Zum Auftakt sieht man ein paar Rundköpfe, die in ihrer Rüstung durch einen englischen Wald reiten. Das Szenenbild ist auf das Jahr 1645 ausgelegt. Kaum ein Bildelement stört die Illusion. Obwohl aber alles darauf hindeutet, dass wir uns mitten im Englischen Bürgerkrieg befinden, haben wir es bei „Der Hexenjäger“ im Grunde von der ersten Minute an mit einem Western zu tun.
Das ist ein durchaus ungewöhnliches Merkmal für einen Film über das dreieinhalb Jahrhunderte zurückliegende England. Western spiegeln sich nur allzu gerne in Gegenwartsfilmen aller Art, eher selten findet man ihre Reflexion aber in Epochen, die älter sind als er selbst. Wenn eine Filmhandlung in einer Zeit angesiedelt ist, noch bevor Fotografien das Laufen lernten, haftet ihr meistens das abgesicherte Gefühl eines Museumsgangs an. Da ist es dann auch egal, wie grausam die Bilder sein mögen, die zu ihrer Illustration herangezogen werden. Es sind ja schließlich nur Bilder, im besten Fall geschöpft aus mündlicher oder schriftlicher Überlieferung, niemals jedoch dokumentiert durch die wahrhaftige Lebendigkeit des Films. Dem Zuschauer kann nichts geschehen, denn er hat zu dieser Zeit keinerlei direkte Verbindung; er ist im besten Falle historisch daran interessiert, wie sie einmal ausgesehen haben muss.
Gerade auch gilt das für die Anfang der 70er Jahre losgetretene Welle der Hexenjägerfilme. Unentwegt brannten darin Hexen, durch einfache Bildmontagen jedoch zumeist stilisiert wie abstrakte Abbildungen in einem Buch; vorne das knackende Feuer, dahinter die schreiende Frau am Kreuz, durch die Bildebenen klar vom Quell der Pein getrennt und doch einen Ausdruckstanz aufführend, um dem Betrachter symbolhaft etwas zu vermitteln. Durch die Verknüpfung mit okkulten und übernatürlichen Elementen fand eine Mythologisierung statt, die dazu führte, dass sich Phantastik und Geschichte untrennbar miteinander vermischten. Regisseure wie Jess Franco trugen zu dieser Zerstreuung maßgeblich bei, indem sie sich weigerten, einen konkreten Standpunkt in Bezug auf die Hexenverfolgung einzunehmen.
Ausgerechnet „Der Hexenjäger“, womöglich Auslöser der Welle, trägt keine dieser Eigenschaften. Nichts Märchenhaftes liegt in der Wiedervereinigung des Rundkopfs Richard (Ian Ogilvy) mit seiner Geliebten Sarah (Hilary Heath), denn in das ruhige Nest folgt ihm der Schatten eines Mannes in Schwarz, eines gewissen Hopkins (Vincent Price), der von sich behauptet, Hexen aufspüren und vernichten zu können. Am Ende steht reiner Terror, der tief in den Abspann hallt, entstanden aus dem unergründlichen Schmerz, den eine Gruppe von Menschen der anderen zuzufügen bereit ist.
Weite Distanzen und Figuren, die sich darin aufeinander zubewegen, vorbeiziehende Wolken über rotierender Erde, zwielichtige Gestalten und die Tragödien, die sie beschwören, das sind im Wesentlichen die Stoffe, aus denen Spaghettiwestern gemacht sind. Hier ist es nun der 25-jährige Brite Michael Reeves, der sich solche Stilmittel aneignet, um das letzte Vermächtnis vor seinem unverhofften Tod mit einer ähnlich grimmigen Grundstimmung auszustatten.
Im Theatraliker Vincent Price, den ihm die AIP-Bosse vor die Nase setzten, fand er allerdings eher ein Hindernis als eine Inspiration vor, um seine klare Vision kompromisslos umsetzen zu können. Ausgerechnet Price, der mit Vorliebe überzeichnete, der Rollenbilder brach und seinen Figuren erlaubte, ein Bewusstsein für das Konstrukt zu entwickeln, dessen Teil sie waren. Auch heute noch ist man als Betrachter überzeugt, dass „Der Hexenjäger“ mit Reeves’ Wunschkandidaten Donald Pleasence ein mindestens ebenso eindringlicher Film geworden wäre, der zudem wohl naht- und reibungsloser zustande gekommen wäre. Am Set jedenfalls muss es öfter mal geknallt haben zwischen dem Regisseur und seinem unerwünschten Star.
Spannender ist aber nun das Ergebnis, das mit Price zustande kam, denn die Hürden, mit denen er während der wütenden Regieanweisungen zu kämpfen hatte, peitschten ihn zu einer der außergewöhnlichsten, wenn auch untypischsten Leistungen seiner Karriere. Ambivalenzen durchströmen seine Mimik und sein oftmals unsicheres Handeln, die Augen tief in die Höhlen zurückgezogen, der Mund verzerrt vor Verbitterung. In der Anlage spielt er einen klassischen Villain, keinen jedoch, der wie ein Bond-Gegner absolute Kontrolle über sein Umfeld ausstrahlen würde. Zumeist in Untersicht gefilmt und die Räume füllend, die er betritt, wird Prices Figur, mit ihr womöglich auch Price selbst, immer wieder in unangenehme Situationen manövriert, die seine enorme physische Präsenz konterkarieren und seine Schwächen zum Vorschein bringen. Erstmals macht man diese Beobachtung, als eine andere Figur von den vorbestimmten Pfaden abweicht: Sarah nämlich, die sich dem Hexenjäger anbietet, wenn er nur ihren Onkel verschont…. und das nicht etwa mit einem Ausdruck der Verzweiflung im Gesicht, sondern mit dem perfekten Schauspiel einer Verführerin. Ein Moment tiefster Irritation nicht nur für Hopkins, sondern auch für den Zuschauer.
Ab hier gerät das Gefüge, das etwa den klassischen Hammer-Streifen jener Zeit noch eine gewisse Zuverlässigkeit bot, mächtig ins Wanken, als die unkontrollierbaren Unebenheiten der Realität mit dem einfachen Weltbild der Herrschenden und Unterdrückenden kollidiert. Das Monster ist vom Menschen nicht mehr länger eindeutig zu trennen, und der Versuch, diese Trennung aufrecht zu erhalten, führt sukzessive zur Eskalation. Diese wiederum inszeniert Reeves keineswegs mit dem comichaften, von Aberglauben angetriebenen Anstrich seiner weniger versierten Trittbrettfahrer. Übernatürliches lässt sich nicht finden in „Der Hexenjäger“, im Gegenzug aber eine deutliche Positionierung. Das Hadern der Titelfigur mit sich selbst führt zu der geschlossenen Stärke dieses Films, die sich in schockierenden, längst nicht mehr abstrakten Darstellungen von Gewalt entlädt, die deswegen so schockierend wirken, weil sie so stumpf, unvermittelt und ungehindert aus reiner Willkür jener entstehen, die das Recht auf ihrer Seite sehen. Körper, die unter Wasser getaucht werden, Körper, die Feuer fangen, Körper, auf die Äxte niederfahren… Reeves wagt sich weit genug vor, dass kein Zweifel mehr an der Wahrhaftigkeit des Schreckens besteht, der sich sicht- und hörbar in die Welt drängt.
Mit der Anmutung eines historischen Horrorschinkens mag „Der Hexenjäger“ auf den ersten Blick nicht zur Aufbruchsstimmung beitragen, mit der etwa „Rosemary’s Baby“ oder „Night of the Living Dead“ im gleichen Jahr das Genre revolutionierten. Der altbackene Anstrich ist allerdings nur eine Illusion. Tatsächlich traf Michael Reeves den Zeitgeist in seinem Land durch den Rückgriff auf eine heidnische Vergangenheit ziemlich genau, weil er es verstand, sie so real wirken zu lassen, dass sie an die Gegenwart erinnerte.
(7.5/10)