„Fremdes Leben auf vertrauten Bahnen"
Ob Daniel Espinosa „Stirb langsam 2" gesehen hat, ist nicht bekannt. Falls ja, hat er jedenfalls nichts draus gelernt. Denn wo Bruce Willis bei jeder Gelegenheit die offenkundigen Parallelen zum Erstling selbstironisch kommentiert und so bereits Messer wetzende Kritiker elegant süffisant über die Klinge schnippt, lässt Espinosas ISS-Besatzung auch die schönsten Steilvorlagen links liegen. Zwar ist „Life" vordergründig ein Originalstoff, aber seien wir mal ehrlich, selbst der größte Science-Fiction-Muffel dürfte den Gedanken an ein „Alien"-Plagiat nur in einem Verdrängungs-Gewaltakt unterdrücken können.
Ein halbes Dutzend Weltraum-Forscher nimmt eine mikroskopisch kleine, organische Masse an Bord. Im vorliegenden Fall kommt sie vom Mars und könnte der erste Beweis für außerirdisches Leben außerhalb der Erde sein. Leider entpuppt sie sich anders als erwartet und der ursprüngliche Plan sie auf der Erde zu präsentieren erscheint nicht mehr ganz so sinnig. Dumm nur, dass das Ding für diesen Meinungsumschwung wenig Verständnis zeigt und die Besatzung der internationalen Raumstation lediglich als sehr temporäres Mittel zum Zweck betrachtet.
Ja, das kommt uns alles sehr bekannt vor. Eine Handvoll Menschen muss sich in der klaustrophobischen Enge eines Raumschiffes eines höchst aggressiven und unberechenbaren Gegners erwehren, über den sie praktisch nichts weiß. Dabei steht nicht nur ihr eigenes Leben auf dem Spiel, sondern auch das der gesamten Menschheit. Dumm nur, dass das außerirdische Wesen körperlich wie geistig turmhoch überlegen erscheint und sich ganz und gar kompromisslos gibt ...
Ridley Scott hat aus diesem vergleichbar simplen Szenario vor beinahe 40 Jahren einen monolithischen Science-Fiction-Klassiker gezimmert, an dem sich seither sämtliche Genre-Epigonen die Zähne ausgebissen haben. Nun also hat der schwedische Hollywood-Exilant Daniel Espinosa einen neuen Versuch unternommen, den unbesteigbaren Gipfel zu erklimmen. Und natürlich ist auch er gescheitert. Aber macht das „Life" gleich zu einem schlechten Film? Nein, glücklicherweise nicht.
Zunächst einmal ist das bekannte Setting zwar äußerst simpel, aber gerade deswegen eben auch höchst effektiv. Die Kombination aus Dunkelheit, Enge, Zeitdruck und unsichtbarem Übergegner ist eine Spannungsgranate, die Espinosa durchaus zu zünden weiß. Hier gibt es kein Entrinnen, keine sicheren Rückzugsorte und keine Verschnaufpausen. Hier gibt es nur Aktion und Reaktion und jeder noch so kleine Fehler wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tödlich enden. Natürlich spielen Creature-Design und Bewegungsabläufe des Alien eine wesentliche Rolle, wobei H. R. Gigers Arbeit dabei kaum zu toppen ist. Das gelingt auch in „Life" nicht, aber zumindest genügen die gewählten Ansätze gehobeneren Ansprüchen. Zumal Espinosa auch optisch weiß, wo sich das Abkupfern lohnt. Den bildgewaltigen Oscar-Abräumer "Gravity" hat er mit Sicherheit gesehen, außer er verfügt über telepathische Fähigkeiten, die ihn mit Alfonso Cuarón in Verbindung treten lassen.
Damit all dies einigermaßen funktioniert, braucht es aber auch entsprechendes Schauspiel-Personal. Denn wenn man nicht mitfiebert bzw. den Figuren ihr Handeln in Extremsituationen nicht abkauft, stellt sich schnell Langeweile, oder im schlimmsten Fall gar unfreiwillige Komik ein. Espinosa darf sich glücklich schätzen, dass man ihm diese Verlegenheit erspart hat. Wer Mimen wie Ryan Reynolds („Deadpool"), Rebecca Ferguson („Mission Impossible: Rogue Nation"), Ariyon Bakare (diverse BBC-Serien) und vor allem Jake Gyllenhaal in Lohn und Brot stehen hat, der muss sich über so profane Dinge wie Glaubwürdigkeit und Empathieerzeugung nicht mehr allzu viele Sorgen machen. Und tatsächlich trägt der namhafte Cast (sämtlich als ISS-Astronauten) die altbekannte Story im Alleingang und umschifft souverän die ein oder andere Plakativität des nicht gerade vor Originalität strotzenden Espinosa.
Denn der hatte wohl gemerkt, dass der Vorwurf eines verkappten „Alien"-Reboots keine infame Beleidigung sein würde und wollte gleichzeitig eine geistreiche Parabel über das Leben und den Tod als zwei Seiten derselben Medaille drehen. Das führt dann zu ein paar Holzhammer-Sequenzen wie der Vaterwerdung eines Crew-Mitglieds via Satellitenschaltung, oder ein paar philosophischen Gedankenaustäuschen zwischen den beiden Bord-Medizinern (Gylenhaal und Ferguson), die zu gleichen Teilen oberflächlich, angerissen und aufgesetzt rüber kommen. Hier waren Regisseur und Skriptautor(en) ganz offenbar überfordert, was angesichts des verfügbaren Personals definitiv bedauernswert ist.
Espinosa hatte ja schon beim Agententhriller „Safe House" (ebenfalls mit Reynolds) und dem Serienkiller-Drama „Child 44" die jeweiligen Genres nicht gerade neu erfunden. Seine Stärken liegen in einer vorzugsweise düsteren Optik sowie einer klar erkennbaren und konsequent aufgebauten Dramaturgie. „Life" ist dafür nur ein weiterer Beleg, was in der Endabrechnung zu einem unterhaltsamen Science-Fiction Thriller mit zarten Horror-Anleihen führt. Auf Überraschungen, oder gar selbstironische Brechungen - zumal bei solch offenkundigen „Alien"-Anleihen - wird man allerdings ebenso vergeblich warten, wie auf eine eigenständige Interpretation des inzwischen klassischen Genre-Stoffes. Andererseits, das halbe Leben besteht aus Routine. Für Einige ist das ja auch ganz beruhigend.