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Review

Season 07 / 1

DIE MAGISCHE 7

Ursprünglich sollte die Einleitung zum Review-Marathon der siebten Staffel mit der DVD-Veröffentlichung des Kinofilmes beginnen, nachdem ich die Besprechung der sechsten Staffel aus aktuellem Anlass mit dem großen Ereignis “THE SIMPSONS GO CINEMA” einleitete. Das war schon sehr euphorisch gedacht, mir gerade mal ein halbes Jahr Zeit zu lassen, um die 25 neuen Episoden zu analysieren (um nicht zu sagen: zu lobhudeln, zu bewundern, zu gottpreisen, zu mythologisieren, heilig zu sprechen, sie anzubeten, ihnen mein Leben zu widmen).

Es sind dann doch mal eben fast zwei Jahre ins Land gestrichen. Warum eigentlich? Die Zahl 7 ist doch bekanntermaßen eine magische Zahl, das weiß jeder, der mal ein Märchen gelesen hat. Hätte die Kreativität mir da nicht magisch aus dem Hirn schlüpfen müssen, hätte sie nicht fließen und sprießen sollen wie die Hansens Bohnenranke?

Nun, alleine der gemeine Cliffhanger zum Ende von Season 6 hätte mich motivieren sollen, möglichst schnell weiterzumachen. Und in der Tat, die Besprechung von “Wer erschoss Mr. Burns - Teil 2" erfolgte auch schon knapp eine Woche nach Veröffentlichung der gesammelten “Season 6"-Werke. Aber dann war sie weg, die Muse. Auch gewöhnliche Filmbesprechungen haben ihren Tribut zollen müssen, doch besonders quälend gestaltete sich die Arbeit an meinem Lebenswerk (wenn Fox nicht gottverdammt noch mal langsam aufhört, neue Staffeln zu bestellen, wird es das wirklich noch!). Oft vergingen Monate zwischen der Besprechung von einer Folge zur nächsten. Aber wieso bloß? Hat die Qualität der Folgen so stark nachgelassen?

Mitnichten! Alles im Vorangegangenen Beschriebene ist bloß das selbstmitleidige Wehklagen eines Überforderten, der nicht wusste, wie er seine Quote beibehalten sollte. Was aber wirklich zählt, sind die 25 neuen Abenteuer. Um die soll es jetzt endlich wieder gehen. Also - wo waren wir stehen geblieben? Ah richtig. Der Mörder von Mr. Burns ist...


EPISODE 1
WER ERSCHOSS MR. BURNS? - TEIL 2 (Who Shot Mr. Burns? [Part 2])
Deutsche Erstausstrahlung: 04.11.1996
US-Erstausstrahlung: 17.09.1995

Inhalt: Die Polizei sucht fieberhaft nach dem Mann, der Mr. Burns niederschoss. Ein DNA-Test bringt Licht in den mysteriösen Fall und macht Homer zum Hauptverdächtigen. Nun heißt es handeln! (Booklet-Text)
MAGGIE.
Mal ehrlich - wer hat etwas Anderes als Einstieg in den Kritikteil erwartet als diese sechs Buchstaben? Und wer die vorliegende Kritik 12 Jahre nach der deutschen Erstausstrahlung liest und sich gespoilert fühlt, ist ohnehin unwürdig, sich weiterhin mit den Simpsons zu befassen. Raus hier, aber sofort!
Die ganz Klugen haben sich freilich vor knapp zwei Jahren den ersten Buchstaben jedes Absatzes aus der Schlussbetrachtung zu meiner Besprechung der sechsten Staffel zusammengelegt und die Auflösung der Geschichte so erfahren. Ein Jahr hingegen war die Zeitspanne, in der man den Amerikanern damals die Auflösung vorenthalten hatte. Den Animationsstudios wurden unterschiedliche Entwürfe zugeschickt mit verschiedenen Varianten, wer denn nun auf Mr. Burns geschossen hat (wurde dann später in einer von Troy McClure gehosteten Clipshow aus unveröffentlichten Szenen wieder ausgegraben) und die Produzenten riefen die Gazetten an, um falsche Köder auszulegen. Ein Preisausschreiben, bei dem man den Mörder erraten sollte, gab es auch noch. Ein ganz dickes Ding sollte der Zweiteiler werden.
Nach dem auf Gigantomanie ausgelegten Springfield-Eroberungsplot in bester James Bond-Tradition wird die Geschichte nun als klassisches Whodunit zu Ende geführt. Im Zentrum steht der pathetische Cliffhanger, ein Mr. Burns, der sich vom Pistolenschuss schwer getroffen auf die städtische Sonnenuhr wirft und mit letzter Kraft zwei Buchstaben schreibt: “SW”. Ein Indiz auf den Killer.
Die Autoren brennen nun ein Feuerwerk aus Krimi-Zitaten ab, angefangen bei der Soap “Dallas”, als Smithers träumt, alles sei gut. Träume bleiben auch weiterhin der Schlüssel zur Auflösung des Falls, denn auch Polizeichef Wiggum kommt einem Puzzleteil in einem Traum auf die Spur, als der “Red Room” aus Twin Peaks aufgegriffen wird und man sich nebenbei über den verstiegenen Symbolismus eines David Lynch lustig macht (nicht zum ersten Mal). Alles ist Trug und Schein, das ist die Quintessenz der Rätselraterei in dieser ohnehin unwirklichen und jenseitigen Atmosphäre, die so gar nichts mit einem normalen Tag in Springfield zu tun hat, und das beweist nur eines: Tatsächlich konnte man mit viel Intelligenz vor der Auflösung auf den Killer kommen, wenn man alle Hinweise aufnahm. Das erwähnte Preisausschreiben war wohl so etwas wie ein Intelligenztest für das Publikum, und selbiges hat gründlich versagt: angeblich hat unter 1000 Einsendungen niemand den richtigen Killer erraten. Überhaupt habe man nur einen einzigen Fan gefunden, der in einem Internetforum auf Maggie Simpson getippt habe. Der Großteil traute Assistent Smithers die Tat zu. In Anbetracht des Umstandes, dass der Plot recht offensichtlich das Augenmerk auf Smithers richtet: ein Armutszeugnis für die ratende (und ratlose) Bevölkerung.
Wie es sich für einen echten Krimi gehört, dreht und wendet sich das Blatt nach Belieben, inklusive der beliebten Faktizität in Form eines DNA-Tests, von dem man ja meinen sollte, dass er absolute Sicherheit bringt. Am Ende scheint der Lichtkegel jedoch nicht auf Homer Simpson, sondern in einem Ballett aus aufeinander folgenden Plottwists und sich schließenden Kreisen seine (genetisch mit ihm übereinstimmende) Tochter Maggie. Letztendlich muss sie die einzig logische Wahl gewesen sein, denn als Kind repräsentiert sie schließlich die fehlende Verantwortung für das eigene Handeln. Anstatt also einfach einen beliebigen Bürger Springfields zum potenziellen Mörder zu machen, wird mit dem Paukenschlag noch mal eben ein Gedankenschwenk Richtung Intentionalität vollzogen, denn es ergibt sich folgende philosophische Frage: Kann ein Baby ein Verbrechen ausüben?
Geht es nach dem amüsierten Smalltalk im Audiokommentar, dann: ja. Zumindest in Texas...

EPISODE 2
FILMSTAR WIDER WILLEN (Radioactive Man)
Deutsche Erstausstrahlung: 05.11.1996
US-Erstausstrahlung: 24.09.1995

Inhalt: Springfield wird zum Zentrum der Filmindustrie, denn “Radioactive Man” soll hier verfilmt werden. Als die Rolle des Helden “Fallout Boy” besetzt werden soll, ist Bart Feuer und Flamme, doch leider fällt die Wahl auf Milhouse. (Booklet-Text)
Gibt es was Herrlicheres, als wenn Comic und Film eine Symbiose eingehen? Ich denke, nein. Hollywood hat das in diesem Jahrtausend auch endlich begriffen und feuert Comicverfilmung zu Dutzenden raus. Marvel hat sich inzwischen gar selbstständig gemacht und lässt dadurch einen neuen Quantensprung erwarten, nämlich die Crossover-Kultur, die bislang aufgrund von Rechteverteilungen in größerem Ausmaß noch nicht möglich war.
Kurz, der Markt boomt - doch dem war nicht immer so. Mitte der Neunziger war man allenfalls stolz auf die beiden “Batman”-Adaptionen von Tim Burton, ansonsten hatte der Markt noch eher wenig zu bieten.
“Radioactive Man” widmet sich dementsprechend auch eher beiden Gebieten auf dichotome Weise: zuerst wird der Comic-Kultur gewürdigt, dann die Filmindustrie Hollywoods aufs Gröbste verarscht. Das Ende bietet einen der größten Satire-Arschtritte überhaupt: Untermalt von “Bill Withers’ “Lean on Me” ist alles happy Sonnenschein und jeder steht für den Anderen ein. So kennen und lieben wir die Traumfabrik!
Die Episode um die schon seit der ersten Staffel bekannte Parodie auf Superhelden aller Art beginnt mit einem Sprung in den Comicladen, und wenn der Comicbuchverkäufer mitsamt Watschelgang ins Bild tritt, kann es ja nur ein Klassiker werden. Ist es auch. Spätestens, wenn die alte “Batman”-Serie mit Adam West imitiert wird, ist es mal wieder um die Objektivität geschehen. Anhand des superschurkischen Pfadfinder-Anführers, seines linkischen Blicks, seiner plumpen Gehilfen, deren kuriose Methoden, Radioactive Man & Fallout Boy in die Bredouille zu bringen, der vielen Plakate mit onomatopoetischen Ausrufen und dem absolut sinnfreien Getanze (einer der KO-geschlagenen Schurken steht sogar auf, guckt kurz blöd in die Kamera und tanzt dann mit) ist bewiesen, wie sehr John Swartzwelder (Drehbuch) und Regisseurin Susie Dietter (die gesteht, mit Comics nie etwas hat anfangen können, jedoch stets gerne die “Batman”-Serie angeschaut hat) verstanden haben, worum es hier geht.
Der Dreh weg von der Comicwelt hin zur Filmindustrie ist etwas holprig inszeniert, was durch das immense Tempo aber gar nicht auffällt. Sowieso zählt ab sofort nur noch eines: Hollywood ist blöde bis auf den Grund, alleine deswegen schon, weil sie es wagen, den Drehort für den neuen “Radioactive Man”-Spielfilm nach Springfield zu verlagern.
Das gemütliche Springfield wird fortan von einer anderen Kultur überrollt. Häuser werden einfach in Beschlag genommen und halb zerstört, um Kabel zu verlegen, Straßen werden gesperrt, um Szenen zu drehen. Ein kluger Schachzug, dass mitten in dieses Szenario eine Konkurrenzsituation zwischen Bart und Milhouse geworfen wird, in der es um die Rollenbesetzung des Fallout Boy geht. Der Kniff liegt darin, dass Milhouse die Rolle eigentlich gar nicht will, sie im Gegensatz zum willigen Bart aber bekommt. Das macht die Situation zum einen komplexer als ein einfacher Wettbewerb (bei dem beide gewinnen wollen), zum anderen gibt es die Gelegenheit, Hollywood gleich noch ein paar Hiebe mehr auf die Mütze zu geben.
Eine der witzigsten Stellen ist sicherlich Homers “Gähn-und-Faulheits-Wettkampf” gegen Gewerkschaftsmitglieder (das Bild, das sich am Ende ergibt, ist zum Einrahmen bestimmt), einer der substanzreichsten Gags dürfte das Bemalen von weißen Pferden mit schwarzen Flecken sein, weil “Pferde im Kino eher nach Kühen aussehen als Kühe”. Denn dahinter verbirgt sich eine Vorstellung von Schein und Illusion als Lug- und Trugbild Hollywoods, wie es auch David Lynch nicht besser hätte symbolisieren können, und weiterhin eine Auseinandersetzung mit dem Medium Fernsehen und seiner unbeabsichtigten Wirkung auf die Realität.
Selten jedenfalls wurde die doppeldeutige Schmierigkeit der Filmindustrie besser getroffen als auf die Art und Weise, wie die “Simpsons” ihr Tugendhaftigkeit, Ehrlichkeit und letztendlich vor allem Machtlosigkeit gegenüber dem raffgierigen Kleinstadtpöbel unterstellen. Klassiker.

EPISODE 3
BEI SIMPSONS STIMMT WAS NICHT! (Home Sweet Homediddly-Dum-Doodily)
Deutsche Erstausstrahlung: 06.11.1996
US-Erstausstrahlung: 01.10.1995

Inhalt: Eine Reihe unliebsamer Vorfälle veranlasst das Jugendamt dazu, das Sorgerecht für die Simpsons-Kinder an die Flanders zu übertragen. Als Ned mitbekommt, dass seine Schützlinge nicht getauft sind, plant er das Unglaubliche: eine Taufe! (Booklet-Text)
Wenn man so sieht, wie sich Homer zwischen seine Tochter und das Taufwasser wirft, als wolle er eine Kugel aufhalten, könnte man auf den Gedanken kommen, die in Sachen Religion sonst so diffizile Trickserie hielte nun ein eindeutiges Plädoyer gegen das Christentum.
Dabei wird in Wirklichkeit allenfalls religiöser Fanatismus attackiert, der hier von Flanders verkörpert wird. Der reagiert nämlich nahezu mit einem prophylaktischen Schock, als er davon erfährt, dass die Simpsons-Kinder nicht getauft sind.
Doch ohnehin geht es, wie im Kommentar erklärt wird, nicht um das Christentum oder darum, dieses zu verurteilen, sondern um den Agnostizismus der Simpsons. Durch den Bezug auf die Familie, der in dieser Folge die Kinder weggenommen werden, wird die Glaubensfreiheit zum Thema - und das Vorhaben des Ned Flanders zum Absurdum.
Natürlich propagiert Susie Dietters Regiearbeit den Wert der Familie, eines der zentralen Motive der Serie, doch das ist gar nicht mal das Interessante. Viel spannender ist es, wie die Gesellschaft hier als ein von Konventionen bestimmtes System gezeichnet wird. Die Art und Weise, wie den Eltern durch eine Reihe dummer Zufälle die Kinder weggenommen werden; Homers Streit vor dem Gericht und seine Freude nach der Rehabilitation (“Juhuuu, jetzt sind wir offiziell wieder gute Eltern”); und selbstverständlich der Sprung Homers zwischen Maggie und das Weihwasser, das nur Kraft der Konvention geweihtes Wasser ist, Homer jedoch darauf reagiert, als sei es ätzende Säure. Die Geschichte ist durchzogen von solchen von Menschenhand gemachten Konstitutionen, die nur deshalb existieren, weil die Gesellschaft sie hervorgebracht hat. Wenn nun also der Wert der Familie propagiert wird, geht der Gedanke viel tiefer, als es diese etwas abgedroschene Formulierung ausdrückt. Tatsächlich, so die Intention, geht es darum, hinter die Fassade der Konvention zu blicken, einen Menschen also nicht als Christen (oder Antichristen?) zu betrachten, sondern als Lisa, Maggie, Bart, Rod, Todd. Auch wenn Todd laut News Report stinkt.
(P.S. Rod und Todd erweisen sich mal wieder als ideale Demonstrationsobjekte für den Einfluss der Medien: als sie erstmals Itchy & Scratchy sehen dürfen, ziehen sie automatisch in Erwägung, mit spitzen Gegenständen aufeinander loszugehen. Offen bleibt, ob das einzig dem Einfluss der Medien zuzuschreiben ist oder nicht doch der protektionistischen Erziehung durch den streng gläubigen Vater...)

EPISODE 4
BART VERKAUFT SEINE SEELE (Bart Sells His Soul)
Deutsche Erstausstrahlung: 07.11.1996
US-Erstausstrahlung: 08.10.1995

Inhalt: Bart verkauft seine Seele für fünf Dollar an Milhouse und glaubt damit ein super Geschäft gemacht zu haben. Leider hat die Aktion ungeahnte Konsequenzen und so setzt Bart alles daran, seine Seele zurückzukaufen. So ein Seelenrückkauf hat natürlich ihren Preis! (Booklet-Text)
Düster geht es weiter mit der Religion, dem (Aber-) Glauben und einem ordentlichen Spritzer Nihilismus. Dabei demonstriert “Bart Sells His Soul” die Naivität der ersten Staffel mit all ihren Vor- und Nachteilen. Als die “Simpsons” nämlich größer wurden, wurden die Themen auch größer, Gesellschaftliches und Kulturelles nahm einen immer gewichtigeren Platz ein. Die Art und Weise, wie Bart nun mit seinem inneren Ich ringt, besonders gut zu erkennen in der Traumsequenz mit dem transparenten Seelenzwilling, erinnert wieder an frühe Episoden wie “Bart schlägt eine Schlacht”, in denen spielerisch und sehr bildlich psychologische Sachverhalte in die laienhafte Sprache des Fernsehens übersetzt werden. Ein Schwenk also zurück in die Anfangstage, als alles noch ein bisschen grob war.
Mit dem Thema (angeblich wieder inspiriert durch ein reales Erlebnis des Autoren, der wohl selbst mal erfolgreich einem Mitschüler seine Seele zurückverkauft hat) wird ein Minenfeld eröffnet, in der Fragestellung “Existenz oder Nichtexistenz der menschlichen Seele” jedoch - wie üblich - keine explizite Stellung bezogen. Genau das macht ja auch den Reiz aus, dieser Interpretationsspielraum, mit dem es der Serie immer wieder aufs Neue gelingt, Gläubige und Atheisten unter einen Hut zu bringen.
Das Skript beschränkt sich leider im Wesentlichen darauf, eine Abfolge von Situationen aufzubauen, in denen sich Barts Seelenlosigkeit andeutet - dies allerdings durchaus subtil. Mal öffnet sich die elektronische Tür des Kwik-E-Marts nicht, dann reagieren die Haustiere bösartig auf ihr kleines Herrchen oder es fehlt schlichtweg der Atem, mit dem man eine Glasscheibe beschlagen könnte. Der Subplot um Moe und seinen Versuch, die Bar in ein Familienrestaurant umzufunktionieren, verfügt derweil über keinerlei Bezug zur Hauptgeschichte.
Immerhin jedoch die Atmosphäre stimmt. Zeitweise wird es recht düster. Nicht im Sinne der Anwesenheit eines Bösen, sondern vielmehr der Abwesenheit von allem. Jeglicher Sinn scheint in Barts Welt langsam im Erdboden zu versinken. Nichts verdeutlicht das besser als die diesmalige “Itchy & Scratchy”-Folge: ansonsten stets in einer Parabelfunktion für die Geschehnisse im Plot, dient sie diesmal bloß dazu, Barts Fähigkeit, sich geistlos unterhalten zu lassen, ins Abseits zu stellen. Wenn selbst die Mechanismen der Serie ihre Bedeutung verlieren, ist das Ziel, eine bedrohliche Aura der Nichtexistenz um Bart herum aufzubauen, definitiv geglückt.
Daraus resultierend ist “Bart Sells His Soul” auch nicht die Monstergaggranate, einige gute Momente gibt’s aber schon (Homer bleibt im Sofa stecken und wird dann von Knecht Ruprecht in den Hintern gebissen zum Beispiel, um den primitiven Humor mal zu lobpreisen) und ein wenig back to the roots ist auch nicht verkehrt.

EPISODE 5
LISA ALS VEGETARIERIN (Lisa the Vegetarian)
Deutsche Erstausstrahlung: 08.11.1996
US-Erstausstrahlung: 15.10.1995

Inhalt: Ein Besuch im Streichelzoo lässt Lisa zur Vegetarierin werden. Leider wird ihr Engagement von der Familie nicht wirklich gewürdigt, also verlässt sie den ignoranten Clan und schließt sich den Gleichgesinnten Apu und Paul & Linda McCartney an. (Booklet-Text)
Vegetarismus - für die einen bedeutet das eine gesunde Lebensweise, für andere eine Entscheidung aus ethischen Gründen, für wieder andere ist Vegetarismus keine Option - außer man möchte in kulinarischer Freudlosigkeit “dahinvegetieren”.
Aufeinander losgelassen werden die letzten beiden Gruppen, und zwar in einem Verhältnis von etwa 1:500. Lisa steht alleine gegen ein fleischverzehrendes Springfield und muss ihre Überzeugungen vertreten, die entwuchsen aus dem Paradoxon, dass der moderne Mensch genetisch nach wie vor darauf programmiert ist, andere Lebewesen zu verzehren, obwohl sein “gesunder Menschenverstand” dagegen rebellieren möchte.
Man sollte nun zweifellos erwarten, dass diese schwierige Grundsatzdebatte sich nicht in einfacher Lagerspaltung erschöpft, sondern mit vielen Abstufungen angereichert wird, und so ist man auch nicht sonderlich überrascht, dass es genauso kommt. Die Frage, was die “bessere” Lebensweise ist, stellt sich natürlich zu keinem Zeitpunkt. Viel mehr als der Vegetarismus wird der Umgang mit ihm beleuchtet und die Motive beider Parteien in Frage gestellt.
So steht vor allem die manipulative Wirkung von Bildern zur Debatte, wenn kleine Schäfchen den potenziellen Fleischesser davon überzeugen sollen, in Zukunft von seiner Passion abzusehen. Dass es aber eben immer ein noch süßeres Schäfchen gibt, zeigt, wie wankelmütig der “Homer Erectus” auf visuelle Impulse reagiert, und als Homer das normalsüße Schaf schroff wegstößt, um das Babyschaf zu sehen, ist klar, was Herr Cohen aus der Drehbuchabteilung von reißerischen Werbefilmen hält.
Auftritt Troy McClure, der nämlich in einem solchen typisch billigen Werbefilm für Rindfleisch (mit blassen Farben, Verschmutzungen und allem drum und dran) den Host gibt und nicht merkt, wie der Film durch seine günstige Machart unfreiwillig von pro Fleisch zu kontra Fleisch wechselt. Zumindest für den intelligenten Konsumenten. Die Springfield-Schule gehört zweifellos nicht dazu - mit dem Werbefilm geht nicht nur die Bildungskultur an US-Schulen baden (wie schon aus etwaigen Episoden bekannt), sondern auch der Individualismus (die Kantine führt nur Fleischprodukte, dafür aber hat die Lehrerin einen “Independent Thought Alarm” unter dem Pult).
Derweil das Simpson’sche Ritual des Abendessens dem Thema gemäß deutliche Züge einer Raubtierfütterung einnimmt (toll, wie sich Homer und Bart wegen des letzten Stücks Lammkotelett anknurren, sehr schön dabei auch Lisas Gedanken, woraus ein Hot Dog bestehen könnte) und “Itchy & Scratchy” alles kommentieren, indem dem Kater das eigene Fleisch als Abendmahl vorgesetzt wird, distanziert sich Lisa von der eigenen Familie und läuft Apu zum Dank den Gaststars Paul und Linda McCartney in die Arme. Damit ist der Auftritt des letzten seither noch lebenden Beatles gelungen (Ringo Starr und George Harrison waren bereits aufgetreten) - jedoch nur, wie der Audiokommentar verrät, wenn man McCartney versprechen würde, dass Lisa nach der Episode auch Vegetarierin bliebe und nicht gleich in der nächsten Folge wieder Fleisch essen würde. Der Mann kennt sich aus mit Zeichentrickserien.
Hier kommt dann auch der eigentliche Witz der Moral zum Tragen, als dem Vegetarismus, den Lisa durchaus zunächst mit einer gewissen Arroganz gegenüber den Fleischessern vertritt, der Veganismus gegenübergestellt wird und Lisa sich plötzlich ganz klein mit Hut vorkommt.
Die Auflösung muss natürlich in einem großen Knall erfolgen und das geschieht in einem gewaltigen, von Homer organisierten BBQ (Barbecue) mit einem fliegenden Grillferkel als Schlüsselmoment. Bevor das Tier wie ein Korken aus einem Damm geschossen wird, darf sich Chief Wiggum noch über die lustige Schweinsnase amüsieren. “Du bist, was du isst”, möchte man da meinen und fühlt sich an “Dumbo” erinnert und das segelohrige Kind, das den kleinen Elefanten hänselt.
Da summieren sich schon viele nette Ideen, die sich darum bemühen, dem Thema reflektiert auf den Grund zu gehen, aber man merkt doch, es bleibt stets ein Bemühen. Obwohl oder vielleicht auch gerade weil Vegetarier an der Entstehung der Folge beteiligt waren und sie als eine ihrer Favoriten bezeichnen, es bleibt eine dieser “das müssen wir auch mal gemacht haben”-Geschichten, die grundsätzlich schon so schwermütig sind, dass nicht einmal die größten Gags - und derer hat “Lisa the Vegetarian” einige zu bieten - für wirkliche Auflockerung sorgen können.

EPISODE 6
DIE PANIK-AMOK-HORROR-SHOW (Treehouse of Horror VI)
Deutsche Erstausstrahlung: 27.12.1999
US-Erstausstrahlung: 29.10.1995

Inhalt: Gigantische Werbeplakate attackieren Springfield, Hausmeister Willie terrorisiert Schulkinder in ihren Träumen und Homer landet in der dritten Dimension - in diesem coolen Halloween-Special jagt ein Alptraum den nächsten! (Booklet-Text)
Attack of the 50 ft. Eyesores
Der Titel macht es unmissverständlich klar: wir befinden uns wieder in den Fünfziger Jahren, zumindest ideologisch, und Riesenwuchs bevölkert endlich mal wieder die Leinwand für ein paar Minuten. Waren es früher gigantische Ameisen, monströse Spinnen oder riesige Untertassen, die den mit dem McCarthyismus verbundenen Existenzängsten der Amerikaner symbolisch den Boden bereiteten, so wissen die Autoren der sechsten Halloween-Spezialsendung die epochentypische B-Movie-Gigantomanie hervorragend für die aufkeimende Konsumgesellschaft der Neunziger einzunehmen: Gier ist es nämlich, die Homer dazu treibt, einen Riesendonut zu stehlen, und falsche Werbebotschaften sind es, die Homer überhaupt dazu verführen. Typische 90er-Jahre-Attitüde.
Die Monster der Geschichte sind dann selbstredend auch gigantische Merchandise-Figuren, die am Straßenrand aufgereiht stehen, um den potenzielle Käufer auf Ware aufmerksam zu machen. Mit einem Godzilla-Schrei befreit sich der Donutmann aus seiner Verankerung und entfesselt einen Kampf der Giganten, der absurder nicht aussehen könnte. Eine Ausgabe des Marlboro-Manns zerquetscht - traditionelles amerikanisches Symbol, das er ist - Unbeteiligte mit seiner Neonflasche, eine Riesenerdnuss (nicht minder amerikanisch) knackt ironischerweise ein Auto und mampft die darin befindlichen Hülsenfrüchte (Menschen) und Chief Wiggum erschießt aus Versehen einen Basketballstar, den er für ein Riesenmonster hält.
Die Bekämpfung der Giganten erfolgt mit einer irrsinnig bescheuerten Pointe, die einerseits Genrefilme und deren Vorliebe für einfache, naheliegende Auflösungen (vgl. “War of the Worlds”) aufs Korn nimmt, zum anderen eine moralisch angehauchte Metapher einbaut für den Umgang mit Werbung und wie man sich von ihr nicht beeinflussen lässt.
Das Ganze ist allerdings nicht neu; schon “Ghostbusters” verfolgte mit seinem “Marshmallow Man” - ebenfalls eine amerikanische Werbefigur - exakt die gleichen Gedankengänge, und tatsächlich kann man in den freundlichen Gesichtszügen des Donutmännchens gewisse Ähnlichkeiten zum Marshmallow Man erkennen.
Nightmare on Evergreen Ter.
An zweiter Stelle dann wieder eine konkrete Filmparodie, und zwar auf “Nightmare on Elm Street”. Dessen teilweise radikale Wechsel zwischen “schöner” Realität und “bösem” Traum schwingen sich zum Zentrum der Parodie auf, indem die normale Simpsons-Realität gegen eine übertrieben lustige Comicwelt eingetauscht wird, die frappierend an die “Looney Tunes”-Cartoons erinnert. Ansonsten beschränkt sich der Plot weitgehend darauf, der Vorlage nachzueifern, bis hin zu einem Flashback, in dem gezeigt wird, wie Hausmeister Willie zu dem Alptraummonster geworden ist. Die Parodie passt hervorragend ist das “Treehouse”-Schema, weil sie gerade den Autoren im Detail viel Gelegenheit gibt, zu glänzen. Mit Martins “Mathe-Zauberer”-Phantasie und Barts Spielplatz-Showdown werden gleich ganze Welten erschaffen - wenn man so will, waren das ja auch die einzigen Qualitäten, die man den meisten Sequels um Alptraumfigur Freddy Krueger zugestehen würde. Die Stimmungswechsel wirken sich tatsächlich unbehaglich auf den Zuschauer aus und Willies letzte Verwandlung ist abstoßend. Hier kommt wieder der harte Kern zum Vorschein, der besagt, dass wirklicher Horror durchaus zum Paradigma der “Treehouse”-Reihe gehört.
Homer³
Da die Serie hier im wahrsten Sinne des Wortes ganz neue Dimensionen beschreitet, könnte man mit der Analyse dieses dritten Teils vermutlich ein ganzes Kapitel füllen; diesen Eindruck legt auch der Audiokommentar nahe, in dem unzählige Insider enthüllt werden - etwa, dass jede der Zahlen, die an Homer in der Parallelwelt vorbeirauschen, eine codierte Bedeutung enthalten, teilweise gar berühmte mathematische Formeln aufnehmen und diese zu widerlegen versuchen.
Eine Ode an Mathematik und Physik ist diese Geschichte also gewissermaßen, die einmal mehr durch eine Twilight Zone-Ausgabe inspiriert wurde: Dort fiel ein Mädchen in die vierte Dimension, hier, in der zweidimensionalen Simpsons-Welt erfährt der Gelbling, was die dritte Dimension bedeutet.
Heute hat man schnell vergessen, wie revolutionär die 3D-Sequenzen eigentlich damals waren. Es ist zu bedenken, dass die Episode noch kurz vor “Toy Story” entstand. Dabei erreicht sie freilich nicht ganz deren Qualitäten, aber im Serienbereich waren die noch recht plumpen 3D-Figuren Quantensprünge.
Ein effektiv herausgespielter Gag stellt den dimensionalen Übergang treffend heraus: als Professor Frink das gewöhnliche Quadrat mit wenigen Strichen zu einem Kubus verbindet, geht ein Aha-Effekt durch die Reihen der Trickfiguren, die in just diesem Moment auf eine ganz neue Erkenntnis gestoßen sind. Homer derweil, der zunächst als Einziger physischen Kontakt zur 3D-Welt hält, begegnet der neuen Erfahrung mit seinen typischen Charakteristika: Neugierde, Verunsicherung, Freude, Ärger, Angst.
So klobig die simplen physikalischen Figuren - vom Kegel bis zum Zylinder - da auch umherhüpfen mögen, sie sind stets aufgeladen mit Bedeutung, die man auf den ersten Blick nicht im Geringsten erahnen würde. Und Homer kann sich mit einer zusätzlichen Dimension durchaus sehen lassen. Er selbst nimmt die Grundform eines Kegels an und verrät damit die Architektur seines eigenen Grafikdesigns. Dabei wird ihm zudem erstmals gewahr, was für einen vorstehenden Bauch er hat. Dieses Spiel mit der Anatomie sorgt dafür, dass dem plastischen Treiben trotz der eingebüßten Mimik nicht der Witz verloren geht.
Die Atmosphäre hingegen kann nicht ganz aufrecht erhalten werden. Zwar erscheint der alles verschlingende Strudel nihilistisch, dieser Nihilismus wird durch die Plastizität der computergenerierten Welt aber nicht besonders gut übertragen. Und doch wird hier Grund und Boden betreten, der es erlaubt davon zu sprechen, dass das Jenseitige beschritten wurde - letztlich nämlich unsere eigene Welt.

EPISODE 7
DER BEHINDERTE HOMER (King-Size Homer)
Deutsche Erstausstrahlung: 11.11.1996
US-Erstausstrahlung: 05.11.1995

Inhalt: Homer ist begeistert, als er mitbekommt, dass fette Mitarbeiter nach den neuen Firmenstatuten von zu Hause arbeiten dürfen. Natürlich bringt er vollen Einsatz, um sich die nötigen Pfunde anzufressen - leider hat sein neues Kampfgewicht nicht nur Vorteile. (Booklet-Text)
“Oh Schmerz, das Herz” (Staffel 4) war damals ganz schön diffizil und perfide bei der Handhabung seines nicht ganz einfachen Sujets. Homer sah man seine Fettleibigkeit äußerlich nicht mehr an als in jeder beliebigen anderen Folge. Die Fette operierten vom Inneren des Körpers aus. Um dies zu aufzuzeigen, arbeiteten die Animatoren sogar mit Splitscreens, die das aussetzende Herz des korpulenten Atomkraftwerkmitarbeiters zeigten. Damit stand die unsichtbare Gefahr hinter der Fettleibigkeit im Vordergrund.
“Der behinderte Homer” verlagert das Ganze nach außen, um dicke Menschen lediglich als Minderheitengruppe zu betrachten. Das Gesundheitsproblem ist dabei nur sekundär von Belang, sozusagen ein Punkt neben vielen auf Marges Liste der Kontras. Vor allem wird dieses Mal danach gefragt, wie es um die soziale Tragfähigkeit Übergewichtiger in der Gesellschaft bestellt steht.
So kommt die neue Variante des alten Themas wesentlich leichtfüßiger daher als sein ernster erzählter Vorgänger. Das Design Homers als “fetter, dynamischer Supermann” mit seinem unsäglichen Muumuu ist längst Kult, hängt angeblich sogar in den südkoreanischen AKOM-Animationsstudios immer noch an den Wänden und wird abgefeiert. Der dicke Homer (freilich längst in diversen “Family Guy”-Episoden mit Peter Griffin nachgeahmt) ist ein eigenes Charakteruniversum für sich; eines, das zwar über eine Episode nicht hinausreicht, ikonisch aber den gleichen Stellenwert erreicht wie diverse Nebencharaktere. Um es pragmatisch auszudrücken: Homer im Muumuu würde sich als Actionfigur sicherlich besser verkaufen als ein Dr. Hibbert oder ein Smithers.
So evoziert der Plot eine einzige Kette von Witzen über Bequemlichkeit, Faulheit, aber auch Selbstzufriedenheit. Denn das eigentlich Lustige liegt ja in dem Umstand, dass Homer glücklich ist mit seinem Kampfgewicht oder, um es mit den Worten im Audiokommentar zu sagen: er ist mit sich selbst im Reinen.
Groteske Bilder wie ein Fettsack, der auf der Couch sitzt und mit dem Besen gegen das Fenster schlägt, wo Bart seinen Freunden den eigenen Vater wie bei einer Freakshow vorstellt, oder ein wahnsinniger Vielfraß, der mit Affentempo einen Eiswagen durch Springfields Straßen steuert und dabei an einem Eis nuckelt, über jene Momente wurde die Folge zu einem Publikumsliebling, auch wenn man ehrlicherweise sagen muss: bei all dem Spaß lässt sie den gesellschaftskritischen Punkt doch ein bisschen schleifen. Aber auch das sollte mal erlaubt sein. Wann hat man schließlich mal wieder so einen fetten Homer zur Verfügung, um seine Späße mit ihm zu treiben?

EPISODE 8
WER IST MONA SIMPSON? (Mother Simpson)
Deutsche Erstausstrahlung: 12.11.1996
US-Erstausstrahlung: 19.11.1995

Inhalt: Homers Mutter, die ihn als Kind verließ, kehrt unverhofft in den Schoß der Familie zurück. Die Gute hat jedoch eine ziemlich turbulente Vergangenheit, denn in den 60ern gehörte sie einer radikalen Hippie-Gruppe an, die Mr. Burns’ biologisches Waffensystem zerstörte. Auch wenn es lange her ist, das FBI interessiert sich immer noch dafür! (Booklet-Text)
In “Grandpa gegen sexuelles Versagen” (Season 6) sah man in einer Rückblende kurz die Beine von Homers Mutter. Wie in einem dieser alten Cartoons, in denen die Welt des Kindes eingefangen werden soll und Erwachsene folgerichtig aus dem Bild gekürzt werden.
Homers Mutter hat bislang das gleiche Schicksal ereilt wie Marges Vater (den man bloß in “Angst vorm Fliegen” - ebenfalls Season 6 - zu Gesicht bekommt): sie sind unbedeutend für die Serie. In Abraham Simpson spiegelt sich sein Sohn in vielerlei Hinsicht wieder, der wiederum ganz offensichtlich Erbgut an seinen nicht ganz so hellen Sohn Bart weitergegeben hat. Marges Mutter ist (nicht ganz so häufig, aber anfangs noch regelmäßig) ein Spiegelbild ihrer Tochter: die gleiche Turmfrisur, die gleichen Gesichtszüge, aber gealtert und verbittert. Also das, worauf Marge Simpson seit vielen Staffeln schon zusteuert mit ihrem Grummeln.
Was kann ein zweiter Elternteil in diese logische Folgerichtigkeit einbringen? Überraschungen. Dass die Autoren Mona Simpson dem Flickenteppich der Show hinzufügen, bedeutet für alle Beteiligten Umstellungen. In subtiler Form auch über die Episode hinaus. Und damit ist wieder ein Beispiel gegeben, dass die “Simpsons” doch kontinuierlicher sind, als man bei der “neue Story - zurück auf Start”-Struktur erwarten sollte.
Die Reaktionen sind farbenfroh. Homer ist voll von naiver Freude über das Wiedersehen mit seiner Mom. Seine Ehefrau ist skeptisch über das plötzliche Auftauchen der neu gewonnenen Schwiegermutter. Lisa auch, wenngleich sie eine gewisse Bewunderung nicht verbergen kann, ganz einfach weil sie in ihrer Großmutter einen Sinn für alles findet. Endlich kann sie sich erklären, woher ihre Intelligenz geerbt ist. Bart nimmt’s locker und auch Maggie zeigt schnell Einflüsse ihrer neuen Bezugsperson.
Der Plot kokettiert geschickt mit falschen Fährten und versucht zunächst noch, die Option aufrechtzuerhalten, aus Mona Simpson eine Trickbetrügerin zu machen. Doch schon ihre Manierismen (die Flucht vor dem Polizeiwagen, das schnelle Einschlafen als Reaktion auf unbequeme Fragen) verraten sie als Fleisch und Blut des liebenswertesten Trottels von ganz Amerika.
In vereinzelten Flashbacks frönt das Drehbuch wieder der alten Leidenschaft für vergangene Epochen. Die Flower Power-Phase war zwar schon Teil des gelben Feldzugs, ihr können aber immer noch neue Facetten abgewonnen werden. Altbekannte Charaktere wie Chief Wiggum und Mr. Burns findet man da wieder, allesamt entsprechend verjüngt und in den Gesellschaftsbezug integriert. Die berufliche Platzierung der Figuren leitet sich aus der 90er-Jahre-Gegenwart ab und sorgt für nicht abflauende Aha-Effekte. Mit dem Witz hakt es dabei öfter mal, statt dessen wird ein Gefühl der Rebellion nachempfunden, gegen das präzise sitzende System (passend dazu: der Kurzhaarschnitt eines Footballspielers, den Abe Simpson im Fernsehen sieht und erwidert “ein Haarschnitt, nach dem man die Uhr stellen kann”).
Dass Homers Spontanität sich bloß aus den manischen, verwirrten Tendenzen seines Vaters herleitet, ist somit widerlegt; es gibt noch mehr Gründe, die in den Genen verborgen liegen, die seine Mutter ihm vererbt hat. Ein herzliches “D’Oh” von Mona Simpson beim Stoßen des Kopfes gegen einen alten, mit Flower Paintings bemalten Bus gibt Zeugnis darüber ab.

EPISODE 9
TINGELTANGEL-BOBS RACHE (Sideshow Bob’s Last Gleaming)
Deutsche Erstausstrahlung: 13.11.1996
US-Erstausstrahlung: 26.11.1995

Inhalt: Tingeltangel-Bob, die Familienplage der Simpsons, kehrt zurück und bedroht Springfield und den Sender mit einer Atombombe. Auch Krusty steht auf Bobs Abschussliste. Als er jedoch versucht, ihn mit einem alten Flugzeug zu vernichten, ist das mal wieder ein Schuss in den Ofen! (Booklet-Text)
Bei der Besprechung von “Wer ist Mona Simpson” sprach ich noch von der Kontinuität einiger Aspekte der Serie, und wie zur Bestätigung tritt mal wieder Sideshow Bob auf den Plan. Der intellektuelle Vollidiot wider Willen ist längst Inbegriff einer Parodie auf Supervillains geworden, ein Abbild des Misserfolgs des logischen Denkens, eine Analogie zu “Stimpy & the Brain”’s Brain (übrigens ein regelmäßiger Konkurrent im Wettbewerb um die Emmys). Eigentlich das perfekte Gegenstück zu Homer Simpson, der mit Unüberlegtheit und Spontanität regelmäßig Erfolge feiert, der eben beweist, welcher Typ Mensch in Amerika vom Tellerwäscher zum Millionär wird.
Wo “Am Kap der Angst” noch eine geradezu penibel exakte Parodie auf die beiden “Cape Fear”-Filme durchzog, nimmt “Tingeltangel Bobs Rache” alles etwas lockerer, schießt sich aber dennoch hundertprozentig auf die antikommunistischen Paranoia-Filme und zugehörige Satiren der 60er Jahre ein, wobei es gelingt, die aktivistisch aufgeladene Atmosphäre hundertprozentig nachzuzeichnen. Mit der Militärbasis wird das geeignete Aktionsfeld errichtet; militärische Typen, wo man auch hinsieht, in der Originalfassung ist gar ein chargierender R. Lee Ermey in einer Gastrolle zu hören.
Schön, wie Professor Frink zum Dank eine “Dr. Seltsam”-Karikatur über die Mattscheibe dackelt und vor allem, wie der größenwahnsinnige Bob den Einfluss des Mediums Fernsehen verteufelt - mit der Ironie eben, diesen Hass ausgerechnet über einen Riesenbildschirm zu verkünden.
Vor allem fällt auf, dass in Dutzenden von Sequenzen die Globalität lächerlich gemacht wird, die den Kalten Krieg einst bestimmte. Eine vermeintliche Explosion (mit gänsehauterregenden Frozen Sequences) stellt sich als Staubaufbauschen beim Zerfallen der 50er-Jahre-Atombombe heraus und die finale Kamikazeaktion endet witzlos mit einem dumpfen *Puff* auf dem staubigen Boden mitten in der Wüste.
Dass darüber manchmal die Struktur ein wenig zu zerfallen droht, ist in Kauf zu nehmen, das war beim ersten Mal “Dr. Seltsam” gucken schließlich auch so.

EPISODE 10
DIE 138. EPISODE, EINE SONDERVORSTELLUNG (The Simpsons 138th Episode Spectacular)
Deutsche Erstausstrahlung: 27.10.1997
US-Erstausstrahlung: 03.12.1995

Inhalt: Moderator Troy McClure stellt in einem Rückblick bisher nie gezeigte Simpsons-Szenen und -Outtakes vor. Troy beantwortet außerdem Zuschauermails und präsentiert alternative Enden für den Cliffhanger “Wer erschoss Mr. Burns?” (Booklet-Text)
Das Bestreben, auch aus dem schnöden Clipshow-Zusammengeschnipsel ein Höchstmaß an Innovation zu erzielen, erreicht neue Höhen. Der wundervolle Phil Hartman geleitet in Form der nicht minder wundervollen Cartoonfigur Troy McClure als Host durch eine “Sondervorstellung”, die hinter die Kulissen führt und damit einen Metablick auf Springfield gewährt. Die Simpsons-Küche mal mit Scheinwerfern und Zuschauertribüne zu sehen, das hat etwas Ungewohntes und fast Paradoxes an sich. Satire eben, lustvolle Spielerei und irgendwo auch Ironie, die da aufblitzt, wenn eine Zeichentrickserie etwas imitiert, das echte Shows (wie etwa Reallife-Sitcoms) benötigen, eine Trickserie aber eben nun mal nicht - Sets, an denen die Handlungsorte platziert sind.
Dies ist der Rahmen, an dem nach dem bewährten Clipshow-Prinzip mal wieder altes Material aneinander gereiht wird. Diesmal aber überwiegend noch ungesehenes Material, weil nicht etwa beliebte Szenen vergangener Episoden im Zentrum stehen, sondern anno 1995 noch unveröffentlichter Stoff frisch aus dem Schneideraum (der später dann nach und nach auf den DVDs im Bonusmaterial komplett nachgereicht wurde - es lebe das Zeitalter der neuen Medien!).
Sprechen “Best Of”-Szenen ja immer auch irgendwie für sich, weil der Fan sie noch aus ihrem ursprünglichen Kontext kennt, so muss der angesprochene Rahmen diesmal mehr Originalität aufweisen, um den Kram, der ja irgendwann immerhin mal als überflüssig befunden wurde, angemessen zu präsentieren. Und da fällt gleich das Acting des Troy McClure ins Auge. Pseudosensationsgesteuert präsentiert er unser aller liebste US-Familie, um unmittelbar nach den Einspielern bei blöden Gesten wie einem verdutzten Glotzen (ob der miesen, noch von Groening animierten Kurzepisoden aus der Tracey Ullman-Show) oder einem kurzen Nickerchen erwischt zu werden.
Man ist also mal wieder herrlich selbstironisch, insbesondere weil die Animatoren und Autoren sich auch selbst präsentieren. Matt Groening himself etwa als hageren, alten, glatzköpfigen, pillenabhängigen Wüterich, der mit seiner Knarre um sich ballert. Dazwischen schaut man sich gerne das alternative Ende des legendären Zweiteilers “Wer erschoss Mr. Burns?” an. Doch selbst die Schnittmontage bekannter Szenen darf sich als gelungen feiern (exemplarisch zu nennen der Zusammenschnitt der Sofa-Gags oder der Beweis, dass Homer von Staffel zu Staffel dümmer wird, anhand von aufeinander abfolgenden Ausschnitten der ersten Staffeln). Die intellektuelle Klientel bekommt dann noch in den Leserbriefen ihr Fett weg und damit wären alle Gruppen durch. Aber die dürfen das, die verarschen sich selbst ja schließlich am meisten.

EPISODE 11
DAS SCHWARZE SCHAF (Marge Be Not Proud)
Deutsche Erstausstrahlung: 14.11.1996
US-Erstausstrahlung: 17.12.1995

Inhalt: Als sich die Simpsons im Einkaufszentrum für ihr Weihnachtsfamilienfoto ablichten lassen, stellt sich raus, dass Bart ausgerechnet hier beim Diebstahl erwischt wurde. Marge ist total enttäuscht und Bart muss sich anstrengen, um das wieder auszubügeln. (Booklet-Text)
“Das schwarze Schaf” transpiriert wieder eine der moralischen Essenzen, die man auf dem Wege immer mal vorfindet. Freilich verbunden mit dem Weihnachtsfest, dessen kommerzieller Ausverkauf sich ja immer besonders dazu eignet, zu fragen: Worum ging’s da eigentlich nochmal ursprünglich?
So steht mit dem Prügler “Bonestorm” (eine eindeutige Parodie auf brutale 90er-Jahre-Beat-Em-Ups wie “Mortal Kombat) und dessen reißerischer Vermarktung jene Kommerzabteilung als Auslöser ganz am Anfang. Als ein muskulöser Weihnachtsmann, transportiert durch seine blutrünstigen Rentiere, mit einer Bazooka den neuen Messias der Spieleindustrie in die Konsole feuert und Bart wie konditioniert anfängt zu sabbern, wird eines klar: Das kriminelle Kind wird nicht mit seinen Abgründen alleine gelassen, es gibt vielseitige Gründe für den Ladendiebstahl. Einer davon könnte der verwirtschaftete Umgang mit dem Weihnachtsfest sein, verallgemeinert die Kommerzialisierung und ihr Einfluss auf die Sozialisierung von Kindern und Jugendlichen.
Ganz klar besteht kein Zweifel daran, dass nicht alles der Werbung in die Schuhe zu schreiben ist, aber schon dies provoziert ein Gegenargument: Ebenso ist das Kind durch den Diebstahl kein Schwerverbrecher.
Doch die Reaktion des Umfeldes repräsentiert ausnahmsweise mal ein gesundes Gesellschaftsbild im sonst so verpeilten Springfield: Von allen Seiten wird dem Sünder klargemacht, wie falsch sein Handeln war, in einer Bandbreite von Enttäuschung bis Verachtung, so dass das Erlernen der Moral am Ende nicht auf das simple Auswendiglernen einer Regel angewiesen ist (“Du sollst nicht stehlen”), sondern auf Erfahrung.
Die Episode rührt dabei so sehr, weil sie so realistisch wirkt. Die Szenen mit dem Kaufhausdetektiv (gesprochen vom knurrigen Lawrence Tierney) sind nicht zuletzt der oft in Aufsicht gefilmten Kameraperspektiven wegen angsteinflößend, die Szenen zwischen Bart und seiner enttäuschten Mutter mitunter geradezu deprimierend. Wenn man also Kritik übt wegen einer allzu offensichtlichen Aussage, greift man damit womöglich ein wenig zu kurz.

EPISODE 12
HOMERS BOWLINGMANNSCHAFT (Team Homer)
Deutsche Erstausstrahlung: 15.11.1996
US-Erstausstrahlung: 07.01.1996

Inhalt: Homer gründet eine Bowling-Mannschaft und lässt sich von Mr. Burns das nötige Kleingeld zuschießen. Natürlich will der Hauptsponsor dann auch ins Team. Zwischenzeitlich sorgt Barts freches T-Shirt dafür, dass Rektor Skinner die Schuluniform einführt. (Booklet-Text)
Vier willkürlich zusammengewürfelte Springfielder in einem Team, das erinnert stark an die Season-5-Eröffnung “Homer und die Sangesbrüder”. Dabei ist die Willkür allenfalls in Homers Bowling-Team gegeben; der Rest Springfields wird in portionsgerechte Quartette aufgeteilt, von den “Stereotypes”, bei denen die Klischeeherkunft und obligatorische Notwendigkeit gewisser Charaktere durchkommt, bis zu den “Holy Rollers”, bei denen auch mal soziale Strukturen der Serie missachtet werden (Reverend Lovejoy kann den Fanatiker Ned Flanders eigentlich nicht ausstehen), nur damit die Charaktere rein thematisch zusammenpassen.
Während Bart im Subplot mit Hilfe des MAD Magazins einmal mehr die Anarchie auf die Probe stellt und damit auch ein Stück weit die amerikanische Kultur auf die Schippe nimmt (eigentlich sollte es langsam langweilig werden; dass es das nicht wird, ist dem Einfallsreichtum der Scriptwriter zu verdanken) , geht es in der Hauptgeschichte um die Bildung von Einheiten in Form von Freundschaft und Teamgeist.
Der Zusammenhang zwischen diesen beiden Erzählsträngen dürfte oft übersehen worden sein. Auf der einen Seite werden zwei Extreme - die Anarchie und der schulische Militarismus als Zwangsmaßnahme - forciert und gegeneinander ausgespielt. Derweil steht in der Bowling-Geschichte die Freiwilligkeit im Vordergrund und das gegenseitige Bedürfnis der Zusammenarbeit zur Erreichung der wohl größten anthropologischen Maxime: des ökonomischen und sozialen Erfolgs. Der tatterige Mr. Burns - die Autoren setzen diesmal die Schwerpunkte wieder auf seine Altersschwächen anstatt auf seine Macht - stellt dieses Prinzip auf die Probe, an ihm und seiner Aufnahme in die Mannschaft zeigt sich, wie sehr der Teamgeist auf Empathie begründet liegt. Wenngleich insbesondere Homer alle Register zieht, den guten alten amerikanischen Egoismus zu bedienen, so muss am Ende natürlich die Selbstlosigkeit stehen; die moralische Aussage (auch wenn sie Simpsons-typisch gefühlte 20 Mal getwistet wird) muss am Ende stehen. “Team Homer” ist damit nicht gerade die mutigste Folge, angenehm anzuschauen ist sie aber doch, und mit Burns’ drogenbedingter Weckmännchen-Vision ist auch mal wieder ein unvergessener Klassikermoment an Bord.

(Weiter unter "Season 07 / 2")

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