wife |
Mark Redfield | …………… | Preacher |
Jason Tremblay | …………… | Dupin's Legal Aid |
Nicholas Lea | …………… | Judge John Neal |
Graham Verchere | …………… | Younger Roderick |
Paul Jarrett | …………… | Doctor Donaldson |
Kate Whiddington | …………… | Tiny Madeline |
Lincoln Russo | …………… | Tiny Roderick |
Gus Tayari | …………… | Butler |
Aya Furukawa | …………… | Tina |
Annabeth Gish | …………… | Eliza |
Daniel Jun | …………… | Julius |
Robert Longstreet | …………… | William Longfellow |
Britney Katelyn Miller | …………… | Young Woman at Leo's |
Paola Nunez | …………… | Doctor Alessandra Ruiz |
Igby Rigney | …………… | Toby |
Lulu Wilson | …………… | Younger Madeline |
Gus Khosrowkhani | …………… | Butler |
JayR Tinaco | …………… | |
Peter Brown | …………… | Fortunato Employee |
Sabrina Miniaci | …………… | Young Woman 1979 |
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