Vom „Forscher und Heiler“ bis zum „hilflosen Chaoten“
und „Interessenvertreter“ – das Spektrum der Arztrollen
im Fernsehen ist groß.
Rund drei Viertel der Bevölkerung setzen den Arztberuf an die Spitze der von ihnen am meisten geschätzten und geachteten Berufe, weit vor den Pfarrer (38 Prozent), den Hochschulprofessor (33 Prozent) und den Rechtsanwalt (31 Prozent). Das Prestige des Arztberufes ist somit nach wie vor überaus hoch, auch wenn sich statistisch in West- und Ostdeutschland ein Ansehensverlust nachweisen lässt. (Zum Vergleich: 1966 führte der Arztberuf mit 84 Prozent bei den Westdeutschen. [1]) Auch der ärztlichen Kompetenz wird weitgehend vertraut. Allerdings haben Umfragen des Instituts für Demoskopie Allensbach (2) ergeben, dass die Patienten starke Defizite im zwischenmenschlichen Bereich sehen und zum Beispiel kritisieren, dass die Ärzte sich zu wenig Zeit nehmen, oft nur die Symptome behandeln und die „Seele“ dabei vernachlässigen.
Die Medien spielen eine wichtige Rolle bei der Darstellung von Gesundheitsfragen und bieten den Ärzten eine breite Präsentationsplattform sowohl im Informations- als auch im Unterhaltungsbereich: Das Spektrum reicht von nonfiktionalen Informations-/Infotainmentsendungen (Gesundheits- und Boulevardmagazinen, Reportagen, Reality-Formaten) bis hin zu Spielfilmen und Fernsehserien im fiktionalen Bereich. Entsprechend vielfältig ist auch das Arztbild, das in den Medien vermittelt wird: Im fiktionalen Bereich dominiert immer noch der Arzt als „Übermensch“ und „guter Samariter“, auch wenn dieses Stereotyp in jüngster Zeit häufiger gebrochen wird.
Im nonfiktionalen Bereich tritt der Arzt einerseits als „Forscher und Heiler“ auf, wenn er in Medizin- und Ratgebersendungen wie „Ratgeber Gesundheit“ (ARD), „Visite“ (NDR) oder „Die Sprechstunde“ (Bayerischer Rundfunk) neue Medizintechniken und Heilmethoden vorstellt oder sich in der Forschung engagiert. Informations- und Aufklärungssendungen dieser Art sind beliebt und erzielen Einschaltquoten von bis zu zwölf Prozent.
Andererseits ist der Arzt auch als „Interessenvertreter“ und „Geldverdiener“ präsent, der sich in Nachrichtensendungen und Politmagazinen zu gesundheitspolitischen Themen äußert und in Reportagen zum Beispiel wegen Fehldiagnosen, Behandlungsfehlern und Abrechnungsbetrugs kritisiert wird. Immerhin nehmen Gesundheitsthemen in allgemeinen Magazinen und Talkshows einen Anteil von rund 15 Prozent ein (3).
Idealisierung
„Götter in Weiß oder Menschen wie du und ich?“ Unter diesem Titel präsentierte Constanze Rossmann, Ludwig-Maximilians-Universität München, zwei Studien, die den Einfluss des Fernsehens auf das Arztbild in der Öffentlichkeit untersuchen (4). Bisherige Studien kamen nach Rossmann zu widersprüchlichen Ergebnissen: „Die einen bestätigten eine starke Idealisierung zum ,Halbgott in Weiß‘, die anderen stellen fest, dass Fernsehärzte und ihr Verhalten durchaus problematisiert werden. In Bezug auf die potenzielle Wirkung postulieren beide Gruppen Negatives: Die Wunderheiler wecken zu hohe Erwartungen an die Medizin und stiften aufgrund divergierender Realitätserfahrungen Unzufriedenheit und Frustration, während eine negative Darstellung der Ärzteschaft das Vertrauen in die Medizin von vornherein untergräbt.“ Die Münchner Studien basieren auf dem „Kultivierungsansatz“ aus der Kommunikationswissenschaft, wonach Menschen einen Großteil ihrer Erfahrungen aus der Fernsehwelt ziehen und ihre Realität aus den medial vermittelten Botschaften rekonstruieren. Das Fernsehen beeinflusst dabei als „sekundäre Sozialisationsinstanz“ langfristig die Weltbilder, Normen und Werte. Menschen, die viel fernsehen, nehmen daher möglicherweise die Realität eher so wahr, wie sie im Fernsehen dargestellt wird, wohingegen Wenigseher die Realität besser einschätzen können.
Die inhaltliche Analyse von Arzt- und Krankenhausserien ergab, dass die Ärzte darin idealisiert und stereotypisiert dargestellt werden. So gibt es deutlich mehr ledige und kinderlose Fernsehärzte als in der Realität. Im Hinblick auf Professionalitäts- und Persönlichkeitsmerkmale waren die Mediziner fachlich stets kompetent, verhielten sich ethisch korrekt, einfühlsam, freundlich, selbstsicher und gelassen und waren zudem attraktiv. Während das Privatleben in Gesprächen eine große Rolle spielt, werden Aspekte wie Finanznot, Arbeitsbelastung und Schweigepflicht selten thematisiert. Um den Einfluss dieser verzerrten Fernsehwelt zu untersuchen, wurden 157 Patienten eines Krankenhauses kurz nach ihrer Aufnahme und kurz vor der Entlassung zu ihrer Einschätzung und Bewertung von Krankenhausärzten und medizinischem Personal sowie zu ihrem Konsum von Krankenhausserien befragt.
Das Ergebnis: Die Serien-Vielseher bewerteten die Ärzte am Anfang ihres Krankenhausaufenthaltes positiver. Erwartungsgemäß korrigierten sie ihre Bewertung am Ende des Aufenhalts nach unten und bewerteten das medizinische Personal im Vergleich zum ersten Messzeitpunkt negativer. Patienten, die wenig Krankenhausserien sahen, bewerteten am Ende ihres Krankenhausaufenthalts das medizinische Personal im Vergleich zum ersten Messpunkt positiver. Im Vergleich zu Wenigsehern aber bewerteten die Vielseher Ärzte grundsätzlich positiver (siehe „Dr. Stefan Frank hätte sich mehr Zeit genommen . . .“).
Tendenziell kritischer
Die zweite Studie untersuchte den Einfluss von nonfiktionalen Sendungen auf die Realitätswahrnehmung und das Arztbild der Zuschauer. Grundsätzlich dominieren in dieser Sparte – im Unterschied zur Geschlechts- und Altersverteilung in der Realität – männliche ältere Ärzte, die als Experten Kompetenz und Erfahrung ausstrahlen sollen. Hier ist das Ergebnis bei den untersuchten Genres jedoch nicht so eindeutig: Vor allem Reality-Formate, wie zum Beispiel „Notruf“ (RTL), und Gesundheitsmagazine vermitteln zwar überwiegend ein idealisiertes Arztbild. Hingegen betrachten Boulevard- und Lifestyle-Magazine sowie Reportagen die Ärzte tendenziell kritischer. Dies wird auch in der Einschätzung der Patienten sichtbar: So glauben etwa Rezipienten von Boulevardmagazinen und Reportagen eher, dass ungeheilte Krankheiten auf Fehler des Arztes zurückgehen. Dennoch bewerten auch hier die Vielseher von Boulevardmagazinen Ärzte grundsätzlich positiver als Personen, die keine medizinischen Fernsehsendungen rezipieren. Rossmann vermutet daher, „dass der Einfluss einer negativen Darstellung im Fernsehen insgesamt deshalb weniger durchschlägt, weil mehr Genres ein positives Bild liefern“. Darüber hinaus seien kritische Stimmen – einhergehend mit den jüngsten Entwicklungen im Gesundheitswesen – möglicherweise auch erst in den letzten Jahren laut geworden.
Für den Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. phil. Wolfgang Donsbach ist die Analyse der Medienberichterstattung über Ärzte zwar bisher noch ein „weißer Fleck auf der Forschungslandkarte“ (1). Auf der Grundlage von Daten, die das Medienforschungsinstitut „Medien Tenor“ veröffentlicht hat, resümiert er jedoch: „Wenn Ärzte in Nachrichten und Kommentaren in den Print- und Fernsehmedien vorkamen, dann geschah dies ganz überwiegend ohne eindeutige Wertung. Allerdings gab es in den Jahren 1999, 2000 und 2001 jeweils deutlich mehr negative als positive Bewertungen von Ärzten in den Medien.“ Zwar sind diese Daten nur begrenzt aussagefähig, weil die Berichterstattung unter anderem von aktuellen Themen und Ereignissen der Gesundheitsreform abhängt. Aber: „Man darf auf einen längerfristigen Trend in den nächsten Jahren gespannt sein.“
Auch das Arztbild im fiktionalen Bereich ist längst nicht mehr ungetrübt. Das „Sauerbruch-Syndrom“ der früheren Arzt- und Krankenhausserien, eine von charismatischen Arztpersönlichkeiten geprägte medizinische Welt zu zeigen, hat seit den 90er-Jahren zunehmend an Anziehungskraft verloren. Die in Deutschland vorherrschende Tradition, den Arztfilm mit Elementen des Heimatfilms zu verbinden – als Prototyp hierfür steht die „Schwarzwaldklinik“ –, erscheint nicht mehr zeitgemäß und spricht überwiegend den weiblichen Teil der Generation ab 60 Jahren an. So ist das Zuschauerinteresse an Familien- und Arztserien in den letzten Jahren – im Unterschied zu den meisten anderen Sparten – deutlich gesunken (5): 1997 gaben noch 20 Prozent der Befragten an, dass sie Familien- und Arztserien „sehr gern“ sehen; 2002 sind dies nur noch 14,5 Prozent, darunter fünfmal so viel weibliche wie männliche Zuschauer. Das Meinungsforschungsinstitut Allensbach führt den Abwärtstrend vor allem auf einen Interessenwandel in Ostdeutschland zurück. Dort lagen diese Sendungen in der Publikumsgunst noch bis vor wenigen Jahren weit höher als im Westen, was sich rapide geändert hat (Grafik, [6]).
Parallel zum Zuschauerschwund ist seit Mitte der 90er-Jahre eine Auffrischung des Genres zu beobachten. Neue Elemente kommen vor allem durch das Reality-TV und durch dokumentarische Einflüsse hinzu. Diese sollen ein jüngeres (auch männliches), Action und Spannung bevorzugendes Publikum ansprechen, das an medizinischen Behandlungsmethoden und moderner Technik interessiert ist. Ein weiterer Trend sind Arzt-Comedys, wie die kürzlich gestartete Krankenhausserie „Scrubs – Die Anfänger“ (Pro 7), in der drei junge Ärzte in ihrem ersten Klinikjahr auftreten und statt als Halbgötter in Weiß eher als „hilflose Chaoten in Blau-Grün“ agieren.
Neuere Serienproduktionen orientieren sich darüber hinaus häufig an US-amerikanischen Vorbildern. Stilbildend war hier die Krankenhausserie „Emergency Room“ – ER (Pro 7, 1994). Sie basiert auf dem 1970 erschienenen Buch „Five Cases“ von Michael Crichton, in dem der Schriftsteller seine Erfahrungen als Assistenzarzt verarbeitet hat. Die Serie zeigt in extremer zeitlicher Raffung dramatische Ereignisse aus 24 Stunden in einer Notaufnahmestation in Chicago. Die Ärzte sind nicht überhöht, sondern realistisch gezeichnet. Sie machen auch Fehler und haben menschliche Schwächen. Ebenso glaubwürdig werden Krankheitsbilder und Patienten dargestellt. Die Mischung aus Melodram und „Reality Show“ war international sehr erfolgreich und hat sich zur „Kultserie“ entwickelt. Inzwischen gibt es Begleitbücher und mehrere Fan-Websites zur Serie (8). In Deutschland macht die Krankenhausserie „Alphateam“ stilistische Anleihen bei ER.
Stärker in der Kritik
Es zeichnet sich ab, dass das immer noch überaus hohe Ansehen des Arztberufs in der Bevölkerung allmählich weiter sinken wird. Die Ambivalenz der vermittelten Arztbilder im Fernsehen trägt mit dazu bei. Darüber hinaus ist mit dem Internet ein neues Massenmedium verfügbar, das durch die wachsende Menge an Gesundheitsinformation das Informationsmonopol der Ärzte infrage stellt und den Patienten als „eigenverantwortlichen Experten in eigener Sache“ stärkt. Es scheint die Beziehung von Arzt und Patient nachhaltig zu beeinflussen und auch alte Rollenklischees zu verändern. So ergab eine Befragung von Nutzern eines Internet-Patienteninformationsangebots, dass knapp 15 Prozent der Nutzer ihre Einstellung zum Thema oder auch zu ihren behandelnden Ärzten durch die Online-Information geändert haben. Hierfür standen Aussagen wie „Ich glaube nicht alles, was mein Arzt sagt“, „Ich bin kritischer geworden“ und „Ich werde mir einen anderen Arzt suchen“ (3). Prof. Brinkmann hätte bei diesen Patienten wohl kein leichtes Spiel mehr. Heike E. Krüger-Brand