2018 „Creed II" oder „Wie die Väter, so die Söhne" (Sly Nr. 42)
Wenn es jemand geschafft hat seine Lebensgeschichte praktisch parallel auf der Leinwand zu erzählen, dann ist es Sly Stallone. Wie sein Erfinder, kommt der etwas einfältige aber grundsympathische Rocky aus tristesten Verhältnissen und schafft es dank eines unbändigen Siegeswillen bis ganz nach oben. Dort angekommen wirkt er irgendwann satt, behäbig und auch ein bißchen arrogant und nicht wenige gönnen ihm den unweigerlichen Absturz. Aber der Boxer verfügt über die seltene und unschlagbare Kombination aus Nehmerqualitäteten, Selbstreflexion, Disziplin und vor allem ein übergoßes Kämpferherz. Diese Qualitäten teilt er übrigens mit Ex-Rivale und inzwischen Langzeit-Buddy Arnold Schwarzenegger. Sein fulminantes Comeback im reiferen Alter mag für einige völlig unerwartet gekommen sein, ist aber beinahe schon logisch. Stallone ist wie sein Alter Ego Rocky ein Stehaufmännchen, ein Kämpfer vor dem Herrn, aber eben auch ein beinharter Arbeiter. Harte Treffer steck er wie nichts weg und selbst nach brutalen Knockouts steht er immer wieder auf.
So auch nach dem ebenso missglückten wie enttäuschenden "Rocky V" (1990), als die Reihe sang und klanglos auszutrudeln drohte. Stallone brauchte eine Weile um sich zu sammeln und den Kern seiner Leinwandpersona (und damit seiner eigenen) wieder frei zu legen. Das Ergebnis war der dramaturgisch tiefgründigste, emotional berührendste und autobiographisch treffendste Teil seit dem Original: "Rocky Balboa" (2006). Damit schien endgültig alles gesagt, aber dann begann der altersweise Stallone an sein Vermächtnis zu denken und was wäre da geeigneter als eine Staffelübergabe an einen würdigen Nachfolger? Also schnürte er erneut die Boxhandschuhe, diesmal als Mentor und Trainer des Sohnes seines besten Freundes. „Creed" (2010) war trotz der eindrucksvollen Performance von Michael B. Jordan als Apollos ungehobelter Sprössling vor allem Stallones Film und trug nicht zu Unrecht den voll ins Schwarze treffenden Untertitel „Rocky´s Legacy". Der Lohn waren eine erneute Oscarnominierung (wie schon anno 1977) und ein dritter Karrierefrühling. Nach einer solchen Revitalisierung und frei nach dem Saga-Motto „Weiter! Immer Weiter!" musste dann natürlich auch „Creed" in die zweite Runde gehen um den Mythos endgültig in der Gegenwart zu verankern.
Die von vielen zunächst als Scherz aufgefasste Idee für „Creed II" zentrale Motive aus „Rocky IV" (1985) aufzugreifen, ist bei genauerer Betrachtung mindestens so einleuchtend wie clever. Das Vater-Sohn-Motiv zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Serie. Angefangen beim bärbeißigen Ziehvater-Trainer Mickey (Rocky I-III), über die Wachablösung durch den einstigen Rivalen Apollo (Rocky III-IV), bis hin zur eigenen Verantwortung als Trainerfreund und Mentor (Rocky V, Rocky Balboa, Creed) definierte sich Rocky immer auch durch diese familienähnlichen Beziehungskonstellationen. Der Gedanke seinen Ziehsohn gegen den Sohn des Mannes kämpfen zu lassen, er einst seinen Vater im Ring getötet hatte, ist vor diesem Hintergrund ein grandioser, aber eben auch absolut logischer Einfall.
Jetzt gilt „Rocky IV" vielen noch immer als trashigstes Sequel, das durch eine mitreißende Videoclip-Inszenierung und eine gandenlose Schwarz-Weiß-Malerei dem Zuschauer seine simplen und reaktionären Botschaften sehr geschickt unterjubelt. Nicht nur in Fankreisen beginnt sich dieses harsche Urteil allerdings zunehmend aufzuweichen. Tatsächlich ist der vierte Teil mit am besten gealtert und besitzt durch die Kombination aus 80er-Charme und poppiger Action-Choreographie einen unwiderstehlichen Unterhaltungswert. Die Mechanismen des Kalten Krieges sind heute Teil der Geschichte und in der Rückschau gar nicht mal so verkehrt dargestellt - wenn auch relativ deutlich aus rein amerikanischer Perspektive. Die Fallstricke für ein direktes Anknüpfen waren natürlich dennoch ganz erhablich, zumal der grimmig-melancholische „Creed" einen ganz anderen Ton angeschlagen hatte, als das knallige Popart-Spektakel von 1985.
Sämtliche Befürchtungen waren indes unbegründet, denn wenn einer Figur und Reihe kennt, dann Stallone. Er selbst hat das Franchise erst fit für die Zukunft gemacht und neu ausgerichtet und wäre sehr schlecht beraten, diesen Erfolg mit ein paar billigen Reminiszenzen wieder aufs Spiel zu setzen. Man vergisst auch gern, dass in Stallone ein sehr begabter Drehbuchautor schlummert, der ein feines Gespür für Emotionen und dramatische Zuspitzungen besitzt. „Creed II" liefert dafür mal wieder reichlich Beweise. So macht er aus der tumben und eindimensionalen Kampfmaschine Ivan Drago einen Halb-Sympathieträger, indem er ihn als gebrochenen, von System und Familie verstoßenen alten Mann skizziert, dessen einzig relevanter Antrieb nur noch der mögliche Boxtriumph seines Sohnes ist. Seinem Expendables-Kumpel Dolph Lundgren bietet er damit eine Bühne, sein Minimalisten-Schaupiel aus Rocky IV vergessen zu machen, eine Vorlage, die der alte Schwede auch trefflich nutzt. Auch wenn wir hier jetzt nicht von Heat-Dimensionen sprechen wollen, aber das Zusammentreffen von Rocky und Drago beim Italiener um die Ecke ist ein ganz besonderer Moment.
Und es gibt noch mehr Futter für Freunde des Jahrhundertkampfes. Man glaubt es kaum, aber da taucht doch tatsächlich Brigitte Nielsen auf und reaktiviert Ludmilla. Schade, dass ihre Szenen nicht ausgebaut wurden, aber angesichts der früheren Beziehung zu Sly (Blitzehe mit ebensolcher Trennung) und Nielsen´s Dschungelabenteuern ist allein ihr Mitwirken eine faustdicke Überraschung. Nett auch, dass Adonis und Viktor zunächst in Vegas gegeneinader antreten (wie einst Apollo gegen Drago) und der Rückkampf in Russland stattfindet (wie einst Rocky gegen Drago). Zum Training geht es diesmal nicht in die verschneite, sondern in die verdörrte Einöde, das Prinzip indes ist dasselbe. Wieder heißt es „back to the roots", was auch den Kampf gegen die unwirtlichen Elemente beinhaltet. Und schließlich ist auch Dukes Sohn Tony mit von der Partie und trainiert Apollos Sohn.
Natürlich ist das alles sehr vorhersehbar, weil dramaturgisch von Teil 4 abgepaust. Dennoch bleibt es packend und mitreißend und das hat vor allem zwei Gründe. Michael B. Jordan und Stallone sind wie schon im Vorgänger ein perfekt harmonierendes Team, das sich gekonnt die Bälle zuspielt. Hier der altersweise, in sich ruhende und empathische Rocky, dort der ungestüme, zwischen Selbtszweifel und Selbstüberschätzung hin und her gerissene Adonis. Ausgleichende Zurückhaltung trifft auf nervösen Ehrgeiz, was durchweg für Spannung sorgt.
Die entsteht auch durch das leitmotivische Väter-Söhne-Thema. Drago will seine Schmach und den darauf folgenden Absturz mit Hilfe seines Sohnnes vergessen machen. Adonis will den Tod seines Vaters rächen, gleichzeitig aber auch endlich aus dessen Legenden-Schatten treten. Rocky selbst hat ebenfalls ein belastetes Verhältnis zu seinem Sohn (er hat bisher nicht einmal seinen Enkel zu sehen bekommen) und sucht durch die väterliche Beziehung zu Adonis auch ein Stück weit nach Absolution.
Bei all diesen komplexen und konfliktbeladenen Konstellationen bleiben die Frauen weitestgehend am Rand. Der Versuch dieser Diskrepanz durch die Aufwertung der Beziehung zwischen Adonis und seiner Freundin Bianca (Tessa Thompson) entgegen zu steuern, wirkt allerdings arg bemüht. Tatsächlich bremsen diese Szenen den Film immer wieder aus bzw. verschleppen das Tempo. Die Figur Bianca wirkt bisweilen sogar etwas nervend und die Vielzahl an typischen Stationen (Heiratsantrag, Karriereplanung und Schwangerschaft) für das ansonsten sehr fokussiert angelegte Boxdrama eher unpassend. Exemplarisch dafür ist die Sequenz in der festgestellt werden soll, ob das Neugeborene die Hörstörung seiner Mutter geerbt hat. Die Dramatik wirkt aufgesetzt und ist mehr Fremdkörper denn Vertiefung. Wie bereits erwähnt, wäre da ein intensiverer Blick auf Ludmilla deutlich interessanter gewesen.
"Creed II" hat damit insgesamt etwas das Nachsehen gegenüber dem strafferen und zielgenaueren Vorgänger. Die vielen Anspielungen auf bzw. die geschickten Verknüpfungen mit „Rocky IV", das erneut stark aufspielende Duo Jordan-Stallone sowie die wieder einmal mitreißend choreographierten Boxkämpfe machen aber auch diesen Rocky-Ableger zu einer unterhaltsamen Symbiose aus Nostalgietrip und modernem Sportdrama. Sly Stallone zeigt wieder einmal seine Qualitäten als Autor und versierter Hüter des eigenen Vermächtnisses. Der alte Mann hat immer noch einen ordentlichen Punch und es erscheint kaum vorstellbar, dass „Creed III" ohne ihn auskommen könnte. Ob er wirklich ein neuntes Mal als Rocky auftritt, ist natürlich völlig offen, aber hoffen kann man ja mal.
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Bad Ass Rating: 8/10 (Training mit Truck-Reifen und Vorschlaghammer, Kämpfe mit gebrochenen Rippen und Schläge, die Elefanten umhauen würden, ja, da rührt sich schon was)
Muscle Posing Rating: 8/10 (Stallone lässt hier wie schon in Creed Michael B. Jordan den Vortritt, was angesichts beider Verfassung absolut Sinn macht und mal ganz ehrlich, mit 73 muss man nicht mehr zwingend blank ziehen; außerdem gibt da ja noch einen gewissen Florian Munteanu, der ähnlich gebirgig gebaut ist wie weiland sein Filmvater Dolph Lundgren)
Ähnlichster Schwarzenegger Film: „Aftermath" (zwar kein Sportfilm, aber immerhin ein grimmiges Alterswerk, bei dem die Themen Rache und Vaterschaft dramatisch verhandelt werden)
Sly mit „Rocky"-Punch: der kluge Mann lässt schlagen / Sly mit Selbstzweifel-Dackelblick: Check / Sly oben ohne: der kluge Mann lässt posen
Beste Oneliner: "That kid was raised in hate. He's dangerous." (Rocky zu Adonis), "In the ring, you got rules. Outside, we got nothing." (Rocky zu Adonis), "I want to rewrite history." (Adonis Creed)
Filmposter-Slogan: „Rocky´s Legacy" (der Untertitel prangt nur auf dem deutschen Plakat, hier vertraut man erkennbar mehr den Namen Rocky und Stallone, wohingegen in den USA Michael B. Jordan auch schon eine Marke ist)