Vielleicht drehte Jim Brown im November 1972 in so manchem Hinterhofkino immer noch ein paar letzte Runden, da enterte er die Säle auch schon wieder in einer brandneuen Rolle. Keine zwei Monate waren seit dem Kinostart von „Slaughter“ verstrichen, als „Visum für die Hölle“ an den Start ging, das neueste Star-Vehikel für den charismatischen Ex-Footballer. Es galt schließlich keine Zeit zu verlieren, wenn man möglichst viele Krümel von der dunklen Seite des Marmorkuchens einsammeln wollte. Der Auftraggeber war diesmal nicht American International, sondern Columbia Pictures, doch schon der neue Rollenname „Gunn“ verriet, dass hier niemand vorhatte, das Rad neu zu erfinden. Vielmehr ging es darum, die bewährte Formel erneut auszuspielen, und das bitte so schnell wie möglich.
Und so hat man trotz des neuen Studios im Hintergrund immer ein wenig das Gefühl, man könnte es mit einer inoffiziellen Fortsetzung von „Slaughter“ zu tun haben, denn über die Zeit oder gar das schauspielerische Talent, eine neue Figur zu kreieren, verfügte Brown sicherlich nicht. Wieder steht der Bär von Mann in der Mitte eines Magnet- wenn schon nicht Footballfeldes, das von den Polen Schwarz und Weiß unter Spannung gesetzt wird, um auf der Mittellinie mit leicht erhobenem moralischen Zeigefinger ein Gleichgewicht zu schaffen. Und bei der großen Anzahl an schmierigen weißen Widerlingen, die durch den Film schleichen, kann das nur eines bedeuten: mehr Farbe braucht das Land.
„Visum für die Hölle“ beginnt ähnlich wie „Straße zum Jenseits“ (ebenfalls 1972) mit einem Überfall. Dieses Mal sind es keine Gangster in Polizeiuniform, die in eine Geldübergabe platzen, sondern Maskierte, die sich die Kontenbücher der Mafia unter den Nagel reißen. Das setzt natürlich eine Kettenreaktion in Gang, die genug Verstrickungen liefert, um das Drehbuch bis zum Abspann beschäftigt zu halten.
Nach und nach werden durch die initiale Aktion sämtliche Früchte vom Organisationsbaum des Mobs abgeschüttelt und landen als unverwechselbare Charaktervisagen im Schnüffelmodus auf der Straße. Martin Landau, der erst zwei Jahre zuvor eine Schlüsselrolle im Sidney-Poitier-Krimi „Zehn Stunden Zeit für Virgil Tibbs“ eingenommen hatte, wird dabei eine besonders skurrile Einführung zuteil, spielt er doch einen hochrangigen Mafia-Capo, der aber in einer seiner ersten Szenen als quacksalbernder Autohändler in Erscheinung tritt, der gerade einen Werbeclip fürs Fernsehen dreht. Ein geschickter Aufbau, denn was an der Oberfläche nach einem lästigen Aufschneider der Marke Kurt Russell in „Used Cars“ (1980) aussieht, steht in Wirklichkeit für die Intransparenz, wie man sie oft mit dem Missbrauch von politischer Macht konnotiert. Weil Landau für diese Rolle nicht viel von seinem überschäumenden Talent investieren muss, wird er also fast ohne schauspielerischen Aufwand zu einem der prägenden Gesichter des Films. Ähnliches kann man von Bruce Glover behaupten, der als Mann fürs Grobe zwar nicht die Gangsterboss-Ambitionen eines Rip Torn aus „Slaughter“ aufweist, ansonsten aber mindestens ebenso hässlich-charismatisch seinen Abdruck hinterlässt, wenn er mit seiner rüpelhaften Truppe durch die schwarzen Viertel streift. Gleich in deren erstem Auftritt wird ein Afroamerikaner nicht nur auf offener Straße zusammengeschlagen und -getreten, sondern zunächst auf widerlichste Weise mit Worten und Gesten erniedrigt.
Der allgemeine Tonfall ist damit auch schon etabliert, denn die weißen Charaktere nehmen kein Blatt vor den Mund und lassen ihren Rassismus relativ unverhohlen walten, was auf der anderen Seite wiederum zu Gegenschlägen provoziert. Ob sich eine Szene nun im schwarzen Lager der „Black Action Group“ (einer weiteren Black-Panther-Abzweigung) abspielt oder in den Hinterbüros der Mafiosi, die Dialoge sind durchweg geschwängert von abfälligen Bemerkungen gegenüber der jeweils anderen Hautfarbe. Wo „Slaughter“ jedoch Genre-Schablonen als Ventil nutzte, um die aufgestauten Aggressionen zu entladen, da meidet „Visum für die Hölle“ diese Option zumeist und bleibt seltsam gehemmt in seinem Ausdruck. Man steht aufgrund der grobschlächtigen Aufarbeitung von Rassenthemen immer noch in einer Verwandtschaft zur Blaxploitation, aber einer Spielart davon, bei der die zur Verfügung stehenden Mittel reißerischer Unterhaltung nur selten genutzt werden. Die Alternative wäre gewesen, einen semi-dokumentarischen bis realistischen Stil zu wählen, dafür wiederum beinhaltet die Story aber doch wieder zu viele Pulp-Elemente, so dass am Ende der Eindruck von Unentschlossenheit entsteht, als habe man nicht so recht gewusst, welche Stimmung man eigentlich bedienen wolle.
Mindestens ungewöhnlich ist in diesem Zusammenhang auch die Wahl des Regisseurs ausgefallen. Aus heutiger Perspektive ist jedenfalls schwer nachvollziehen, wie man ausgerechnet auf Robert Hartford-Davis kam, einen britischen Regisseur, der nie zuvor in den USA gedreht hatte, sondern eher dafür bekannt war, in der Heimat altmodische Gothic-Gruselschinken wie „Das Grauen auf Black Torment“ oder Swinging-Sixties-Horror wie „Die Bestie mit dem Skalpell“ zu inszenieren. Dass ein frischer, vorurteilsfreier Blick von außerhalb der Blase afroamerikanischer Kultur dabei helfen kann, selbige zu verstehen, hat etwa Jack Hill mit Unterstützung von Pam Grier in „Coffy“ oder „Foxy Brown“ gezeigt, wo die jeweilige Protagonistin sich zwar durch einen Reißbrett-Actioner kämpfen musste, dabei aber als Main Character überraschend einfühlsam geschrieben war. Diese Einfühlsamkeit mag auch Hartford-Davis in sich tragen, er äußert sie aber auf gewöhnungsbedürftige Weise, besteht sein Ansatz doch lediglich darin, einen lautstarken verbalen Schlagabtausch zwischen Schwarz und Weiß zu koordinieren, der hin und wieder auf der Leinwand in Kollisionen aus Faustschlägen und Mündungsfeuer endet.
Ein Jim Brown ist aber eben auch keine Pam Grier, das schematisierte Holzschnitt-Profil eines schwarzen Vorstadt-Bond oder eines Ahnen aus der Reihe Bronson und Statham steht ihm wesentlich besser als der psychologisierte Charakterbogen, den das Skript eigentlich benötigt hätte, damit die Hauptfigur als Vermittler wirklich funktioniert. Eingekesselt zwischen den Fronten wirkt er trotz seiner physischen Präsenz und seiner unübersehbaren Autorität immer ein wenig fehl am Platz, fast so, als wäre er in seiner aktiven Zeit vom Running Back auf die Center-Position geschoben worden. Im Zweifelsfall flüchtet sich Brown in seine Womanizer-Qualitäten, gerne im schnittigen Sakko, im lässigen Rüschenhemd oder gleich ganz oben ohne. Dass Brown eigener Aussage nach das Studiosystem dazu benutzt haben soll, die seit Jahren von ihm erfolglos umworbene Brenda Sykes als seine Partnerin in einer Liebesszene zu gewinnen, klingt nicht bloß nach heutigen Maßstäben befremdlich, anders als im locker-leichten „Slaughter“ wirken die entsprechenden Szenen ob des dramatischen und bisweilen harten Grundtons auch im finalen Ergebnis wie Fremdkörper, ganz anders als die gemischtrassige Liebesszene mit Stella Stevens im Vorgänger, die aufgrund ihrer verbindenden Funktion sogar eine Schlüsselszene war. Dabei schlummert in dem Subplot um die Aktivitäten von Gunns Bruder Scott (Herbert Jefferson, Jr.) eine Menge Potenzial für tragische Entwicklungen, das aber wohl nur mit einem anderen Darstellertypen als Brown hätte ausgeschöpft werden können.
Aufgrund der markanten Visagen, der direkten Konfrontationen mit offenem Visier und der kaltschnäuzigen Vorgehensweise landet „Visum für die Hölle“ trotzdem noch im qualitativen Mittelfeld und richtet sich vor allem an ein solches Publikum, dem der Exotik-Faktor von „Slaughter“ eine Spur zu drüber war. Diesmal ist alles eine Ecke zäher; der Verdauungstrakt muss da schon härter arbeiten, um mit diesem widerspenstigen Stück Black Cinema fertig zu werden. Ein paar Tuben Ketchup helfen dabei.