kurz angerissen*
Seit „Julia's Eyes“ und spätestens „The Body“ wissen wir ja, wie sich die Rädchen in Oriol Paulos Getriebe drehen. Insofern verwundert es weder noch überrascht es, dass sich der Plot seines neuen Thrillers „Der Unsichtbare Gast“ im Laufe des zentralen Verhörs der Hauptfigur immer wieder revidiert und neu positioniert. Was hier geschieht, ist mehr als der klassische Plottwist oder Doppel-Plottwist, der das Gesehene „nur“ in einen neuen Kontext setzt; es ist die völlige Aufhebung der Vertrauenswürdigkeit dessen, was man im Kino mit eigenen Augen und Ohren sieht und hört und somit ein ideales Beispiel dafür, dass Film 24 Mal in der Sekunde lügt.
Während die Fähigkeiten des Regisseurs, Spannung und atmosphärische Dichte zu erzeugen, immer noch unanfechtbar sind, mag man zu dem fortlaufend mutierenden Szenario stehen, wie man möchte. Die Akteure wechseln Täter- und Opferrolle fast minütlich; jeder Einzelne, insbesondere aber Hauptdarsteller Mario Casas, verdient sich das absolute Misstrauen des Zuschauers. Der Regisseur verlangt seinen Akteuren einiges ab, lässt sie andererseits aber kaum an das Publikum heran; an den – trotz Barcelona und Umgebung – kühl inszenierten Schauplätzen stehen sie wie Geister in der Landschaft und man muss ihnen zutrauen, dass sie jederzeit ihr wahres Gesicht offenbaren, auch wenn sich das Skript die Freiheit nimmt, einmal festgesetzte Darstellungen nach Belieben auch wieder zu revidieren.
Das unstete Filmerleben sorgt nach zwei Dritteln leider für eine gewisse Unzufriedenheit, die von der durchweg hohen Spannung nicht mehr aufgefangen werden kann. Aus Handlungsfreiheit wird eben irgendwann Willkür, die auch an der Integrität des Künstlers zweifeln lassen kann; Paulo bewegt sich hier auf einem sehr schmalen Grat, auch wenn er mit „Der Unsichtbare Gast“ wahrscheinlich sein wildestes Werk abliefert.
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