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Review

Wer sich von dem DVD-Slogan “Der witzigste Film des Jahres” leiten lässt, ohne über dessen tiefere Bedeutung nachzudenken, könnte mit “American Splendor” gehörig auf die Schnauze fallen. Es ist keine simple Komödie, die uns hier aufgetischt wird. Und schon mal gar nicht ist es simpel. Eher das komplette Gegenteil.

“American Splendor” ist ein Feuerwerk an Film-Formalität und für sich genommen beinahe ein eigenes Subgenre der Filmbiografie. Irgendwann im Film fällt die Bemerkung, dass das Leben gleichermaßen banal wie kompliziert ist. Und genau darin liegt die Faszination. Für Comictexter Harvey Pekar, den Erzählgegenstand, macht jener schmale Grat zwischen Einfachheit und Kompliziertheit die Daseinsberechtigung seines Comic-Konzeptes aus. Ein Anstinken gegen die ach so aufregenden Abenteuer, in die Stan Lee und Konsorten ihre imaginären Helden schicken. “Nein, Mann!” würde Pekar sagen. “Das ist doch alles Scheiße!”

Pekar selbst erzählt in einer Ausgangsposition hinter den Kulissen die Geschichte, für die Charakterdarsteller Paul Giamatti verpflichtet wurde, um Pekar darzustellen. Interviewartig, mit einem Off-Kommentar dann irgendwann in die Story eintauchend. Der Hintergrund ist komplett weiß, wie ein unberührtes Comic-Panel, nur ein paar bedeutungslose Props stehen herum; ein Tisch, ein Stuhl, ein Mikrofon. Der Moment der Erzählung ist so bedeutungsfrei wie ein leeres Blatt Papier. Worauf es ankommt, ist die Erzählung selbst, die Geschichte.
Dann geht’s ab, eine Reise in die Vergangenheit. Nach einem kurzen Ausflug in die Jugend erfahren wir, dass Pekar sich als Junge schon einfach wie Pekar fühlte. Das reichte ihm, während die anderen Kinder sich zu Halloween in die Fantasie stürzten. “Und wen sollst du darstellen?”, fragte die nette Dame mit den Süßigkeiten. “Ich bin Harvey Pekar.”, antwortete der kleine Junge, als einziger ohne Kostüm. “Pekar? Ich kenne keinen Pekar.”, entgegnete die verwirrte Dame. “Ach, vergessen Sie’s!”, schmollte der Junge und ging ohne Süßigkeiten davon.

Schließlich treffen wir auf Paul Giamatti, einen heiseren Pekar der 70er und 80er Jahre spielend. Seine Stimme, im Deutschen übrigens für Giamatti ungewohnt, aber für seine Rolle höchst markant und passend mit der Ray Liotta-Synchronstimme Udo Schenk besetzt, hat sich komplett verabschiedet; wohl auch nach dem Versuch, sich der Welt begreiflich zu machen. Der biografische Filmpart macht sich bemerkbar, wenn Pekar beispielsweise erstmals auf Robert Crumb trifft, der mit “Fritz the Cat” schon den üblichen Comic-Mechanismen spottete und diese mit zynischer Satire aufbrach. Eine perfekte Symbiose entsteht, wenn der eigensinnige Zeichner sich mit dem exzentrischen Storywriter zusammentut, um ein Konglomerat namens “American Splendor” hervorzubringen.

Die reine Biografie des Harvey Pekar wird nun recht chronologisch und bisweilen sogar abrupt und übereilt abgehandelt, was aber nicht mehr ist, als das Tempo, das der “American Splendor”-Erschaffer in seinem Leben selbst vorgegeben hat. Hier eröffnet sich nun der Unterschied zu anderen Biografien. “Ali”, “Blow”, “Private Parts”, “A Beautiful Mind”, eigentlich so ziemlich alle mir bekannten Filmbiografien legten - verständlicherweise, denn wie sollte man es sonst machen? - den Werdegang der Person in den Vordergrund und bemühten sich, anhand der stilistischen Erzählweise dem Menschen gerecht zu werden, über dessen Leben berichtet wurde. Das läuft hier komplett anders. Der Bio- Teil ist - und Hochachtung, denn die Regisseure Shari Springer Bergman und Robert Pulcini haben tatsächlich einen Weg gefunden, es anders zu machen! - nur ein Stück in einem übergreifenden Knäuel aus ineinander verstrickten Formalia, in deren Verlauf sich jegliche Realitätsebenen zwischen Realität, Vergangenheit und Comic-Reflexion miteinander vermischen.
Chronologische Abhandlung des Werdegangs: Banal.
Formelle Ausrichtung der Erzählweise: Kompliziert.

Das sieht nun so aus, dass beispielsweise immer wieder Bemerkungsfelder in der oberen rechten Ecke eingefügt werden und das Leben des Harvey Pekar damit zu einem Comic gemacht wird. Oder es sieht so aus, dass die Abfolge nicht mehr zurückzuverfolgen ist und man nicht mehr sagen kann, ob sich der Comic nun aus Pekars Leben ergibt oder sein Leben aus dem Comic. Denn wenn Pekar beginnt, seine Freunde, seine Feinde und sein komplettes Umfeld in seinem Comic zu verarbeiten, vermischen sich die Grenzen der deduktiven Abfolge, und man vermag nicht mehr zu sagen, was aus wem entsteht und ob man den Comic und das reale Leben überhaupt noch als getrennte Variablen betrachten darf.

Hinsichtlich dieser Thematik erlebt der Film den absoluten Höhepunkt in dem Moment, wo Pekar mit seiner Frau ein Theaterstück besucht - ein Theaterstück über sein eigenes Leben. Wir sehen eine Szene, nach dem Film-im-Film-Konzept von Theaterschauspielern nachgestellt, die wir kurz zuvor bereits zwischen den Schauspielern Paul Giamatti und Hope Davis sehen konnten, welche ja selbst aus Sicht des Zuschauers und des echten Harvey Pekar nachgestellt ist. So kompliziert, und eben doch so einfach, denn es geht in dieser Szene um nicht mehr als das Zusammenfinden zweier Außenseiter, die lieber geradlinig ihren eigenen Weg gehen, anstatt sich den von der Gesellschaft selbst auferlegten Umwegen bestehend aus sozialen Konventionen hinzugeben. Dass Harvey und Joyce nach nur einer knappen Woche des Kennenlernens schon heiraten, passt da ins Konzept, denn warum kompliziert, wenn es auch einfach geht?

Für die Szenen in der David Letterman-Show verwendete man zunächst perfekt in den Film integrierte Originalaufnahmen, was auf den ersten Blick sehr verwirrt. Paul Giamatti geht von hinter den Kulissen raus auf die Bühne, während der Zuschauer mit Hope Davis hinter den Kulissen bleibt und die Show über einen Fernseher mitverfolgen kann. Und so wie Giamatti rausgeht, sehen wir auf dem Bildschirm plötzlich den echten Pekar und überlegen kurz, warum der Kerl über die Mattscheibe so anders aussieht. Die Tatsache, dass wir da erstmal verwirrt sind, zeugt zunächst einmal von der grandiosen Leistung des Paul Giamatti, denn wie er die Verhaltensweisen seines Charakters imitiert, hat höchste Klasse.
Dann hat die Szenerie für die Filmaussage auch noch eine Bedeutung: Im Lichte der Oberflächlichkeit des Saturday Night-Entertainment hat Pekar ein ganz anderes Gesicht. Hier ist er ein Zerrspiegel seiner selbst, und Pekar dürfte sich beim Ansehen des Films in den Momenten von Giamattis Auftritten selbst besser wiederfinden als in diesen realen Dokumenten. Erst beim letzten Auftritt, wo Giamatti sich komplett gegen Letterman, gegen den Sender, gegen das Publikum und gegen das ganze System stellt, ist es Giamatti, der die Rolle spielt, weil Pekar hier erstmals sein unverfälschtes Gesicht in der Öffentlichkeit zeigt (wenn halt auch die tatsächlichen Gründe für die Vorenthaltung der Eklat-Show banalerer Natur waren).

Die Stimmung des Films ist grundlegend ernst, fast sogar melancholisch, wobei der Humor sich in trockenem Zynismus verpackt preisgibt. Will man unbedingt Parallelen ziehen und Schubladen bemühen, wäre wohl “Lost in Translation” noch der beste Vergleich, wenn es darum ginge, das Feeling wiederzugeben; wobei dort jener Zynismus fehlt. Im Mittelpunkt steht nun mal das Leben, das im Falle von Pekar seine ganz eigenen Wege geht und daher oft von Isolation geprägt ist; selbst die Zweisamkeit des Paares Harvey und Joyce wirkt auf den Zuschauer, der andere Verhaltensweisen gewohnt ist, glatt und unterkühlt. In Nebenplots rund um die restlichen Charaktere aus dem Umfeld des Storywriters wird das noch weiter ausgeführt, wenn etwa Judah Friedlander als Toby einen klassischen Outsider gibt, der in dem Film “Revenge of the Nerds” (oder ähnlich) seine persönliche Offenbarung erlebt, für den fern jeglichen Realismus stehenden Charakter des Films von Pekar aber dafür gerügt wird, dass er sich in Traumkonstrukten verliere.
Schließlich wird sogar die Krebserkrankung angesprochen, auf die Pekar gemäß seinem Wesen sofort mit Resignation reagiert, bis sein Umfeld, vor allem seine Frau, ihm rät, auch dies in den Comics zu verarbeiten.

Der Schlussgag zieht dann sogar den Zuschauer selbst in die Story, wenn Pekar ein Fazit über sein Leben zieht und sagt, dass letztlich auch der Film und sein Einspiel ihm dabei helfen könne, über die Runden zu kommen und nach seiner Rente noch ein paar Jahre in Gesundheit verbringen zu können. Das komplettiert die Rosen-gleiche Vielschichtigkeit dieses kleinen Kunstwerkes, das es versteht, sich dem Strom der Masse zu entziehen und eine sehr individuelle Geschichte vorzulegen, die sich im Leben des Harvey Pekar gleichermaßen spiegelt wie in der Darstellungsweise dieses Lebens durch die Filmemacher. Wer auf eine Komödie im eigentlichen Sinne aus ist, sollte Abstand von “Americsan Splendor” nehmen - sowohl vom Comic als auch vom Film. Wer auf Übernatürliches aus ist, wer eine Abwechslung vom Alltag haben will, geht in den nächsten Comicladen und lässt “American Splendor” links liegen, um sich für das neueste “Spider-Man”-Abenteuer zu entscheiden.
Wer jedoch das unverfälschte Leben resümiert sehen will, wer zwischen der Banalität des Lebens und seiner gleichzeitigen Kompliziertheit hin- und hergerissen ist, wer zudem einen Platz für Independent-Projekte in seinem Filmkosmos übrig hat, der ist herzlich willkommen in dieser Geschichte über das Leben, die es ebenso verdient hat, verfilmt zu werden, wie Science Fiction - wenn nicht sogar noch ein bisschen mehr.

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