kurz angerissen*
Der Prager Frühling kokettiert bereits mit dem Herbst und lässt mit diesem assoziativen Wachtraum seine letzten Knospen in einem Farbenmeer aufgehen. Man hat das Gefühl, die kitschigen Zierränder eines staubigen Märchenbuchs tief aus der mitteleuropäischen Folklore würden den Bildrand umschmeicheln. Jaromil Jireš komponiert seine Einstellungen demzufolge nicht wie Durchgangsstationen für eine gewöhnliche Filmhandlung, sondern eher wie handgefertigte Kunstschnitte, die aktiv durchzublättern sind, möchte man aus ihnen einen Zusammenhang herstellen. Der im klassischen Format 1,33:1 gehaltene Bildausschnitt scheint sich in zwei identische Hälften aufzuteilen; was immer man auf der linken Seite findet, wird sich auf der rechten Seite widerspiegeln. Es entsteht so etwas wie filmische Mitose.
Das sexuelle Erwachen der Hauptfigur, das dank der naiven Spielweise der erst 13-jährigen Jaroslava Schallerová stets ein Widerspruch in sich bleibt, formt sich also Szene für Szene aufs Neue. Jireš erkundet unterschiedliche Wege der Entfaltung und lässt im Zuge dessen die Figuren aus Valeries Umfeld stets Masken tragen oder in neue Rollen schlüpfen. Interessant dabei ist, dass der Avantgardismus der Neuen Welle durchaus das Traditionelle sucht, um gegen die Zensur aufzubegehren. „Valerie“ ist klar beeinflusst vom deutschen Expressionismus, allerdings ebenso sehr von tschechischen Volksmärchen, platzend jedoch vor Allegorien, karikiert durch Fratzen des Horrors oder des Wahnsinns. Blut auf weißem Stoff, schwarze Umhänge, die ein Loch in das helle Tageslicht reißen (ohnehin herrscht ein ungewöhnlich helles Ambiente für einen Vampirfilm...). Der durchdringende Surrealismus aus verlaufenden Farben in synchronen Mustern wird dabei als Ausdruck verstanden, um das von der Zensur Beschlagnahmte wiederzubeschaffen und die Bigotterie des Regimes bloßzustellen. Und er nähert sich unvermittelt. Ein kleiner Schnitt nur, und schon ist alles anders als noch vor Sekunden.
Die Besonderheit liegt darin, dass es trotz der gesellschaftlichen und politischen Lesarten, trotz der teilweise radikalen Mittel aus dem Bereich surrealistischen Horrors und Erotik letztlich ein Kindermärchen bleibt, geprägt von unschuldigem Denken. Fantasie darf hier noch Fantasie sein – erbaut auf zarten Gespinsten und zerbrechlich genug, dass es jede erdenkliche Form annehmen kann.
*weitere Informationen: siehe Profil