Kind and magic
Wenn überhaupt eine Rockstar-Vita als Rechtfertigung für eine Filmbiographie taugt, dann ist es die von Freddie Mercury. Das Leben des Queen-Frontmannes war nicht nur gespickt mit Exzessen, Skandalen und rauschhaften Momenten, sondern steht vor allem für eine der faszinierendsten, schillerndsten und begnadetsten Persönlichkeiten der modernen Musikgeschichte. Sein früher (Helden-)Tod an der Immunschwächekrankheit AIDS hatte die Wirkungsmacht einer griechischen Tragödie und war wesentlich für den sakralen Legendenstatus, den Mercury bis heute genießt. Die inzwischen etwas platte Metapher vom Leben auf der Überholspur trifft hier zu 100%, zumal der damit implizierte finale Crash kaum dramatischer hätte ausfallen können.
Eine solche Ikone auf die Leinwand zu bringen ist allerdings mindestens so risikoreich wie reizvoll. Die Gefahr einer biederen Stationen-Bebilderung ist da noch das geringste Problem. Vielmehr gilt es einen im Bewusstsein der Öffentlichkeit zum Übermenschen und tragischen Helden verklärten Charakter glaubhaft und emotional nachvollziehbar aufzuschlüsseln, da ansonsten ein fimischer Klatschreport mit gehörigem Kitsch- und Fremdschäm-Potential kaum zu vermeiden ist. Dazu kommt, dass Mercurys sexuelle Ausrichtung sowie das ultimative Ausleben seiner Neigungen können in einem massenkompatiblen Kinofilm lediglich angedeutet werden können, was von Regie und Darstellern ein gehöriges Maß an Subtilität und Ernsthaftigkeit verlangt.
So gesehen war die Wahl Bryan Singers für den Regiesposten eine sehr schlüssige, denn neben seiner eigenen Homosexualität prädestinierte ihn auch sein häufig gezeigtes Gespür und Verständnis für Außenseiter-Figuren („X-Men") geradezu als Mercury-Biographen. Das nützt natürlich alles wenig, ohne den entsprechenden Cast und hier hat man - allen Unzulänglichkeiten die man dem Film vorwerfen kann oder will zum Trotz - einen absoluten Volltreffer gelandet. Der lediglich aus der TV-Serie „I Robot" leidlich bekannte Rami Malek spielt sich in Singers Queen-Biopic geradezu die Seele aus dem Leib und lässt auf beinahe unheimliche Art den flamboyanten Sänger wieder auferstehen. Es ist dabei nicht einmal die verblüffende äußere Ähnlichkeit, verstärkt noch durch eine Zahnprotese, die zu der perfekten Verwandlung führt. Vielmehr gelingt es Malik einen Einblick in die zerissene Seele eines zwischen Unsicherheit, Angst vor Ablehnung, exaltierter Bühnenpersona und selbstbewusstem Freigeist mäandernden Charakters zu gewähren.
Diese Leistung ist um so bemerkenswerter, da Singer vieles nur andeutet und schlaglichtartig abhandelt. Gerade Mercurys zunächst verdrängte Homosexualität sowie seine von hemmungslosem Drogenkonsum und orgiatischen Sexparties geprägte Münchner Zeit werden zu obeflächlich und fast schon keusch angegangen. Malik kompensiert das so gut es geht mit Blicken, Gesten und einer Körpersprache, die die Untiefen hinter den Andeutungen mindestens erkennbar werden lassen. Seine leidenschaftliche Performance ist Seele und Anker des Films, der immerhin auch noch mit einem Regiewechsel kurz vor Fertigstellung zurecht kommen musste. Singer erschien einfach nicht mehr am Set und wurde durch Dexter Fletchzer ersetzt. Dies und diverse Vorwürfe gegen Singer (u.a. sexuelle Nötigung, Strieitigkeiten mit dem Cast) hätten die Produktion massiv beschädigen können, erstaunlicherweise sind aber keinerlei Brüche oder Unebenheiten erkennbar. Der Entwicklung von Mercurys Charakter mag nicht immer die entsprechende Zeit eingeräumt werden und so manche Abgründe bleiben etwas sparsam beleuchtet, aber diese Problematik zieht sich wie ein roter Faden durch den gesamten Film.
Weitaus besser gelingt der solche Biographien meist prägende, episodische Ansatz für den musikalischen Werdegang der Band. Von ihren Anfängen in den frühen 1970er Jahren, über den endgültigen Durchbruch mit dem zunächst von Plattenfirma und Radiostationen verteufelten Überhit „Bohemian Rhapsody", die gewagte, aber sehr erfolgreiche musikalische Neuausrichtung in den 1980er Jahren, bis hin zum legendären Live-Auftritt beim Benefizkonzert Live Aid (1985) werden alle wesentlichen Stationen der Bandkarriere ausführlich und treffend beleuchtet. Insbesondere wird dabei auch die enorme musikalische Bandbreite von Queen sehr treffend heraus gearbeitet, die sich ausgehend von ihren Hardrock- und Metalwurzeln zu einem globalen Rock-Pop-Phänomen entwickelten und dabei auch nicht vor Ausflügen in vermeintlich abseitige Gefilde wie Klassik, Flamenco, Vaudeville oder Disco zurück schreckten.
Dass diese jederzeit faszinierende Zeitreise trotz gehöriger Sprünge wie aus einem Guss wirkt, ist einem Erfolgstriumvirat aus liebevoll-perfektionistischer Ausstattung, ungemein treffend arrangierter Songauswahl (u.a. Killer Queen, Love of my Life, Bohemian Rhapsody, We will rock you, We are the Champions, Another one bites the Dust, Radio Ga Ga) und einem bis in kleinste Nebenrollen kongenialem Casting zu verdanken. Selbst eingefleischte Queen-Fans dürften sich die Augen reiben ob der von Ben Hardy (Roger Taylor), Joseph Mazello (John Deacon) und Gwilym Lee (Brian May) verkörperten Bandkollegen Mercurys. Vor allem Lee sticht hier heraus, zieht so gesehen mit Malek gleich und ist von Optik, Gestik, Sprachduktus und Ausstrahlung praktisch nicht vom realen Brian May zu unterscheiden. Zu den ganz besonderen Momenten gehören dann auch die nachgestellten Live-Auftritte, die zusammen mit den originalen Audiotapes für zahlreiche Gänsehautmomente sorgen.
Das dramaturgische Finale ist auch in dieser Hinsicht das absolute Highlight des Films. Das legendäre 20-Minuten-Set im Londoner Wembleystadion vor über 70000 Zuschauern und fast anderthalb Milliarden an den TV-Schirmen weltweit ist ein Meisterstück verfilmter Rock-Historie. Wer hier nicht synchron zum Chorus von „Radio Ga Ga" mitklatscht, dem ist nicht mehr zu helfen. Malek hat hier akribisch jede noch so kleine Geste, jede Interaktion mit dem Publikum und jedes Detail von Mercurys Bühnenshow studiert und schafft zusammen mit der Originaltonspur die perfekte Illusion - auch und vor allem in punkto der seinerzeit empfundenen Überwältigungs-Emotionen.
Es ist eine clevere Entscheidung den Film hier enden zu lassen, denn der Live-Aid-Auftritt war Queens endgülitger Schritt in den Rock-Olymp, hatte man doch dort so namhafte Kollegen wie Sting, Elton John, U2 und Paul McCartney in den Schatten gestellt und einen bis heute unerreichten Live-Meilenstein gesetzt. Natürlich ging die Bandgeschichte danach noch weiter und endete erst 1991 mit Mercurys Tod. Man sollte den Machern hier aber nicht nur ein euphemistisch motiviertes Interesse am handelsüblichen Happy End unterstellen, immerhin dauert der Film auch so schon knapp 2,5 Stunden. Außerdem wird Mercurys Erkrankung und sein Informieren der Bandkollegen nicht ausgespart, auch wenn man dazu die zeitliche Abfolge vorverlegen musste.
So endet der Film mit einem Triumph, dem die Tragik von Mercurys Ende bereits inne wohnt, was für das Gedenken an eine legendäre Band und ihren noch legendäreren Lead-Sänger nicht der schlechteste Abschlusskommentar ist. Der ein oder andere mag sich ein wenig mehr Einblick in Mercurys Seelenleben bzw. etwas mehr Mut dazu gewünscht haben, als Versuch dem Faszinosum Queen und besonders dem von Freddie Mercury näher zu kommen ist „Bohemian Rhapsody" aber erkennbar von Liebe und Leidenschaft erfüllt. Mercury selbst hätte das bestimmt sehr gefallen.