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Review

Mission: Horrible

Eines kann man Jennifer Lawrence garantiert nicht vorwerfen, dass sie sich bei ihrem vornehmlich juvenilen Zielpublikum anbiedert, das sie erst zum Star gemacht hat. Abgesehen von der Hunger-Games-Trilogie und den bisherigen drei X-Men-Prequels zieht sie bevorzugt Projekte an Land, die sich erkennbar an erwachsene(re) Zuschauer richten. Sie lässt sich obendrein auch in keine Genre-Kategorie pressen und hat in den letzten Jahren so ziemlich alles dafür getan um nicht als Mainstream-Teeniestar abgestempelt werden zu können. Es ist kaum vermessen, hier von einer erkennbaren Strategie zu sprechen. So baut sie die ohnehin schon beeindruckende Vielfalt aus Tragikomödie („Silver Linings"), Drama („American Hustle"), Biopic („Joy"), Science-Fiction („Passengers") und Psycho-Horror („Mother!") konsequent weiter aus. In „Red Sparrow" spielt sie nun erstmals in einem Agenten-Thriller, der allerdings deutlich sperriger und düsterer daher kommt wie die Blockbuster-Franchises um Ethan Hunt und James Bond.

Als russische Primaballerina Dominika Egorova ist sie zunächst die umjubelte Schönheit, die ihr so gut zu Gesicht steht. Das ändert sich schlagartig, als ihre Karriere nach einem vermeintlichen Tanz-Unfall praktisch über Nacht vorbei ist. Noch schwerer wiegt der dadurch drohende Verlust ihrer staatlich finanzierten Wohnung, in der sie mit ihrer pflegebedürftigen Mutter lebt. Da erscheint ihr Onkel und hohe Geheimdienstoffizier Ivan Egorov auf der Bildfläche und macht ihr ein lukratives Angebot. Wenn sie in die Ausbildung einer russischen Agentin einwilligt, werden die Kosten für Wohnung, Ärzte und Pflege weiterhin übernommen. So wird sie Teil des berüchtigten „Sparrow"-Programms, bei dem die Rekruten nicht nur körperlich, sondern vor allem psychisch an ihre Grenzen (und darüber hinaus) gebracht werden, um dann die hohe Kunst der Verführung, Manipulation und Täuschung absolut skrupellos anzuwenden, ohne dass dabei so profane Dinge wie eine eigene Persönlichkeit oder gängige Moralvorstellungen im Weg stehen könnten.

Die Vorlage für den Film bildet der gleichnamige Roman des ehemaligen CIA-Agenten Jason Matthews. Obgleich teilweise etwas technisch und detailverliebt, wurde er von diversen Geheindienstexperten vor allem für seine authentische und ungeschönte Darstellung nach wie vor üblicher Praktitken von Spionage und Gegenspionage gelobt. Bevor diese allerdings in einem beinahe lustvollen Verwirrspiel aus undurchsichtigen Motiven, wechselnden Alllianzen und trickreichen Finten zur Anwendung kommen, steht die besagte Ausbildung und die hat so gar nichts von der glamourösen Coolness, die man so gern bei den Kino-Spionen findet. Im Film füllt dieses Vorspiel beinahe die erste Stunde, eine Stunde, in der gnadenloser Psychoterror regiert und die ruppigst gegen den Strich üblicher Hollywood-A-Produktionen gebürstet ist. Die von Charlotte Rampling gespielte Ausbilderin mit dem vielsagenden Codenamen „Matron" konfrontiert ihre Schützlinge  eiskalt und gnaz gezielt mit psychischen Extremerfahrungen, denen nur ein bestimmter Prozentsatz standhält. Sex und Gewalt sind dabei die bevorzugten Waffen, letzlich geht es aber um totale Kontrolle und absolute Macht.

Regisseur Francis Lawrence bedient sich bei diesen Szenen auf sehr effektive Weise beim Intrumentarium des Horrorfilms. Das karge, blau-graue Setting verbreitte allein optisch eine unangehm bedrohliche Stimmung, die dann wiederholt mit plötzlichen Schockmomenten perfider Ausbildungssituationen eskaliert. Dazu kommen eine Reihe derber Sex und Gewaltszenen, die in ihrer ungeschönten Härte zusätzlich die Nerven strapazieren. Jennifer Lawrence spielt diese Extremerfahrung zwischen völliger Verzweiflung und Erniedrigung auf der einen Seite sowie unbändigem Durchhaltewillen und eine alles menschliche ausblendenden Fokussierung auf der anderen so eindringlich, dass man für ihre keineswegs leicht zugängliche oder gar sympathische Figur mindestens Empathie aufbringt. Die nicht verwandten Lawrence und Lawrence sind nach drei gemeinsamen „Hunger Games"-Filmen natürlich ein eingespieltes Team. Das erkennbar vorhandene gegenseitige Vertrauen ist vor allem für das Funktionieren der Dominika-Figur jedenfalls ein wesentlicher Faktor.

Denn eingedenk dem Motto „echte Erfahrung kann man nur in der Praxis sammeln", wird die gelehrige Schülerin schließlich für den Einsatz frei gegegeben, bei dem sie dann so richtig zur Höchstform aufläuft. Ihr Ziel ist der in Budapest stationierte CIA-Agent Nate Nash (Joel Edgerton), dem sie die Identität seines langjährigen russischen Informanten entlocken soll, in dem man zusätzlich einen hochrangigen SWR-Maulwurf vermutet. Was nun folgt ist ein komplexes Katz-und-Maus-Spiel, bei dem jeder den anderen zu manipulieren versucht und glaubt die Kontrolle zu haben. Lawrence entfaltet das ganze bekannte Spionage-Tableau aus Doppelagenten, Überläufern, Verrätern und Auftragskillern. Es gibt geheime Treffpunkte, verschlüsselte Botschaften, ausgeklügelte Übergaben und einen nächtlichen Agenten-Austausch. „Sparrow" Dominika ist der Dreh- und Angelpunkt der ebenso gefährlichen wie brisanten Mission, bei der beide Seiten viel gewinnen können, aber auch einiges zu verlieren haben. Obwohl Dominika sämtliche Register ihrer knallharten Lehrzeit zieht, droht sie im brutalen Tauziehen der verfeindeten Geheimdiesntstrategen zunehmend die Kontrolle zu verlieren und aufgerieben zu werden. Selbst die schützende Hand ihres mächtigen Onkels scheint nicht mehr sicher.

Vielerorts wurde „Red Sparrow" eine genüßliche Ausbeutung von Sex und Gewalt sowie ein übertrieben komplexer Spionage-Plot vorgeworfen. Auch eine betont negative Sicht auf spezifisch russische Struktuten, die antike Sowjet-Klischees bedienten, wurde gern kritisiert. Nur ist eine drastische, ungeschönte Darstellung noch lange kein Selbstzweck. Dass das Geheimdienstgeschäft ein sehr schmutziges und weit entfernt vom mondänen Bond-Glamour ist, zeigt gerade aktuell mal wieder die Realität. Mit allgemein anerkannten Begrifflichkeiten von Anstand und Moral wird man diesem Metier nicht sehr nahe kommen. Auch die twistreiche Budapest-Mission ist trotz ihrer Komplexität völlig nachvollziehbar und weit glaubwürdiger gezeichnet, als beispielsweise die verwandten Szenarien der „Mission: Impossible"-Reihe. Und dass man sich zu Hochzeiten einer mitunter hysterisch geführten MeToo-Debatte an einer Filmheldin stört, die wohl manche Vorzeichen umkehrt und dazu vermeintlich auch noch überholte Rollenmuster bedient, kann kaum überraschen.   

Betrachtet man allerdings „Red Sparrow" nüchtern und sachlich, dann hat man einen spannenden, atmosphärisch dichten und ungeschönt harten Agenten-Thriller vor sich, der keinesfalls massenkompatible Wohlfühl-Vorlieben bedient. Der starke Cast wartet mit einer Reihe bekannter Namen auf (u.a. Charlotte Rampling, Jeremy Irons, Ciarán Hinds, Mary-Louise Parker), von denen neben Jennifer Lawrence vor allem der Belgier Matthias Schoenerts als Dominkas Onkel im wahrsten Sinne beängstigend gut aufspielt. Herz und Motor des Films ist aber ohne wenn und aber der nicht zu unrecht aktuell größte weibliche Hollywood-Star. Und das keineswegs nur aufgrund ihrer eindeutigen Hauptrolle. Einen solch undurchsichtigen, verschlossenen, getriebenen und so gut wie nichts von sich selbst preis gebenden Charakter so zu spielen, dass man als Zuschauer dennoch mitfiebert, ist eine famose Leistung. Jennifer Lawrene tut also mehr als gut daran, nicht den bequemen Weg stromlinienförmiger Teenie-Blockbuster zu gehen. Einer langen und erfüllten Karriere kann das nur förderlich sein.

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