lynx   »   [go: up one dir, main page]

Review

vkurz angerissen*

Der Mut zur maßlosen Übersteigerung der Filmrealität, zur Aushebelung des Glaubwürdigen, oder einfach gesagt, zu den Wurzeln des Trash-Kinos ist manchmal notwendig, um Grenzen zu durchbrechen, die Kritik zu spalten und Relevanz zu erzeugen. Genau dies geschah, als Darren Aronofsky "mother!" ins Kino bachte, einen Psychothriller, der wegen "Passenger" aus dem Januar des gleichen Jahres vermutlich ein Mainstreampublikum anlockte (Jennifer Lawrence zum zweiten Mal mit einem namhaften Co-Star in trauter Zweisamkeit... muss das nicht in Romantik enden?), nur um es gnadenlos auflaufen zu lassen mit einem widerspenstigen First-Person-Erlebnis, das konsequent nach Alptraumlogik konstruiert ist. Es verliert spätestens dann einen Großteil seiner Zuschauer, als es die bis dahin noch nachvollziehbaren ersten Schritte des Aufbaus einer typischen Home-Invasion-Dramaturgie für hemmungslosen Exzess opfert. Niemand, so versucht das Gehirn die absurden Vorgänge auf der Leinwand zu verarbeiten, würde sich je so rücksichtslos verhalten wie die unverschämt ins Innere des großen Landhauses stürmenden Gäste des Paars. Das kann so gar nicht passieren, redet es sich ein, um das Gesehene rational einzuordnen. Und verliert somit den emotionalen Bezug zu einer unangenehmen bis lebensbedrohlichen Entwicklung der Ereignisse, die zwar konsequent aus Perspektive der Hauptdarstellerin ablaufen. Ihr Leid wird somit direkt auf den Zuschauer übertragen. Allerdings ergeben sich daraus eben Situationen, die vom Surrealismus dermaßen durchzogen sind, dass man sie nicht real nachempfinden kann.

Dabei gelingt Aronofsky in den radikalsten Momenten seiner Arbeit erst recht der so dringend benötigte Durchbruch der Mauer, die den Horrorfilm 2017 bis auf wenige Ausnahmen umzäunt und in seiner Wirkung gedrosselt hat - denn selbst die nennenswerten Genrewerke des Jahres, wie "Get Out", "A Cure For Wellness" oder "Split", wagten den allerletzten Schlag nicht zu platzieren. Für einen Regisseur, dessen letzte Arbeit ein effekthascherisches Bibel-Epos für die großen Kinos war, ist das schon ziemlich bemerkenswert, insbesondere, da seine eigene Filmografie längst nicht den linearen Glättungsprozess vieler anderer Ex-Wunderkinder durchläuft. Bei Aronofsky weiß man eben nie, was man bekommt.

Das bedeutet im Umkehrschluss, dass "mother!" für einen Teil der Zuschauer abstoßender wird, je hysterischer er sich seinen Weg zur elliptischen Auflösung bahnt; für den anderen Teil wird er nur faszinierender mit jeder Minute. Die allgegenwärtige religiöse Symbolik kann man höchstens ob ihrer unverschlüsselten, einfach zu durchschauenden Anwendung kritisieren. Lynch'sche Momente völliger logischer Abstinenz werden nicht erschaffen (auch wenn zumindest Javier Bardems hypnotisierter Blick auf den Kristall mit jeder Faser den Symbolismus von "Mulholland Drive" atmet), denn grundsätzlich sind alle Personen und Gegenstände 1:1 abbildende Funktionen für die Schöpfungsgeschichte, von Kain und Abel über Adam und Eva bis zu Gott und Mutter Erde. Die Einfachheit der symbolischen Verknüpfungen rüttelt an ihrer Faszination allerdings kaum. Zum einen, weil "mother!", ein wenig Abstraktionsvermögen vorausgesetzt, als Horrorthriller auch ohne die religiöse Ebene einen beachtlichen Klammergriff entwickelt, zum anderen, weil mit Hilfe der religiösen Motive an nach wie vor zeitgemäße Phänomene von Wertverfall gemahnt wird: Narzissmus, Egoismus, Zerstörung von Privatsphäre.

Also, man kann ja von "mother!" halten, was man will, aber: Einen Trip wie diesen gab es 2017 kein zweites Mal.
(8.5/10)

*weitere Informationen: siehe Profil

Details
Ähnliche Filme

Лучший частный хостинг