Horst Schlämmer im Kino Humor mit Herpes
Aus diesem Film kommt nur einer unbeschadet heraus: Hape Kerkeling. Seine Darstellung des Horst Schlämmer hätte Stanislawski Tränen des Entzückens in die Augen getrieben; seine Performance sollte in Actors Studios von New York bis Los Angeles als Lehrmaterial herhalten. So wird man also ein schmieriger Provinzjournalist mit größenwahnsinnigen Ambitionen.
Überbiss, Walrossbart, Kassenbrille: Das sind nur die Accessoires einer Figur, die Kerkeling zur Ikone kleinbürgerlicher Spießigkeit gestaltet hat. Horst Schlämmer hat eine furchterregende Präsenz, auch auf der Leinwand. Er ist wirklicher als sein Schöpfer und verkörpert jene ins Hyperreale gesteigerte Echtheit, die seit "Borat" zu den Königsdisziplinen komödiantischer Artistik gehört.
Der Rest der Darsteller, egal, ob Schauspieler oder real existierende Leistungs- und Kulturträger, arbeitet dieser virtuosen Inszenierung zu - und verkommt dabei zum Knallchargentum. Damit ist nicht die amüsante Inszenierung von Peinlichkeit gemeint, sondern die Bloßstellung selbst. Wollte Kerkeling Rache nehmen an allen, die er für seine Wahlkampfcomedy verpflichtete? Und wenn ja, wofür?
Schief wie Heidegger
Medial ist das hochinteressant, gerade weil das Ganze schon nach 30 Minuten öde wird, ein auf Spielfilmlänge aufgeblasener Sketch ohne richtigen Konflikt, ohne dramatische Struktur, ohne Dramaturgie. Es darf ja auch kein straff erzählerisches Programm geben, weil hier die Fiktion des Dokumentarischen entstehen soll: ein paar Wochen an der Seite des berüchtigten stellvertretenden Chefredakteurs des Grevenbroicher Tagblatts, der eine Partei gründet, Wahlkampf macht und am Ende sogar ein Kanzlerduell mit Merkel im Fernsehen bestreitet.
Bis es soweit kommt, traktiert Schlämmer reale Schmalspurpolitiker mit einer Frage, die so schief ist wie seine Zähne und gleichzeitig nach Heidegger, nach tief ersonnener Daseinskepsis klingt: "Was mangelt?" Was mangelt in Deutschland? "Gefühl!", sagt ein Vertreter der feministischen Partei mit Softie-Miene, und in diesem Moment hat sowohl die Frauenbewegung einen deftigen Tiefschlag abbekommen als auch das Bekenntnis zur Emotionalität.
Gefühl ist ja gerade nicht das Programm von Kerkelings komischem Genius, es geht eher um die Demontage von Gefühligkeit. Schlämmer, dieser vom Chef gegängelte Kleinbürger, der "die da oben" hasst und die unten quält mit seiner Larmoyanz und Selbstbezogenheit, ist nämlich ein gespenstischer Charakter.
An ihm lässt sich das Gefahren- und das Erfolgspotential von politischem Kitsch ablesen. Natürlich sind Sprüche wie "Sonnenbank für alle!" und "Yes Weekend" Klamauk, aber wer mitverfolgt hat, wie Schlämmer die Massen mobilisieren kann - inklusive Journalisten und Politikern - weiß, wie viel Realität in der Realsatire steckt.
Woran sich Humor entzündet
Weshalb nehmen Schlämmers Wahlkampfhelfer, die peinlichen Ballermann-Helden und Castingshow-Opfer, dann Schaden? Weil sie die Ironiewerte des Films in die Höhe treiben sollen, neben dem Comedy-Genie Kerkeling aber nur als die Verlierer des kulturindustriellen Wettbewerbs dastehen. Ein Jürgen Drews hat auf Mallorca noch die Restwürde des professionell Würdelosen, bei einem Fake-Wahlkampfdinner, an der Seite von Kader Loth (Busen) und Gunter Gabriel (Stimme?) ist er nur ein Pappkamerad für Humorschnellschüsse unter Mario-Barth-Niveau.
In Alexandra Kamp, die sich selber spielt, verdichtet sich Kerkelings Bloßstellungsästhetik zur brutalstmöglichen Häme. Die Darstellerin, bislang tapfer in den mittleren Lagen des TV-Entertainments unterwegs, präsentiert sich als machtgeiles Starlet, das auf den Posten der First Lady spekuliert.
"Macht macht mich an", wirft sie sich Schlämmer an den Hals, nur um sich einen Herpes einzufangen. Mit geschwollener Oberlippe nimmt sie dann den fiktiven Filmpreis "Goldener Igel" entgegen, eine Ehrung für die mutmaßlich schlechteste Liebesszene aller Zeiten.
Das Spiel mit der Ironisierung des eigenen Medienbilds funktioniert auf der Basis der Diskrepanz: Große Stars verunglimpfen sich selbst, um damit ihren Status noch deutlicher herauszustellen. Hier aber greift die "Dschungelcamp"-Stilistik: Die Angezählten kannibalisieren sich selbst in der Arena der Aufmerksamkeit.
Demokratisch hämisch
Das Schöne, wirklich Demokratische am Schlämmer-Film: Auch der Nimbus eines Superstars wie Bushido zerfällt im Säurebad dieses Humors. Der Berliner Gangsta-Rapper nimmt einen Wahlkampf-Song mit Schlämmer-Slogans auf, und der entspricht nicht nur musikalisch, sondern auch inhaltlich genau jenen Songs, mit denen Bushido zum Millionseller wurde.
Die pseudokritische Ghettorhetorik, mit der Bushido Mittelschichtskids die Parolen zum Elternschocken lieferte, sie unterscheidet sich keine Silbe von der politischen Naivität des Schlämmer-Programms.
Und dann sind da noch die Spitzenpolitiker Cem Özdemir, Jürgen Rüttgers und Claudia Roth: Stolpern auch sie über den Draht der Peinlichkeit, den Kerkeling nur haarbreit über den Boden der Ironie gespannt hat? Erstaunlicherweise nicht, ihre staatstragende Rolle verhindert das Schlimmste.
Aber das kann ja noch kommen, spätestens wenn Schlämmer geht - und der echte Wahlkampf seine wahren Gesichter zeigt.