Es ist mehr als die reine Verärgerung über einen schlecht geschnittenen und wirr erzählten Horrorfilm, die Kennern beim Rückblick auf die vorletzte Hammer-Produktion auf den Magen schlägt. „Die Braut des Satans“ wird trotz seines relativen Erfolgs an der Kinokasse entscheidend für den Untergang des traditionsreichen Hauses mitverantwortlich gemacht. Das Studio hatte schon lange vorher entschieden, Trends zu imitieren anstatt selber welche zu setzen. Dieser Film ist ein besonders auffälliger Nachweis dieser eingeschlagenen Taktik. Seine überambitionierte, dabei aber völlig konfuse Erzählform wird oft als Zeichen einer Orientierungslosigkeit gedeutet, mit der man sich verzweifelt an das neue Hollywood-Kino um Roman Polanski und William Friedkin klammerte. Nicht ohne Grund sollte man sich gerade solches Kino zum Vorbild nehmen, denn es stand für eine aufregende neue Dimension von Horror, die es erschweren würde, mit dem Finger auf die Kreatur zu zeigen. Das Böse versteckte sich nun raffiniert in den Schatten der Wahrnehmung, um unsichtbar sein zerstörerisches Werk zu verrichten. Seine Fratze offenbarte es aufmerksamen Beobachtern, wenn überhaupt, in einzelnen Frames („Der Exorzist“) oder deutete sie in extremen Close Ups durch einen Teilausschnitt des Ganzen an („Rosemary’s Baby“). Stets im Dienste der Suggestion, die nicht auf der Leinwand, sondern im Kopf des Betrachters ihre finale Gestalt erhält. Am Ende kämpft die Hauptfigur nicht einfach gegen den Teufel, sondern vor allem gegen ihre eigene Einbildung.
Zu den Instrumenten derartig suggestiven Filmemachens, das Hammer in seiner Blütezeit noch völlig fremd war, gehört ein möglichst tief im Realismus verankertes Szenenbild, das dann im Sog der subjektivierten Perspektive einer psychedelischen Verfremdung ausgesetzt wird. Dementsprechend viele Einstellungen von der Londoner Innenstadt mitsamt Themse und Tower Bridge ziehen sich durch die gesamte Haupthandlung dieses wackligem Okkulthorror-Nachzüglers, und zwar in allen möglichen Kamerawinkeln: Zunächst meist klassisch aus der Helikopter-Perspektive wie beim gewöhnlichen Establishing Shot, dann auch vermehrt egoperspektivisch, um den meist verirrten Blickwinkel der Figur zu simulieren, die sich da gerade durch die Menschenmassen zwängt und einer Ohnmacht nahe ist. Mit der starken Einbindung Londons soll gesagt werden: Die bösen Mächte wirken nicht an einem weit entfernten Schauplatz der Fantasie, sondern sie streifen uns am Arm, sobald wir uns aus dem Haus wagen. All das mit dem Ziel, eine existierende Realität zu erschaffen und das Okkulte nicht im Rocksaum eines übernatürlichen Märchens seines Schreckens zu berauben. Für das Studio musste das einen Abschied bedeuten von den Schlössern, Gruften und schwer zugänglichen Herrenhäusern, in denen seine Kreaturen zumeist hausten.
Reales nimmt also den Platz des Präparierten ein und das echte London der Gegenwart wird zum Mittelpunkt eines Teufelskults, der sich hinter der Fassade eines kirchlichen Ordens versteckt. Zu Beginn ist sogar eine kurze Münchener Sequenz zu sehen, die gleich vor Ort in Deutschland von Peter Sykes oder einem seiner Unit-Regisseure gedreht wurde. Entsprechend ist auch eine deutsche Produktionsfirma beteiligt und mit Nastassja Kinski (“Katzenmenschen“) eine deutsche Schauspielerin. Der Amerikaner Richard Widmark in der tragenden Rolle eines Schriftstellers internationalisiert den Cast noch weiter, so dass nurmehr der Kern des Films im Herzen Großbritanniens liegt, seine Gesamterscheinung jedoch von ungewohntem Weltformat bestimmt ist – eine echte Umgewöhnung für die Verhältnisse des Studios, das seinen Horror normalerweise an isolierten Landstrichen wüten lässt. Der Teufel jedoch scheint längst die ganze Welt eingenommen zu haben.
Obwohl der kernige Widmark die Handlung investigativ begleitet und er somit zum Quasi-Hauptdarsteller erklärt wird, ist es doch wieder einmal Christopher Lee, der das Heft in jeder seiner Szenen an sich reißt. Lee, der vom Okkulten bekanntermaßen zeit seines Lebens fasziniert war und eine ganze Bibliothek zu diesem Thema unterhielt, legt in seiner letzten Hammer-Rolle auf 35 Jahre all seinen Enthusiasmus in die Waagschale… um letztlich die grinsende Karikatur eines Satansdieners hervorzubringen, die gerade wegen ihrer Intensität weit weniger diabolisch erscheinen könnte, als sie eigentlich sollte.
Das Problem ist aber nicht Christopher Lee, dessen Totenkopflächeln nach wie vor so manchen Schauer erzeugen kann. Es ist das Patchwork, in das er eingeflochten wird. Geprägt von unzähligen Figuren, denen die Unsicherheit auf die Stirn gebrannt scheint – die blutjunge Kinski als Objekt der Begierde aller Seiten, Denholm Elliott in der Rolle ihres eingeschüchterten Vaters, der von den Trugbildern der schwarzen Magie permanent gepeinigt wird – übernimmt schließlich auch der Schnitt die fragile Anmutung der dargestellten Charaktere und erzeugt mit seinen betont modernen Überleitungen reichlich Konfusion. Stets ist diese gewisse ungeschönte Trockenheit nach Art des aufkeimenden New Hollywood zu spüren, mit der das Übernatürliche in eine kleine Schatulle gesperrt wird. Wenn leichenblass geschminkte Tote mit blutigen Gesichtern Richtung Kamera wanken, muss es sich dabei um eine Wahnvorstellung handeln; reale Gefahr geht wiederum von der manipulativen Kraft des satanischen Anführers aus, wobei nur allzu weltliche Dinge wie Schusswaffen schließlich den Tod herbeiführen. Auffällig allerdings ist, dass Peter Sykes solche dem Suspense-Thriller angehörigen Höhepunkte nicht mit einer Spannungskurbel vorzubereiten gedenkt, so dass sie ebenso spröde und unerwartet verpuffen, wie sie auftauchen.
Mit kompliziert eingeflochtenen Nebenschauplätzen wird dem Plot eine Pseudo-Komplexität angedichtet, wie um der Handlung im Stil eines sich aufwiegenden Kirchenchor-Singsangs zusätzlich Bedeutung zu verleihen, doch letztlich fällt alles auf die simple Prämisse zurück, ein junges Mädchen aus den Fängen eines Kults zu befreien. Im letzten Drittel setzt der Film dann zu seinem finalen Crescendo an, indem er gleich dreifach die eingangs verfasste Regel des Nichtzeigens bricht. Den Anfang macht der Einsatz einer mit Gelenkmechanik bewegten Puppe, deren Hässlichkeit so unbeschreiblich ist, dass wohl erst das missgestaltete Baby aus David Lynchs „Eraserhead“ sie übertreffen würde. Gehorcht sie in der Spiegel-Szene trotz ihres bizarren Äußeren noch dem Takt der Suggestion, so wird sie kurz darauf sehr ausführlich in Szene gesetzt, allein um das Publikum zu schockieren – so wie es die Fortsetzungen des fast zeitgleich entstandenen „Das Omen“ mit ihren von der Reststimmung völlig isolierten Splatter-Einlagen bezweckten. Die gleiche Linie verfolgt eine äußerst freizügig wirkende Kopulationsszene, an der niemand Geringeres als Christopher Lee höchstselbst mit vollem Körpereinsatz beteiligt ist. Der schnelle Schnitt lässt den Kopf des Zuschauers dabei allerdings ganz bewusst zusätzliche Noten spielen. Und in der letzten Szene hat die gerade erst 14-jährige Kinski auch noch eine Frontal-Nudity-Einstellung zu absolvieren. Wie in einer verdrehten Pointe schließt der Film nach diesen Entgleisungen jedoch nicht mit einem selbstbewussten Paukenschlag, sondern mit einem antiklimaktischen Ende, das der fehlenden Linie der Produktion die Krone aufsetzt.
Vergessen werden darf bei alldem aber nicht: „Die Braut des Satans“ weiß die Quintessenz des okkulten Horrorfilms mit seiner konfusen Linie in gewisser Weise ebenso zu erreichen wie der von Meisterhand erzeugte Horror eines Roman Polanski, nur eben auf völlig anderem Wege. Hammers später Versuch, in den anschwellenden Kanon einzusteigen, birgt seine ganz eigenen Vorzüge. Er bietet sich selbst als Betrachtungsgegenstand an, um die Kernthemen des okkulten Horrorfilms zu studieren, denn er steht für das Individuum, das in die Umlaufbahn eines schwarzen Lochs gerät und vom ihm verschluckt zu werden droht. Sein merkwürdiger, völlig ungewohnter Realismus, seine stilistische Inkonsistenz und die skandalträchtigen Würzmittel, all das lässt ihn bei all den Mängeln, die man aufführen könnte, retrospektiv durchaus faszinierend wirken.