lynx   »   [go: up one dir, main page]

Review

kurz angerissen*

In einem Regiedebüt, das nicht einmal 80 Minuten andauert, überwindet Nicolas Pesce immense Perioden von Zeit. Anhand permanenter Verwendung von Transmissionen folgt eine Situation kausal auf die andere, irrelevante Zwischenereignisse sind kein Teil dieser Erzählung. Sie umfasst Schlüsselereignisse in einer Umgebung tröstlicher Stille; gesprochen wird kaum und die artifizielle Schwarzweiß-Architektur erzeugt Neutralität (eine Indie- und Kunstfilm-Attitüde wird dem jungen Filmemacher somit unweigerlich unterstellt und vielleicht auch zum Vorwurf gemacht werden). Der Ort ist nicht völlig unbestimmt, weil er auf einen Landstrich in den USA eingeschränkt werden kann, er ist aber nur einer von vielen; ebenso ziert sich die Dimension der Zeit, ihren exakten Standpunkt zu präzisieren. Man nimmt sie überhaupt nur deswegen wahr, weil man sieht, wie die Hauptfigur vom unschuldigen Kind zum Monster heranwächst; einem solchen, das die Definition von Gut und Böse allerdings nicht kennt und somit nicht mit bösartiger Intention handelt, sondern einfach, weil bestimmte Kindheitserlebnisse sie auf ein solches Handeln konditioniert haben. Im ersten Akt erscheint es angesichts der verstörenden Ereignisse oftmals unlogisch, surreal bisweilen; im weiteren Verlauf gewinnen sie allerdings eine verstörende Schlüssigkeit.

Pesce öffnet damit thematische Fässer irgendwo zwischen Mnemonik und Epigenetik; inwiefern wird das Handeln durch vergangene Erlebnisse beeinflusst, welche Rolle spielt die Erinnerung als Transportmedium in diesem Zusammenhang, und mit Blick auf die in den Titel eingebrannte Metapher des Auges: Inwiefern können sich die Anlagen der Eltern auf das Erbgut der Kinder auswirken?

Die inhaltliche und auch ästhetische Marschrichtung führt schnell zu Vergleichen mit „Frankenstein“. Pesces Verdienst liegt darin, dessen Diskurse aus der Phantastik zu lösen und auf die menschliche Psychologie anzuwenden. Obgleich sein Film eher ein düsteres Drama ist als ein Horrorfilm, hat der Regisseur dessen Schwungkräfte durchaus verinnerlicht; so ergeben Bild und Ton nicht immer zwangsläufig eine stimmige Einheit, sondern behaupten mitunter Gegenteiliges. Die Kamera schöpft Suspense aus der Statik, sie verharrt nicht selten an einer Stelle, oftmals sogar aus weiter Distanz, um ein Gefühl der Machtlosigkeit zu erzeugen, wenn sich das Unvermeidliche zuträgt. Gerade weil man stets ahnt, was als nächstes geschieht, beobachtet man jeden Zug in einem gefesselten Zustand. „The Eyes Of My Mother“ kehrt die Passivität des Mediums Film heraus und instrumentalisiert sie geschickt zur Spannungserzeugung.

Seinen im Schlussakt konventionellen Ablauf kann man ihm daher auch kaum zum Vorwurf machen. Eher schon seine sperrige Art, die aus der Abstinenz von zwischenmenschlicher Wärme resultiert (hier verstört vor allem die abweisende Art des Vaters sowie die fehlgeschlagene Annäherung zwischen der Hauptfigur und einer japanischen Studentin); allerdings sorgt Pesce gerade mit ihr dafür, dass niemand seinen Film verlässt, ohne ihm in Gedanken noch nachzuhängen.

*weitere Informationen: siehe Profil

Details
Ähnliche Filme

Лучший частный хостинг