Im Haus meiner Eltern (Kinostart: 10. April 2025) erzählt die Geschichte einer Familie, deren Leben von einer Schizophrenie beeinträchtigt wird. Seit Jahrzehnten schon lebt Sven (Jens Brock) bei seinen Eltern und hat sich in dieser Zeit immer weiter zurückgezogen. Als seine Mutter ins Krankenhaus muss, kommt auch seine Schwester Holle (Jenny Schily) zurück und muss sich mit der Frage befassen, wie es in Zukunft mit ihm weitergehen soll. Wir haben uns mit Regisseur und Drehbuchautor Tim Ellrich bei der Premiere während des International Film Festival Rotterdam 2025 über sein autobiografisches Drama unterhalten. Im Interview sprechen wir über die Arbeit an dem Film und den schwierigen Umgang mit psychischen Erkrankungen.
Könntest du uns etwas über den Hintergrund von Im Haus meiner Eltern verraten? Warum wolltest du diese Geschichte erzählen?
Ich hatte selbst einen Onkel, der Zeit seines Lebens bei meinen Großeltern gelebt hat und dort immer mehr für sich selbst war. Und ich wusste, dass ich eines Tages einen Film darüber machen werde. Als ich 17 war, habe ich versucht, Kurzfilme dazu zu drehen, die habe ich aber leider nie abgeschlossen. Mit der Zeit habe ich gemerkt, dass die eigentliche Hauptfigur der Geschichte nicht mein Onkel ist, sondern meine Mutter. Deswegen wird in meinem Film die Geschichte aus der Sicht von Holle erzählt, die auf meiner Mutter basiert.
Im Haus meiner Eltern ist auch dein Abschlussfilm. Warum hast du dieses Thema ausgerechnet dafür verwendet? Du hättest auch etwas Leichteres und Gefälligeres machen können, damit es leichter wird, dir einen Namen zu machen.
Das stimmt, aber so bin ich nun mal. Ich wollte etwas machen, das authentisch ist. Ich glaube, dass wenn man authentisch ist und ehrlich und versucht, seine eigene Sprache zu finden, dass man auf einem anderen Weg gefällig sein kann. Es kann den Leuten gefallen, wenn jemand etwas investiert und auch riskiert. Die Gefälligkeit, die ich suche, ist nicht, sich an einer Idee von einem deutschen Film zu orientieren, sondern die Gefälligkeit, Menschen aus der Seele zu sprechen, die in ähnlichen Situationen sind und jetzt eine Möglichkeit haben, darüber zu sprechen.
Dein vorheriger Film war ein Dokumentarfilm und der neue Film basiert ja auch auf der Realität. Hast du jemals darüber nachgedacht, das auch direkt als Dokumentarfilm zu machen?
Nur kurz, aber eigentlich nie richtig. Ein Dokumentarfilm über meine Familie wäre wenig spannend gewesen, weil ich da nicht viel zu zeigen gehabt hätte. Ein Dokumentarfilm wäre, obwohl man die Realität abfilmt, nicht so intensiv und emotional, weil alles im Inneren passiert und ganz wenig davon rauskommt. Die emotionale Tragweite zu verstehen, funktioniert nur in einem fiktionalen Film, wo man Emotionen und wirkliche Situationen herausarbeiten kann. Beispielsweise gibt es einen grandiosen Satz, den mein Onkel wirklich einmal gesagt hat: „Ich habe mit diesen Menschen seit Jahren nichts zu tun.“ Diesen Satz habe ich genommen, aber an einer anderen Stelle eingebaut. Manchmal braucht die Realität eine fiktionale Anordnung, damit sie nicht unverständlich und banal wirkt. Aber trotz allem ist es ja etwas, was auf einer wahren Geschichte basiert.
Und wie war es für dich, über deine Familie zu sprechen? Hattest du jemals irgendwie das Gefühl, das könnte jetzt dann irgendwie doch zu persönlich sein, zu nah an dir dran?
Ich habe sehr früh signalisiert, dass ich darüber einmal einen Film machen werde. Dadurch gab es diesen langen Prozess, wo sich meine Familie und ich selbst damit arrangieren konnten. Natürlich war ich schon aufgeregt, als ich meiner Mutter den Film das erste Mal gezeigt habe und ich nicht wusste, wie sie reagieren wird. Aber sie fand, dass der Film sehr gut ist und das Ganze gut darstellt. Da ist mir schon ein riesiger Stein vom Herzen gefallen. Denn ich wollte ihr und den Anderen gerecht werden. Es ging bei dem Film ja nicht darum, was ich von mir selbst preisgebe, sondern dass ich die Geschichte von Menschen erzähle, die mir viel bedeuten.
Wie hat deine Familie denn reagiert, als du angekündigt hast, dass du ihre Geschichte erzählen willst?
Ich glaube, sie haben schon ganz gut reagiert, weil uns allen bewusst war, dass man mit so einer Geschichte nicht alleine ist. Bei meinen Recherchen hatte ich viel mit Familien zu tun, bei denen Angehörige mentale Krankheiten hatten. Da kommt es immer wieder vor, dass jemand nach einem Aufenthalt in einer Psychiatrie wieder bei den Eltern einzieht. Das ist also weiter verbreitet, als man denkt. Wenn man weiß, dass man nicht allein ist, wird vieles ertragbarer. Es kostet am Anfang viel Überwindung, wenn man über so etwas spricht. Aber ich glaube, dass wir mit dem Film Menschen etwas geben können, die in einer ähnlichen Situation sind. Und wenn nur eine einzige Familie diesen Film sieht und beschließt, sich anders zu verhalten und den Angehörigen nicht aufgibt, dann ist der Film schon ein riesiger Gewinn. Mein Onkel ist einfach verschwunden. 30 Jahre vor seinem Tod hat er angefangen, sich aufzulösen.
War deine Familie bei den Vorbereitungen involviert, also bei dem Schreibprozess des Drehbuchs?
Gar nicht. Ich habe meine Eltern manchmal gefragt, wie das war, und habe diese Gespräche aufgenommen und dann adaptiert und verarbeitet. Direkt involviert war meine Familie aber nicht, um auch keinen zu großen Einfluss darauf zu nehmen. Ich habe also dokumentarisch gearbeitet, das Material aber fiktional umgesetzt.
Okay, dann kommen wir zur Besetzung. Ich stelle es mir ein bisschen schwierig vor, eine Besetzung für die eigene Familie zu finden. Hast du denn nach Leuten gesucht, die wirklich deiner Familie sehr ähnlich sind? Oder was waren deine Kriterien?
Du hast vollkommen recht, es ist schwierig, eine Mammutsaufgabe, wirklich jemanden zu finden, der dann irgendwie dem entspricht. Du musst dich einfach von dem Anspruch verabschieden, dass du Leute findest, die komplett deiner Familie entsprechen. Wenn du zum Beispiel Jenny Schily nimmst, sie ist deutlich anders als meine Mutter. Obwohl ich von Anfang an mit Jenny Schily arbeiten wollte und sie großartig war, kannst du sie nicht mit meiner Mutter gleichsetzen. Das ist aber auch gar nicht notwendig. Wichtiger ist es, dass du dem Inneren eines Menschen gerecht wirst, anstatt ihn nur abzubilden. Besonders schwierig war das Casting bei meinem schizophrenen Onkel. Mir war von Anfang an klar, das kann kein Schauspieler machen. Der muss diese stille Präsenz haben, weil er ja nicht redet. Der muss auch so eine gewisse Zurückgezogenheit ausstrahlen. Also haben wir in Berlin und anderen Städten psychiatrische Einrichtungen und so weiter besucht, Leute auf der Straße getroffen und angesprochen, um irgendwie jemanden zu finden, der passen könnte. Und so haben wir auch Jens Brock gefunden. Den hat einfach jemand vom Streetcasting auf einer Parkbank dann angesprochen.
Dann kommen wir noch ein bisschen auf den Inhalt zu sprechen. Schizophrenie ist ein Thema, mit dem die meisten Leute nicht viel zu tun haben und worüber früher auch nicht viel gesprochen wurde. Hast du das Gefühl, dass es immer noch ein Tabuthema ist?
Ein Tabuthema, in dem Sinne, dass darüber nicht gesprochen werden darf, ist das nicht. Aber ich glaube, dass die Menschen immer noch unangenehme Themen gerne zurückhalten oder von sich wegdrücken. Außerdem ist eine Schizophrenie-Erkrankung mit vielen Fragen verbunden. Woher kommt die Krankheit? Wer ist schuld? Früher wurden den Eltern Vorwürfe gemacht, es hieß, dass die Erziehung das verursachen könnte. Inzwischen ist die Wissenschaft schon weiter und weiß, dass es verschiedene Faktoren gibt. Wir wissen auch: Je früher man bei einer Schizophrenie eingreift, desto besser sind die Behandlungschancen. Und je länger man das sozusagen schleifen lässt, desto schwieriger wird es. Deshalb ist es so fatal, wenn die Menschen aus Scham nicht darüber sprechen. Ich denke, wir reden darüber noch nicht ehrlich genug.
In deinem Film lernen wir den Schizophrenen kennen zum Zeitpunkt, als die Krankheit schon sehr weit fortgeschritten ist. Wie hilft man dann noch jemandem, der in einer Situation ist? Der sich gar nicht mehr helfen lassen will oder der eben auch vielleicht nicht sieht, dass ihm geholfen werden muss?
Das ist die große Frage. Eine Frage, auf die es keine einfachen Antworten gibt. In einer Szene wirft die Mutter Holle vor, dass sie immer wollte, dass er wegkommt. Und sie sagt, nein, ich wollte, dass er behandelt wird, vor 30 Jahren. Ich habe das immer so verstanden, als wäre das ein Bumerang, den man vor 30 Jahren geworfen hat, und der nach 30 Jahren wiederkommt – und dann ist es fast schon zu spät. Du kannst ihn nicht mehr auffangen, wenn er mit dieser Geschwindigkeit kommt. Zumindest ist es sehr, sehr schwer. Ganz wichtig ist auch: Jeder Mensch hat das Recht, sein Leben zu zerstören, auch wenn es unerträglich ist, dabei zuzuschauen. Jeder hat das Recht, sein Leben so zu leben wie er möchte, auch wenn es vielleicht anders besser wäre. Menschen zu helfen, die sich nicht helfen lassen wollen, ist eine schwierige Sache. Ich glaube, wichtig ist, dem Menschen zu signalisieren, dass sie dir emotional noch was wert sind, und das tut Holle. Sie kann ihn nicht retten, aber sie signalisiert ihm, dass sie es wenigstens versucht. Mehr kannst du manchmal nicht tun.
Vielen Dank für das Interview!
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