kurz angerissen*
Eine Frau (Luciana Paes) spricht in die Kamera. Doch sie spricht nicht zu uns; ein Headset ist um ihren Kopf gelegt. Sie ist offenbar Telefonistin und soll wahllose Haushalte von den Vorteilen einer „SilverCard“ überzeugen. Einem Mann, den sie gerade am Telefon hat, sagt sie mechanisch ihren Werbetext auf. Der Mann reagiert verärgert ob des unerwünschten Anrufs, wird zynisch und schließlich persönlich. Doch die Telefonistin bleibt in ihrer Rolle, womit sie den Vorgaben ihres Arbeitgebers nachkommt. Was weder der Arbeitgeber noch der Mann am Telefon sehen können: Die Frau wird durch die Beleidigungen seelisch verletzt. Ein Musterbeispiel für fehlgeschlagene Kommunikation mit unbeabsichtigten Kollateralschäden.
Schon anhand dieser ersten Szene werden die thematischen Grundlagen sichtbar, die Gabriela Amaral offenbar stark genug beschäftigten, um sie in späteren Arbeiten weiter zu erkunden. Für diesen Kurzfilm ist es eine bildhafte, fast wie ein Sprachspiel von Wittgenstein präsentierte Eröffnung für ein noch wesentlich komplexeres Erkundungsgebiet, das in einer schlecht organisierten Kindergeburtstagsparty gefunden wird. Dunkel ausgeleuchtet wie in einem David-Lynch-Alptraum, die Partygäste symmetrisch im Bildkader positioniert wie bei einer Theaterinszenierung, bleibt jede kindliche Spontanität und Authentizität ein reines Phantasma. Ein solches schwebt im Raum durch die Bemühungen der anwesenden Erwachsenen, die „so tun“ müssen, als sei die Veranstaltung mit bloß einem Gastgeber und einem Gast ein großer Spaß, obwohl es das ganz offensichtlich nicht ist. Ein tanzender Animateur im Bärenkostüm setzt der Falschheit der Situation die Krone auf.
„Die Hand, die hält“ zeigt eindrucksvoll auf, wie man bereits im Kindesalter lernen muss, Rollen anzunehmen, um den Schein der Normalität zu wahren – und wie man auch im Erwachsenenalter an der früh gelernten Verweigerung von Individualität und persönlichem Ausdruck oft zu ersticken droht. Luciana Paes, die fünf Jahre später auch in „The Friendly Beast“ als Hauptdarstellerin glänzen würde, gelingt es über Mimik und Gestik, die Gefangenschaft in sozialen Mustern nahe an den Zuschauer heranzutragen. Unterstützt wird sie dabei von guten Nebendarstellern, einer hervorragenden Kameraarbeit, stimmungsvoller Ausleuchtung und einer geschmackvollen Auswahl an Metaphern, die zwar in der hier verwendeten Ausführung nicht mehr zu den neuesten Instrumenten des Bildhauers gehören, jedoch fachkundig eingesetzt werden.