Chris Harms
"Es ist, als äße man die ganze Woche Nudeln und dann mal was Süßes."

Interview

CHRIS HARMS hat mit „1980“ sein erstes Soloalbum veröffentlicht. Darauf erwartet seine Fans kein LORD OF THE LOST 2.0, sondern eine Hommage an den Synthie Pop der 1980er-Jahre. Dass das so gewollt war, verrät uns der vielbeschäftigte Musiker im Interview. Zudem unterhalten wir uns über die Wahl des Genres und über das Älterwerden, denn „1980“ ist neben dem Albumtitel auch Harms Geburtsjahr.

Moin Chris, wir sprechen heute mal nicht über LORD OF THE LOST!

Das stimmt. Ich finde das lustig, weil ich so viele Interviews mit Metalmagazinen über ein Album führe, das keine einzige Gitarre hat. „1980“ ist vermutlich das erste Album dieser Art auf Napalm Records.

Auf dem ehemaligen Sublabel Napalms Draenor Productions findet sich mit PENITENT mindestens ein Künstler ohne Gitarren.

Ach, witzig.

Warum ist jetzt der richtige Zeitpunkt für ein Soloalbum?

Der richtige Zeitpunkt war schon vor mehr als zehn Jahren, als ich das Gefühl hatte, solch ein Album machen zu wollen. Nicht, weil ich mich künstlerisch unfrei fühle, sondern weil ich etwas alleine machen wollte. Doch es ist wie beim Kinderkriegen: Es gibt keinen richtigen Zeitpunkt. Letztes Jahr im Urlaub ging ich den Plan für LORD OF THE LOST für die kommenden fünf Jahre durch und stellte fest, dass ich es entweder jetzt herausbringe oder frühestens Anfang 2027. Ich wollte nicht noch länger warten und habe gemerkt, dass die Vorbereitungszeit für einen Release im Frühjahr 2025 noch reicht und angefangen.

Es war lange geplant und spontan umgesetzt. Das ist schön, denn mit LORD OF THE LOST arbeiten wir gerade an einem Mammutprojekt mit 33 Songs. Da war ich im Sommer vergangenen Jahres schon so drin, dass es schön war, nebenher drei Monat Musik „als Hobby“ zu machen. Das war sehr befreiend.

Warum hast du Synthie Pop als Genre genommen?

Das war Zufall. Dadurch, dass ich keine Band um mich habe, gibt es keine Erwartungshaltung. Keiner fragt mich, wann ein zweites Album kommt und ich kann das Genre benutzen, auf das ich Bock habe. Das Projekt hat keinen Bandnamen, sondern heißt wie ich, was bedeutet, dass ich in zwei Jahren auch ein Liedermacher-Album auf Deutsch unter dem Namen CHRIS HARMS veröffentlichen kann.

Es hätte also auch Black Metal, Hardcore oder Hip Hop werden können?

Absolut, mein Musikgeschmack ist sehr divers, aber ich liebe diesen 80er-Sound. Man hätte es auch mit Gitarren mischen können, doch dann wäre es zu nah an LORD OF THE LOST gewesen. Ich bin nicht der beste Sänger der Welt, aber man hört meine Stimme ziemlich stark heraus, sodass dadurch eine Nähe zu LORD OF THE LOST da ist.

Chris Boltendahl von GRAVE DIGGER hat mit STEELHAMMER ein Soloprojekt, das musikalisch sehr nah an GRAVE DIGGER ist. Oder Chris Pohl mit SHE HATES EMOTIONS und BLUTENGEL. Ich verstehe, was du meinst.

Da würde mir die Spannung fehlen, denn das Spannende für mich ist, dass es was anderes ist. Es ist, als äße man die ganze Woche Nudeln und dann mal was Süßes. Für mich wäre der Unterschied zwischen Chris Pohls Projekten zu klein, als dass es als Seitenprojekt befriedigend wäre. Wir sind gute Freunde, er versteht das, das ist kein Seitenhieb. Ich würde mich über ein TERMINAL-CHOICE-Album mit harten Gitarren von Chris freuen.

Hast du „1980“ alleine aufgenommen und produziert oder sind andere Leute mit involviert?

Alles, was ich mache, ist Teamarbeit. Es macht mehr Spaß und die Qualität ist besser, wenn man mehr Ohren hat. Ich habe mit meinem Co-Producer Corvin Bahn zusammengearbeitet, der ein Synthesizer-Nerd ist. Das Team hinter dem Album ist ähnlich wie bei LORD OF THE LOST, nur das Bandkonstrukt fehlt.

Mein Credo war, nur Klangerzeuger oder Emulationen derer von 1980 bis 1989 zu verwenden. Durch diese Einschränkung sind wir kreativ geworden. Es ist wie in einem Supermarkt nur in einem Gang fünf Dinge einkaufen zu dürfen, die alle mit dem Buchstaben „B“ beginnen müssen.

Das Songwriting und Sounddesign vermischen sich bei dieser Art von Musik. Bei LORD OF THE LOST mache ich einen Song zu 100 Prozent im Kopf fertig und covere ihn dann für mich selber. Oder ich sitze klassisch an der Akustikklampfe oder am Klavier und erarbeite mir das Lied. Bei „1980“ habe ich mich von Sounds inspirieren lassen. Du hörst ein Preset, bist geflasht und baust darauf den Track auf.

Cover-Artwork zum Album "1980" von Chris Harms

1980 ist ja auch dein Geburtsjahr, das passt zum Konzept.

Ich mochte mein Geburtsjahr schon immer, weil es das Jahrzehnt beschreibt, das kulturell viel verändert hat. Schon vor zehn Jahren meinte ich, dass ich mal ein Album so nennen sollte und das ist hängengeblieben.

Man sagt, die Musik seiner Jugend bis volljährig wird ist die, die einen am meisten prägt. War das bei dir auch so?

Jein. Die Musik, die ich mir selbst aussuchte, begann erst Anfang der 90er. Da kam ROXETTE mit „Joyride“ und dann GUNS ‚N ROSES und NIRVANA. Das hat mich sehr geprägt. Die 80er habe ich erst in den 2000ern zur ersten Retro-Welle richtig entdeckt, denn in den 80ern habe ich die Musik meiner Eltern gehört und das waren 60er und 70er. Es war eher selten, dass das Radio zuhause lief. Daher habe ich damals von der Musik der 80er wenig mitbekommen.

Wieso hast du Sven Friedrich von SOLAR FAKE und Ronan Harris von VNV NATION als Featuregäste dabei?

Sven und ich lernten uns vor 17, 18 Jahren kennen, aber das erste Mal gehört habe ich ihn, als er „Twist In My Sobriety“ (TANITA TIKARAM) mit seiner alten Band THE DREADFUL SHADOWS gecovert hat. Ich hätte ihn schon für LORD OF THE LOST fragen können, aber ich mag es nicht, Features nur zum Namedropping anzufragen. Es gab bisher keinen LORD-OF-THE-LOST-Song, bei dem ich dachte, dass der Svens Gesang braucht. Als ich an „Madonna Of The Night“ arbeitete, sang ich da ein paar Wörter drauf, die phonetisch gut passten und hörte in meinem Kopf Svens Stimme.

Bei „The Grey Machines“ ging es mir ähnlich, denn das ist gefühlt ein halber VNV-NATION-Song. Mit Ronan tausche ich mich in den letzten Jahren viel über Studio-Nerd-Kram aus und dann habe ich ihn gefragt, ob er ein Lied mit mir machen möchte. Er hat sofort ja gesagt.

Planst du, mit „1980“ live zu spielen?

Ich habe Lust, aber ich plane es nicht. Ich bin jetzt schon doppelt so viel auf Tour wie ich möchte. Ich liebe die 100 Minuten auf der Bühne, aber das ganze Drumherum, insbesondere die Abwesenheit von zuhause ist nicht mein Ding. Ich bin keiner, der auf Tour aufblüht – das ist bei den Jungs aus meiner Band anders. Ich habe ein 13 Jahre altes Kind und der findet das noch nicht cool, wenn ich so viel weg bin. Das mag anders sein, wenn er 16, 17 ist, aber zu diesem Zeitpunkt plane ich nicht mit mehr Liveterminen. Ich mache eine Show auf dem M’Era Luna und das ist die erste und vielleicht auch letzte.

Machst du dir Gedanken übers Älterwerden?

Ich überlege mir bei gewissen Dingen, sie lieber bald zu machen als in fünf Jahren. Mit Mitte 20 kannst du Langzeitpläne machen und dir überlegen, in zehn Jahren in Südamerika zu spielen. Doch jetzt überlege ich mir, ob es sich lohnt, in zehn Jahren noch eine Karriere in Japan zu starten. Man konzentriert sich auf das, was einem am wichtigsten ist.

Ich mache mir keine Gedanken über meinen Lebensabend. Doch seit einem Jahr denke ich, dass mich bei aller Liebe für Hamburg Norddeutschland und sein Wetter nervt. Vielleicht könnte ich ihn zehn Jahren auf den Bahamas Leben und drei Mal im Jahr auf Tour nach Europa kommen. Oder will ich lieber nach Finnland und im ewigen Schnee alt werden? Ich spüre zum ersten Mal Fernweh, wobei ich nach einem halben Jahr vermutlich wieder zurück nach Hamburg möchte.

Zum Musik machen und Älterwerden habe ich seit den beiden Touren mit IRON MAIDEN ein sehr positives Verhältnis. Die sind zwischen Mitte 60 und Anfang 70 und turnen auf der Bühne rum wie Menschen Anfang 20. Die Bandchemie ist harmonisch, das ist wunderschön. Es gibt so viel, warum man diese Menschen idolisieren darf und das gibt mir ein positives Gefühl für meine musikalische Zukunft.

„She Called Me Diaval“ ist eine Nummer, die bei mir Fragen aufwirft. Wer oder was ist „Diaval“?

Viele kennen „Diaval“ als den menschengewordenen Raben aus den „Maleficent“-Filmen, aber die Person meine ich nicht. Ich träume oft komische Sachen, die ich in der Musik verarbeite. Manchmal behaupte ich auch, dass es ein Traum war, obwohl es etwas war, das mir wirklich passiert ist, aber ich nicht möchte, dass das jeder weiß. So ist es auf dem ganzen Album. Da ist viel autobiographisches bei, aber ich verklausuliere viel davon.

So locker die 80er-Musik ist, so traurig sind teils die Texte. Ich mag den Kontrast sehr gerne, aber man lässt dadurch Leute, die man nicht kennt zu nah an sich ran. Deshalb ist es schön, solche Dinge in Märchen zu verpacken. Bei „Diaval“ ist es eine doppelte Bindung, weil es eine Märchenfigur ist. Darum muss ich das leider offenlassen.

Danke dir für deine Zeit, Chris und viel Erfolg mit „1980“!

Quelle: Zoom-Call mit Chris Harms
09.02.2025

Redakteur für alle Genres, außer Grindcore, und zuständig für das Premieren-Ressort.

Interessante Alben finden

Auf der Suche nach neuer Mucke? Durchsuche unser Review-Archiv mit aktuell 37551 Reviews und lass Dich inspirieren!

Nach Wertung filtern ▼︎
Punkten
Nach Genres filtern ►︎
  • Black Metal
  • Death Metal
  • Doom Metal
  • Gothic / Darkwave
  • Gothic Metal / Mittelalter
  • Hardcore / Grindcore
  • Heavy Metal
  • Industrial / Electronic
  • Modern Metal
  • Off Topic
  • Pagan / Viking Metal
  • Post-Rock/Metal
  • Progressive Rock/Metal
  • Punk
  • Rock
  • Sonstige
  • Thrash Metal

Chris Harms auf Tour

09.08. - 10.08.25M'Era Luna 2025 (Festival)Eisbrecher, And One, Heilung, Subway To Sally, Apocalyptica, Blutengel, Peter Murphy, Lacuna Coil, Versengold, De/Vision, Covenant, Faun, Solar Fake, In strict confidence, Chris Harms, Universum25, Corvus Corax, Rotersand, Faderhead, Ost+Front, Coppelius, Funker Vogt, Leæther Strip, Tanzwut, Samsas Traum, Manntra, Sierra, Chrom, Torul, Schattenmann, Ambassador21, Noisuf-X, Heimataerde, Vanguard, Massive Ego, Null Positiv und CorlyxFlugplatz Drispenstedt, Hildesheim

Kommentare