Bestellt, gebaut und nicht abgeholt. So steht da ein Wärmetauscher seit Januar im Werk der Firma Zilonis in Siegen. Zwei übereinanderliegende Rohre mit Technik sind das, acht Meter lang, zweieinhalb Meter hoch, ein Meter breit und 20 Tonnen schwer. Das Ding sollte eigentlich schon in der Türkei sein, verbaut auf der Baustelle für ein neues Kraftwerk. Doch Zilonis darf nicht liefern.
„Wir haben alles richtig gemacht und wissen nicht, warum die Ausfuhrbescheinigung nicht erteilt wird“, sagt am Telefon Musa Smakaj, geschäftsführender Gesellschafter des Mittelständlers aus Müschenbach in Rheinland-Pfalz. Seit Wochen schlägt Smakaj sich mit dem Fall herum, redet mit Anwälten, telefoniert, schreibt E-Mails. Erst an den Zoll, dann ans Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) und schließlich ans Bundeswirtschaftsministerium. Der Sachbearbeiter im Ministerium habe ihm gesagt: „Keine Ahnung, wann ich dazu komme, ich habe auch andere Dinge zu tun.“
Was nach einem Einzelfall klingt, ist keine Seltenheit. Wegen des Krieges in der Ukraine und der Sanktionen gegen den Aggressor Russland schauen die Ausfuhrbehörden bei Exporten aktuell ganz genau hin. Schließlich gelangen über türkische Zwischenhändler immer wieder Produkte nach Russland, wo sie teils für militärische Zwecke eingesetzt werden. Auch Smakaj weiß das: Vor eineinhalb Jahren verbot die Bafa ihm, einen Wärmetauscher in eine türkische Papierfabrik zu liefern, weil der Händler nachweislich weiter nach Russland liefert. Smakaj verstand das damals. Diesmal ist er ratlos.
Die Bearbeitungszeiten sind zu lang, mitunter dauert es ein Jahr, bis die Firmen Bescheid bekommen
Doch es geht um mehr als nur einen Mittelständler, der viel Geld verlieren könnte. Es geht auch um die Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit des Handelspartners Deutschland. Denn während Ausfuhranträge wochenlang bei deutschen Behörden herumliegen, warten Kunden im Ausland auf ihre zugesagten Produkte. Und fragen sich, was in Deutschland eigentlich los ist.
„Lange Genehmigungsprozesse und Komplexitäten prägen das Geschäftsleben der deutschen Außenwirtschaft der vergangenen Jahre“, sagt auch Volker Treier, Außenwirtschaftschef der Deutschen Industrie- und Handelskammer DIHK. Zwar hätten sich Ministerium und Bafa bemüht, die Prozesse zu verschlanken. Die Bearbeitungszeiten seien aber immer noch zu lang. Mitunter dauerten sie ein Jahr. „Das ist für die Unternehmen sehr belastend und erschwert massiv unsere Stellung im internationalen Handel“, klagt Treier.
Auch der schwäbische Maschinenbauer Trumpf hatte massive Probleme mit Ausfuhrgenehmigungen. Die offenen Positionen rund um den Export von Lasergeräten, so klagte Vorstandschefin Nicola Leibinger-Kammüller im Oktober 2023, hätten sich auf 85 Millionen Euro gesteigert. Grund sei die mangelnde Unterstützung durch das Wirtschaftsministerium. Inzwischen seien Ministerium und Bafa schneller geworden, sagt ein Firmensprecher, Trumpf habe keine Probleme mehr mit den Genehmigungen. Aber: Exporte nach China dauerten immer noch lange, Trumpf müsse in Einzelfällen beim Bafa oder im Ministerium nachhaken und Druck machen, um seine Liefertermine zu halten.
Besonders kritisch: Dual-Use-Güter, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können
Zilonis dagegen wartet und wartet. Das Bundeswirtschaftsministerium verweist auf Anfrage auf Engpässe beim Bafa. Zwar bemühten sich die Behörden um eine rasche Abwicklung. Es gebe aber Einzelfälle, in denen auch das Ausfuhramt eine vertiefte Prüfung für nötig halte. Dies sei der Fall, „wenn die Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland berührt sind, oder der Bundesregierung sicherheitssensible Informationen zu Beteiligten oder zu der Situation im Empfängerland vorliegen“, erklärt ein Sprecher.
Und das wiederum könnte dann doch etwas mit dem Produkt zu tun haben. Denn bestimmte Wärmetauscher, so heißt es im Ministerium, seien in der Dual-Use-Verordnung der EU gelistet, Positionen 0A001i und 2B350d. Das liege daran, dass sie auch in Zusammenhang mit chemischen und nuklearen Waffen genutzt werden können. „Ausfuhren dieser Wärmetauscher erfordern daher grundsätzlich einer Ausfuhrgenehmigung“, erklärt das Ministerium. Die Bandbreite dieser Dual-Use-Güter ist groß. Kugellager, die in Panzern eingebaut werden. Mikrochips, die Hightech-Waffen steuern. Laser für die Chipherstellung. Werkzeugmaschinen für die Waffenproduktion. Auch über China laufen viele solcher Exporte nach Russland.
Die 330 000 Euro für den Auftrag fehlen dem Mittelständler auf dem Konto
Gleichzeitig seien die Ressourcen des Bafa „stark gefordert“, schon wegen der vielen EU-Sanktionen gegen Russland und Belarus. Mittlerweile sind vier Maßnahmenpakete in Kraft getreten, um die Verfahren zu beschleunigen, das letzte vor gut drei Monaten. Nur die Causa Zilonis haben sie nicht beschleunigt.
Der Liefertermin im Januar ist längst verstrichen. Zilonis muss deshalb eine Vertragsstrafe zahlen, die seine Marge auffrisst. Geld verdient die Firma mit dem Gerät also nicht mehr. Und die 330 000 Euro für einen der größten Einzelaufträge seiner Geschichte fehlen Zilonis auf dem Konto. „Wir spüren das massiv und haben Angst vor finanziellen Verlusten. Das ist eine Situation, mit der man sehr schlecht umgehen kann“, sagt Smakaj.
Und der Druck wächst. Wenn Zilonis nicht bis Ende März liefere, verzögere sich das Projekt weiter, sagt ihm sein Kunde Enka Insaat, der größte Bauunternehmer der Türkei und Energieversorger. Von 2026 an muss er die Region Thrakien mit Strom beliefern, dazu hat er sich verpflichtet. Er macht Zilonis in einer E-Mail Druck: Der Wärmetauscher sei ein kritisches Bauteil. „Wir haben zwar volles Verständnis für die behördlichen Verfahren, aber der verlängerte Zeitrahmen gefährdet unseren Projektplan.“ Bislang habe es bei keinem anderen Produkt ähnliche Verzögerungen gegeben. Und Enka Insaat ordert oft in Deutschland.
Selbst auf der Baustelle für das neue Kraftwerk finde man Produkte aus Deutschland. Smakaj hat sich selbst ein Bild gemacht, als er Mitte März hingeflogen ist. Er schickt Bilder: Auf einem sieht man das Logo der niedersächsischen Firma Funke, die auch Wärmetauscher herstellt. Auf einem anderen einen Kasten von Siemens Energy. Sonst Fotos von neuen Gebäuden, Rohren und Stromleitungen, ein Selfie zeigt Smakaj vor einem Mast. Die Turbinen sind installiert, sagt er am Telefon. Auch das Fundament und die Zuleitungen für seinen Wärmetauscher sind fertig – nur sein Wärmetauscher fehlt.
Dabei hat Smakaj schriftlich, dass der Wärmetauscher Brenngas vorwärmen soll und sonst nichts: ein „End-Use-Zertifikat“. Haarklein habe seine Firma die Vorschriften verfolgt, sagt er. „Was sollen wir noch tun?“ Niemand habe ihm die Gründe für die Blockade erklärt. Nicht mal Mandy Pastohr. Die Bafa-Präsidentin hatte ihn angerufen, nachdem er sie öffentlich auf der Plattform Linkedin kritisiert hatte. Sie zeigte Verständnis, nannte aber keine Gründe und schon gar keine Lösung. Wenn er nicht liefern dürfe, sagt Smakaj, müsse er zumindest wissen, warum. Um es beim nächsten Mal besser zu machen. Anfang März hat er mit seinen Anwälten einen Antrag auf einstweilige Anordnung gestellt, damit sein Ausfuhrantrag bearbeitet wird.
230 000 Wärmetauscher von Zilonis sind laut Firmenangaben rund um den Globus installiert, in Lebensmittelfabriken, Kraftwerken und Chemiestätten in fast jedem Land der Welt, auch in der Türkei. 80 Prozent seiner Produkte gehen ins Ausland. Wenn der Export weiter stockt, sei das für Zilonis existenzbedrohend, sagt Smakaj. Er fragt sich, wie es weitergehen soll mit dem Export im einstigen Exportweltmeisterland. „Müssen wir jetzt generell sagen: Türkei geht nicht mehr? Ist das zu riskant?“
Und natürlich fragt er sich, bei wem Enka Insaat wohl beim nächsten Mal bestellen wird, um auch im Zeitplan beliefert zu werden. Wärmetauscher gibt es woanders auf der Welt schließlich auch. Nicht nur in Siegen, wo einer davon immer noch auf den Lkw wartet, der ihn endlich in die Türkei schafft.