Die Zeit ist reif, befand Bernd Eichinger und produzierte einen Film, der zu den besten deutschen seit einem knappen Vierteljahrhundert, sprich seit "Das Boot" gehören sollte.
Dabei wirkt Eichingers Statement zunächst einmal etwas seltsam. Denn seit jeher entschuldigen sich die Deutschen für das dunkelste Kapitel in der Geschichte ihres Landes und bemühen sich, alles möglichst intensiv aufzuarbeiten. Fast wöchentlich kann man im deutschen Fernsehen Dokumentationen über Hitler, Goebbels, Speer & Co. verfolgen. Kein Land hat sich je so kritisch mit der Vergangenheit ausgesetzt, teilweise auch aussetzen müssen wie Deutschland. Wie kann da also ein weiterer Film über Hitler so viel Bedeutung erlangen, wie Eichinger behauptet?
Doch "Der Untergang" leuchtet grell auf im unendlichen Strom der Filme über den Zweiten Weltkrieg. Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens werden die letzten Tage im Bunker vor dem Freitod eines Wahnsinnigen aus deutscher Sicht geschildert. Zweitens bleibt die Erzählweise erbarmungslos objektiv. Hirschbiegel füllt eine Nische, die andere deutsche Filme, geschweige denn US-patriotische Beiträge wie "Der Soldat James Ryan" versuchen, so weit wie möglich zu umgehen. Denn bisher war der Usus, die Nazis möglichst ohne menschliche Züge darzustellen.
In der Tat stellt sich die Frage, wie menschlich man Hitler zeigen darf. Ist es legitim, die Greueltaten von einem der größten Volksmörder der Geschichte mit dessen humanen Zügen zu vermischen? Darf man die Thematik wirklich derart objektiv auslegen, oder verbietet einem das die Moral?
Diese Fragen haben tatsächlich ihre Daseinsberechtigung, dazu aber später mehr. In jedem Fall entschied Eichinger richtig, die gezeigten Ereignisse auf den Erinnerungen der Zeitzeugin Traudl Junge aufzubauen, deren Rolle im Film dementsprechend den Beobachterstandpunkt einnimmt. Zwar weiß jeder Historiker, dass kalte Fakten aussagekräftiger sind als Aussagen von Zeitzeugen, doch kommt die getroffene Entscheidung der Intention des Filmes am nächsten, zumal ja auch die Fakten berücksichtigt wurden.
So ist Traudl Junge das Medium, die Fensterscheibe zum Geschehenen, das genauso dargestellt wurde, wie es passierte - ohne, dass die Sicht durch die Scheibe von einem roten Schleier verfälscht werden würde. Wie wirkt sich dies nun auf die Thematik aus?
Im Zentrum steht natürlich Hitler. Indem man seine letzten Tage sozusagen ohne Schnitte und aus nächster Nähe verfolgt, wird ein unverfälschter Blick auf seine Person und seine Umgebung gewährt. Die von Hirschbiegel eingefangene Neutralität hat nun den folgenden Effekt: es findet keine Dämonisierung statt. Hitler ist hier nicht das unnahbare Monster, das dem Volk in seiner manipulativen Rhetorik und seiner impulsiven Ausdrucksweise Parolen entgegenbrüllt. Stattdessen sieht man ihn als verständnis- und gar liebevollen Menschen im Umgang mit seiner Sekretärin und auch mit Eva Braun, um ihn gleich darauf in einem irrationalen Wutanfall wegen eines nichtbefolgten Befehls, der Hunderte oder gar Tausende von Soldaten sinnlos in den Tod geschickt hätte, ausrasten zu lassen. Nur so wird die wahre Tiefe seines Irrsinns deutlich. Lässt man die Menschlichkeit außen vor, so wirkt die Darstellung eher wie eine realitätsferne, comicähnliche Überzeichnung, die das Böse an sich darstellt. Hier fehlt einfach die reale Dimension als Indikator für die Bösartigkeit, denn nur an diesem Maß lässt sich die dämonische Seite Hitlers wirklich messen.
Bruno Ganz` Schauspiel dient diesem Zweck auf eindrucksvollste Weise. Im Vergleich etwa mit Robert Carlyle trifft er die Weltfremdheit und den Realitätsverlust seiner Figur um Welten besser. Seine Performance ist fast schon beängstigend, so dass der restliche Cast zwangsläufig etwas blass dastehen muss. Nichtsdestotrotz werden auch hier angemessene Leistungen geliefert. Allen voran wird das Ehepaar Goebbels eindringlich gespielt, was vor allem bei der Ermordung der Kinder deutlich wird.
Paradoxerweise birgt gerade das, was den Film so besonders macht, auch die Gefahr eines folgenreichen Mißverständnisses. Gerade beeinflußbare Jugendliche oder Fanatiker könnten die Intention der Macher bewusst oder implizit mißverstehen, zumal einige Charaktere eine Spur zu sympathisch angelegt wurden. Dass solche Mißverständnisse auftreten können, beweisen bereits diverse Kommentare zum Film und die Tumulte um Neonazis bei einer Kinovorstellung. Wer den Film allerdings mit Verstand sieht, wird die Botschaft - sofern man bei der neutralen Inszenierung von einer solchen sprechen kann - problemlos verstehen.
Noch ein Kritikpunkt zum Filmaufbau sei allerdings angemerkt. Die Idee, im Kontrast zu dem Kammerspiel im Bunker großflächige Kriegsszenen in den Ruinen Berlins anzulegen, ist sicherlich eine sehr passende, da man sie auch als Parallele zu den beiden gezeigten Seiten Hitlers verstehen kann. Leider wird der potentielle Effekt dieser Darstellungsweise nicht vollständig ausgenutzt, was ich mir nur durch Budgetprobleme erklären kann. So fehlte offensichtlich das Geld, um weitflächige Szenen zu inszenieren und damit den Kriegsgigantismus besser darstellen zu können. Bei den Außenszenen sieht man immer nur einige Meter weit. In der Folge bleibt der Kontrast zu den klaustrophobischen Bunkeraufnahmen zu verschwommen, um effektiv wirken zu können.
Dennoch ist "Der Untergang" ein großer Film. Nicht zuletzt auch aufgrund der erinnerungswürdigen Performance von Bruno Ganz, erlangt Hirschbiegels Film seine Bedeutung letztendlich vor allem dadurch, dass er sich in ein Gebiet wagte, das vor ihm nur wenige andere (u.a. "Das Boot") betreten haben, wodurch der Wahnsinn Hitlers besser zur Geltung kommt. Zwar bleibt "Der Untergang" handwerklich beschränkt und seine Darstellung zumindest kritisierbar, doch ist ihm in jedem Fall eine Einzigartigkeit anzurechnen, von denen andere Werke mit ähnlichen Zielen nur träumen können.
Knapp
9/10