Von all den Schlachtereien weg, jetzt mal wieder zu was Künstlerischem hin, aus gut abgehangener Zeit.
Zu den Filmen, die vom seligen „Lexikon des Horrorfilms“ damals in den 80ern, nicht nur beleidigt, sondern auch mittels eines knappen Satzes weggeputzt wurden, gehört sicherlich „Voices“ aka „Stimmen“, der Verfilmung eines Bühnenstücks von Richard Lortz.
Dabei handelt es sich im Grunde um ein 2-Personen-Stück, welches nur durch ein paar Gastauftritte aufgewertet wird und daher muss man auch schon ein Faible für das künstlerisch-unheimliche Kino der frühen 70er haben, wenn man sich wirklich gut amüsieren will.
Zunächst mal: es beginnt prachtvoll.
Die praktisch dialogfreie Eingangssequenz beschreibt den Bootsurlaub eines jungen Paares mit Kind (Gayle Hunnicutt, David Hemmings), die mit ihrem kleinen Sohn durch die Natur schippern. An einem Wehr legen sie an und nach einem kleinen Ausflug ziehen sich die Herrschaften in die Kabine zurück, um mal so richtig zu entspannen. Derweil hat man dem kleinen Sohn eine Schwimmweste angezogen und ihn auf die Wiese geschickt – und was macht so ein goldiger Sechsjähriger? Er krault 5 min einen Hund, zieht dann dödelig die Weste aus, um im Anschluss flöten zu gehen. Das belastet so eine Ehe nicht zu knapp, denn die Leiche wird nie gefunden. (Gut, Entführung wäre auch möglich.)
Diese 15 Minuten haben – sicherlich zufällig, da im gleichen Jahr produziert – etwas verblüffende Ähnlichkeiten zum berühmten Intro von „Wenn die Gondeln Trauer tragen“, nur ohne die übernatürlichen Untertöne. Lichtgebung, Stimmung, Kamera und Akustik weisen Parallelen auf und bis zum Vorspann ist das Ergebnis wirklich beeindruckend.
Eine Montage zeigt uns dann die Folgen aus Verzweiflung, Selbstzerfleischung, Suizidversuchen und Entfremdung – bis zur Einweisung in die Nervenklinik. Als der eigentliche Plot einsetzt, ist die gute Claire wieder entlassen, aber die Stimmung bleibt angespannt. Darum entscheiden sich die beiden für ein Weekend auf dem Lande im Haus ihrer verstorbenen Tante. Angespannt eiert man durch den Nebel (ich wäre keinen Schritt gefahren), bis man sich schließlich durch den Wald schlagen muss, um am Ziel anzukommen.
Und genau da ist die Sollbruchstelle: sobald die beiden das Haus betreten, wähnt man sich nicht mehr in einem cineastischen Werk, sondern in einer britischen TV-Produktion, da der Raum, in dem der Hauptteil des Restfilms spielt, offenbar ein Studioset ist, welches einer Bühnenszene nachempfunden ist – und genauso reduziert bespielt wird. Wenn die Eheleute nun das Diskutieren anfangen (sie leidet, er möchte halbwegs zur Normalität zurück und auch mal wieder Körperkontakt), dann wirkt das überraschend aufgesagt und theatralisch. Und viel schlimmer noch, der zentrale Konflikt tritt die ganze Zeit auf der Stelle, da bringen auch die „Stimmen“ nichts, die dann noch von Geistererscheinungen begleitet werden. Letzteres mag hier toll klingen, sind aber einfach nur veraltet kostümierte Kinder aus dem viktorianischen Zeitalter, die vor sich hinsingen oder später kurz mitdiskutieren. Das alles treibt die gute Claire natürlich in ihrer Schuldtrauer noch weiter über die Klippe, bis endlich der Tag anbricht.
Was im Lexikon steht, verkneife ich mir hier mal – es ist genau der finale Plottwist, den wir aber alle eigentlich lange und klar trotz Nebel sehen können, wer zudem „The Others“ gesehen hat, wird sich fragen, wer hier von wem abgeschrieben hat. Das ergibt zusammen leider nur einen sehr uneinheitlichen Film, nicht langweilig, aber viel mehr Ehedrama als Mystery, wobei das immergleiche Verweigern Hemmings und die Abgehobenheit Hunnicutts natürlich nicht zur Eherettung taugen.
Bei den meisten wird „Voices“ vermutlich als „langweilig“ durchgehen, aber der Film hat ein starkes erstes Drittel und wenn man sich von dem TV-Spiel-Bühnenlook lossagen kann (was mir selbst nicht gut gelang), dann kommt der Film noch stabil ans Ziel. Aber etwas mehr atmosphärischen und visuellen Pfiff und weniger brav-hölzerne Zeitebenenverschiebung hätte es dann doch sein dürfen. (6/10)