David Sandberg wird künftig wohl kaum auf der Wunschliste der Produzenten stehen, wenn es darum geht, dem Horrorfilm neue Impulse zu verleihen oder neue Wege einzuschlagen. Er hat in seiner noch jungen Karriere als Regisseur zumindest noch nichts vorgelegt, was man als innovativ bezeichnen könnte. Mit "Annabelle 2" allerdings mutiert er zum Superstar der Marken-Instandhaltung. Was er nämlich aus diesem völlig toten Zweig des einst von James Wan gepflanzten Kinos der "neuen amerikanischen Welle paranormaler Geisterfilme" noch herausholt, ist ziemlich bemerkenswert.
"Annabelle" war eine Fehlentwicklung im Wan-Kosmos, der sonst auch sieben Jahre nach "Insidious" noch einen starken Puls aufweist. "Insidious: The Last Key" überzeugte in diesem Jahr zwar nicht unbedingt die Kritiker, sehr wohl aber das Publikum an den Kinokassen (insbesondere gemessen am Startmonat Januar). Diverse Helferlein des Bösen, die ihre Einführung in "The Conjuring 2" feierten, warten bereits auf ihre eigenen Spin-Offs ("Crooked Man", "The Nun"). Die hässliche Puppe mit dem weißen Kleid hingegen mag als gruselige Hintergrunddekoration im ersten "Conjuring" ihren Zweck erfüllt haben, wirkte solo aber wenig einschüchternd. Dass man überhaupt noch eine Fortsetzung in Auftrag gab, dürfte mit der schnellen Verfügbarkeit der Figur und einem eher geringen finanziellen Risiko zu erklären sein.
Die Rolle, die Sandberg nun in dieser kreativ gesehen völlig hoffnungslosen Ausgangskonstellation spielt, würde man im Fußball wohl als "Feuerwehrmann" bezeichnen: Er rettet, was eigentlich nicht zu retten ist. Prequels sind ja an und für sich schon Giftschrankmaterial, erst recht, wenn sie auch noch auf einem Spin-Off basieren, das eigentlich schon niemand haben wollte.
Eine Sackgasse. Was macht man also mit einer Sackgasse als aufstrebender Youngster? Man bohrt sich einfach ein paar Ausgänge. Schon die zeitliche Einordnung mehrere Jahrzehnte in die Vergangenheit ist als Befreiungsschlag zu verstehen; der gewählte Schauplatz erst recht. Der stickige Dunst amerikanischer Vorstadt-Nachbarschaft, der ja durch das latente Vorbild "Poltergeist" ohnehin schon nicht mehr ganz taufrisch war, wird einfach mit einer einsamen Landhausvilla und reichlich Country-Charme weggefegt. "The Devil's Backbone", "The Others", "The Amityville Horror" oder "Landhaus der toten Seelen" liegen nun bereits näher als das eigentliche Original.
Das lässt "Annabelle 2" schon bei der visuellen Ausgestaltung um ein Vielfaches größer und freier erscheinen im Vergleich mit dem direkten Vorgänger. Auf einmal ergeben sich grenzenlose Möglichkeiten in der Konzeption der Horror-Szenarien, selbst wenn die helle, offene Umgebung auf den ersten Blick nicht sehr stimmungsvoll erscheint. Sandberg verzichtet aber nicht auf dunkle Ecken und enge Räume, sondern setzt sie spielerisch überall ein, wo der Kontrast zur offenen Welt besonders schön zur Geltung kommt. Bei der Präsentation des Bösen denkt er weit über die Puppe hinaus und stellt mit fantasievollen Transformationsszenen, die unheimlicherweise stets im Verborgenen geschehen und nicht etwa direkt vor der Kamera, den Unterschied zwischen der Kreatur und seiner körperlichen Erscheinung heraus. Sich drehende Puppenköpfe und unerklärliche Positionsveränderungen nehmen glücklicherweise nur einen geringen Teil des gesamten Spektrums ein.
Besonders gelungen ist der Einsatz der Schauspieler, gerade was die Aufteilung der Aufgaben angeht, die normalerweise an eine einzelne Hauptrolle gebunden sind. Eine solche gibt es im klassischen Sinne diesmal nämlich nicht, vielmehr stehen mit Talitha Bateman und Lulu Wilson mindestens zwei Protagonistinnen im Mittelpunkt. Seine Empathie muss der Zuschauer also zwangsläufig auf mehrere Identifikationsfiguren aufteilen, was zu einer Verunsicherung führt, die Sandberg raffiniert für sich zu nutzen weiß, zumal die Kamera keineswegs an Bateman und Wilson kleben bleibt, sondern ebenso oft um diverse Nebendarsteller rotiert, die allesamt ihre eigenen Erfahrungen mit dem dämonischen Inkubus machen.
Das führt zu einer hohen Varietät bei der Konzeption der Horrorsequenzen, die erfreulich selten auf Jump Scares setzen (und die wenigen "falschen" Jump Scares dankbarerweise nicht mit Fanfaren und Trompeten auflösen, sondern stumm), sondern stets alternative Wege finden, die Spannung zu lösen. Gleichwohl macht sich Sandberg gerade in dieser Disziplin angreifbar, weil man ihm vorwerfen kann, er setze voll auf die Mechanismen, die sich in den "Insidious"- und "Conjuring"-Franchises bewährt haben, anstatt sie auf ein neues Level zu heben. Seine Franchise-Komptibilität hat er aber schon mit "Lights Out" nachgewiesen. Überhaupt ist zu fragen: Braucht es bei einem solchen Projekt wirklich einen Visionär oder nicht doch jemanden, der einfach nur sein Handwerk versteht?
Natürlich macht auch ein Sandberg aus einem "Annabelle 2" kein Oscarmaterial. Die Idee, für eine solche Fortsetzung überhaupt grünes Licht zu geben, ist und bleibt ziemlich fragwürdig. Den schlaffen Vorgänger übertrifft er trotzdem mühelos - und empfiehlt sich so für Projekte, die vielleicht etwas mehr Substanz zu bieten haben.