Blindspot 1x19

So schnell kann es gehen - nur eine Woche nach einer der schwächsten Episoden der ersten Staffel von Blindspot liefert die Serie ihre stärkste ab. Neben der spannenden Inszenierung gibt es dafür vor allem einen Grund: Die Episodengeschichte hätte sich in der Realität genau so ereignen können. Sie ist angelehnt an den Skandal um Jerry Sandusky, einen Footballtrainer an der Pennsylvania State University. Der sexuelle Missbrauch zog damals freilich keinen Amoklauf nach sich.

My boy

Weil dies aber angesichts der omnipräsenten Verfügbarkeit von Waffen in den USA durchaus hätte passieren können, bekommt das Format eine dringend benötigte Action-Injektion. Das Team steht in In the Comet of Us nicht vor der unrealistischen Aufgabe, innerhalb kürzester Zeit einen Kunstraub durchzuführen oder eine undurchdringliche Firewall zu hacken oder einen Terroranschlag mit chemischen Waffen zu unterbinden, sondern muss zwei wildgewordene Schützen in einem Schulgebäude davon abhalten, weitere Opfer zu fordern.

Die Attentäter bleiben dabei sogar keine gesichtslosen Wahnsinnigen, sondern bekommen eine zutiefst menschliche Motivation zugestanden - was ihr Vorgehen natürlich in keinster Weise entschuldigt. Sowohl Levi Hart (Charles Brice) wie auch sein Komplize wurden als Schüler vom Trainer des Footballteams sexuell missbraucht. Um das zu vertuschen, wurden sie mit umfassenden Universitätstipendien zum Stillschweigen gebracht. Involviert war also nicht nur Coach Jones (Brian O'Neill), sondern die gesamte universitäre Führungsriege.

Weil die beiden es aber nicht länger ausgehalten haben, mit diesem seelischen Ballast zu leben, entlädt sich ihre angestaute Wut nun in einem Amoklauf. Dieser wird aus den Perspektiven der FBI-Agenten Weller (Sullivan Stapleton), Zapata (Audrey Esparza), Reade (Rob Brown) und Jane (Jaimie Alexander) erzählt. Zusätzliche Informationen erhalten wir durch Rückblenden an die Zeit unmittelbar vor den Anschlag, die die Agenten mit der Aushandlung ihrer persönlichen Probleme verbringen. Auch wenn es nicht immer gelingt, so ist doch der Versuch löblich, den Fall der Woche mit der Charakterzeichnung zu verweben.

Dabei erfahren wir nicht in jedem Handlungsbogen Neues. Reade zum Beispiel darf sich lediglich bei seinem Schneider über verflossene Liebe ausheulen, um schließlich eine Fliege empfohlen zu bekommen. Jedoch ist es ein Ohrring, der ihm das Leben rettet. Weller durchlebt indes einen weiteren Moment der Versöhnung mit seinem schwerkranken Vater (Jay O. Sanders), bevor er Levi mit einem gezielten Kopfschuss den Garaus macht. Angesichts der zuvor gemachten Erklärungen Levis ließ mich dieser Moment ebenso schockiert zurück wie Reade.

Died a long time ago

Zapata hat unterdessen eingesehen, dass sie die Hilfe einer Selbsthilfegruppe braucht, um ihre Spielsucht loszuwerden. Zu Beginn weigert sie sich noch, ihre Probleme öffentlich mitzuteilen, bekommt aber wenigstens einen Hinweis auf die Lösung des für die Episodengeschichte entscheidenden Tattoos. Allerdings hätte wohl jeder, der sich auch nur ein bisschen mit dem Sport auskennt, gleich darauf kommen können, dass hier Footballergebnisse gemeint sind. Nach den turbulenten Erlebnissen bringt Zapata jedenfalls die Kraft auf, sich der Gruppe zu öffnen, wobei wir erfahren, dass ihr früherer Partner vor ihren Augen erschossen wurde und sie sich hernach ins Glücksspiel flüchtete.

In ihrer Rückblende muss Jane entsetzt feststellen, dass Oscar (Francois Arnaud) nach einem weiteren Tete-a-Tete den beruflichen Kontakt zu ihr abbrechen will, was auch eine private Trennung nach sich ziehen würde. Erst am Ende bekommen wir dafür eine Erklärung: Oscar verfolgt - wenig verwunderlich - eine eigene Agenda, die offensichtlich von dem abweicht, was er Jane die ganze Zeit erzählt hat. Genaueres wissen wir dazu nicht - außer, dass es irgendetwas mit der Leiche des ehemaligen CIA-Agenten Carter zu tun hat. Ein bisschen ist Oscar jedoch auch in Jane verliebt, denn ihr gelingt es mit einem herzergreifenden Appell, ihn bei sich zu behalten. Sein namenloser Partner ist darüber gar nicht erfreut.

Ebensowenig erfreut ist Mayfair (Marianne Jean-Baptiste), als sie erfährt, dass alles, was ihre von den Toten auferstandene Exfreundin Sophia (Sarita Choudhury) von ihr will, schnöder Mammon ist. Sie übergibt ihr gesamtes Erspartes und erbittet sich, sämtliche weitere Treffen zu unterlassen, was natürlich unter keinen Umständen geschehen wird. Solche fesselnden Episoden wie In the Comet of Us dürfen hingegen bald wieder geschehen - am liebsten schon nächste Woche. Wer hätte gedacht, dass es genügt, eine halbwegs realistische Geschichte mit plausibler Charakterzeichnung und mitreißender Inszenierung zu drapieren, um eine gute Actionserie auf die Beine zu stellen? Nur wir alle.

Auf der nächsten Seite findet Ihr den Trailer zur nächsten Episode und die Auflösung des Anagramms im Episodentitel.

Trailer zu Episode 1x20: 'Swift Hardhearted Stone'