„Neon Vice"
Wenn man Michael Manns Erstlingswerk etikettieren will, fallen einem schnell adäquate Begriffe wie Großstadtthriller oder Neo Noir ein. Letztendlich tut man damit aber weder sich als Rezensent, noch Mann als Künstler einen Gefallen. Zwar ist es zweifellos richtig, dass sich Mann bestimmter Elemente und Stilmittel der genannten Filmgattungen bedient, diese letztlich aber völlig neu zusammensetzt bzw. durch den Filter seiner ganz ureigenen filmischen Vorstellungen jagt. „Thief" (1981) ist damit weniger ein Paradebeispiel für die moderne Ausprägung des Film Noir, sondern vielmehr der Prototyp des Michael Mann Films.
Vielleicht wäre die Bezeichnung „Rohdiamant" noch treffender, denn viele klassische Erkennungsmerkmale des Mann-Stils wurden in den darauf folgenden Filmen wie „Manhunter" (1986), „Heat" (1995), „Collateral" (2004) und „Miami Vice (2006) sukzessive verfeinert und perfektioniert. Und damit sind keinesfalls ausschließlich audiovisuelle Ausprägungen wie durch Neonlichter und eine bläulich dominierte Farbpalette geschaffene Stadttopographien sowie deren Unterstützung durch akribisch ausgewählte Pop-/Rock-Klänge gemeint.
Auch die Symbiose zwischen erzählerischer und optischer Dramaturgie sowie die charakterliche Sezierung des in seinem eigenem Universum gleichermaßen gefangenen wie autarken Einzelgänger-Antihelden sind in „Thief" noch nicht vollends ausgereift. Andererseits macht diese „Unfertigkeit" Manns ersten Kinofilm auch so spannend, wird man doch unmittelbarer Zeuge der Stilfindung eines der interessantesten Autorenfilmers der Gegenwart.
Schon der Auftakt macht deutlich, dass Michael Mann mehr vorhatte, als einfach nur einen weiteren Heist-Thriller abzudrehen. Zu den sphärischen Klängen der deutschen Elektro- Avantgardisten Tangerine Dream fährt ein Wagen durch eine nächtlicher Großstadt. In den regennassen Straßen spiegeln sich die Neonlichter und Leuchtreklamen. Die nächste Einstellung zeigt einen verlassenen Hinterhof zwischen zwei Hochhäusern in krassem Gegenlicht, vor dem sich starker Regen und zahlreiche Feuerleitern kontrastreich abheben. Als der Fahrer sein Einbruchswerk mit Schweißbrenner und kühler Präzision beginnt, wummert die Musik im Einklang mit den sprühenden Funken.
Am nächsten Morgen totale Stille. Einbrecher Frank (James Caan) schlendert am einsamen Ufer entlang, die Skyline Chicagos im Hintergrund. Gemeinsam mit einem befreundeten Fischer blickt Frank auf das spiegelglatte Wasser. Nun dominiert die Farbe blau, die auch in späteren Mann-Filmen (v.a. „Heat" und „Miami Vice") immer für Besinnung und Ruhe steht.
Gute 10 Minuten dauert dieser Anfang von „Thief" bei dem kaum ein Wort gesprochen wird. Dennoch hat Mann bereits sämtliche zentralen Themen mit dazugehörigem Präsentationswerkzeug in Stellung gebracht. Die Kälte und Anonymität der Großstadt. Der einsame Professional. Der scharfe Kontrast zwischen fiebriger Aktivität und sphärischer Stille. Eine der jeweiligen Stimmung angepasste Farbgebung und Musikuntermalung. Sowie optische Einstellungen und stilisierte Tableaus, die sich beim Betrachter einbrennen und gleichzeitig als dramaturgische Taktgeber fungieren.
Erst danach lernen wir den Protagonisten besser kennen, erfahren von seinem jahrelangen Gefängnisaufenthalt, von der Fassade eines gut laufenden Gebrauchtwagen-Geschäfts und seinem Traum von einer bürgerlichen Existenz. Die dazu auserkorene Kellnerin Jessie (Tuesday Weld) konfrontiert er in einem Diner so offen wie frontal mit den Plänen von Eigenheim, Ehe und Kindern. Doch ein letzter Coup steht noch zwischen der Realisierung, zumal die Beute des anfänglichen Raubs von Gangster Leo (Robert Prosky) gestohlen wurde. Als dieser ihm einen Deal zum vermeintlich beidseitigen Vorteil anbietet, greift Frank zu.
Frank ist damit weit mehr typischer Mann-Antiheld als offenkundige Noir-Reinkarnation. Mit den ambivalenten Protagonisten des „Kinos der Nacht" verbindet ihn das Lakonische, das Nihilistische, die Grauzone. Aber er ist kein desillusionierter Ex-Cop, Ex-Soldat, oder Ex-FBI-Mann. Tief in ihm schlummert keine melancholisch-romantische Sehnsucht, auch wenn er sich das für eine Zeitlang einredet. Er ist auch kein Zyniker, der diese Attitüde wie einen Schutzschild vor sich her trägt, um seine empfindsamen Seiten vor der Außenwelt, aber auch vor sich selbst zu verschleiern. Frank ist in erster Linie ein Voll-Profi, eine Voll-Profi mit ganz eigenem Kodex.
Mann hat später den Typus des professionellen, fokussierten Kriminellen vor allem in „Heat" vervollkommnet. Robert De Niros Neil ist wie Frank kein Verbrecher aus Leidenschaft oder aufgrund widriger Umstände. Er tut einfach das, was er am besten kann. Schnörkellos, humorlos, effizient. So lange er seiner Linie der umsichtigen Planung, der exakten Vorgehensweise, der totalen Kontrolle treu bleibt, läuft alles wie geschmiert. Erst als er sich den Luxus persönlicher Gefühle erlaubt, beginnen die Probleme. Er wird verwundbar, angreifbar, gerät in Bedrängnis. Neil wird das Aufweichen seiner ehernen Berufsprinzipien wider besseren Wissens zum Verhängnis, Frank kann das Ruder gerade noch herum reißen. Ohne persönliche Opfer kommt aber auch er nicht davon. Seine Sehnsuchtsvorstellung vom der bürgerlichen Existenz geht buchstäblich in Flammen auf, Freunde sterben, die berufliche Zukunft scheint ungewiss.
James Caan spielt diesen zielgerichteten Einzelgänger als äußerlich beherrschten, aber innerlich jederzeit zur Explosion bereiten tough guy. Die jahrelange Haft hat Frank sowohl hart wie auch geduldig gemacht. Für seinen Job als Diamantendieb sind das beste Vorraussetzungen. Trotz der sentimentalen Gefühle gegenüber seinem Mentor und Zellenkumpel Okla (Country-Star Willie Nelson) ist Frank ein knallharter Killer. Das Werben um Jessie fällt dementsprechend unromantisch aus. In einem unpersönlichen Diner über dem Highway - Mann wiederholt auch diese zentrale Szene sowohl intentional wie auch dramaturgisch für das Aufeinandertreffen von De Niro und Al Pacino in „Heat" - überfährt er die Kellnerin regelrecht mit seinen spießbürgerlichen Wünschen. Eine im Gefängnis erstellte Collage setzt er gezielt zur Veranschaulichung ein, sie wirkt dabei nicht so sehr wie ein Abbild von Franks Gefühlswelt, sondern weit eher wie eine Art Checkliste des nächsten Lebensziels. Bezeichnenderweise verbrennt er sie am Ende selbst.
Mann erzählt Franks Geschichte in kühlen, stilisierten Bildern. Vieles spielt nachts, wobei Mann hier bereits wirkungsvoll mit den Neon-Kontrasten spielt, die für die TV-Serie „Miami Vice" (1984-89) so prägend werden sollten. Am Tag dominieren Blau- und Grüntöne, warme Farben sucht man vergebens. Kongenial verstärkt durch die elektronischen Klänge Tangerine Dreams entsteht dabei eine kalt-nihilistische Atmosphäre, die sowohl für das anonyme Großstadtleben an sich steht, aber auch Franks Innenleben symbolisiert. Das Erzähltempo ist zügig, aber nicht rasant. Mann lässt sich viel Zeit, Franks Brüche ausführlich, fast dokumentarisch zu beobachten. Hauptfigur, Bildsprache und Dramaturgie bilden damit eine kunstvoll arrangierte Einheit, wie man sie im häufig sehr vordergründig verfahrenden und Effekt heischenden Thriller-Kino nur selten antrifft.
Ähnlich wie der ein Jahr später entstandene „Blade Runner" ist „Thief" seiner Entstehungszeit voraus gewesen bzw. nur schwer als 80er-Jahre-Film zu verorten. Der Erfolg an den Kinokassen war bestenfalls mäßig und seine kultische Verehrung in Fankreisen lies lange auf sich warten. Aufgrund Michael Manns späterer Meisterwerke „Heat", „Collateral", „The Insider" und auch der Kinoversion von „Miami Vice" ist sein erster Großstadtthriller bei der breiten Masse beinahe in Vergessenheit geraten.
Dabei besitzt er bereits alles, was die genannten Filme auszeichnet. Eine einzigartige Bildsprache, die die Stadt zum eigenständigen Charakter erhebt. Ein eigenwilliges, aber faszinierendes Zusammenspiel von Licht, Schatten und Farben. Ein Soundtrack der nicht nur die Optik verstärkt, sondern auch narrative Aufgaben meistert. Und einen in seiner eigenen Welt gleichzeitig gefangenen wie völlig freien Helden, der zwischen der behaglichen Sicherheit eines selbst geschaffenen und perfektionierten Kodex sowie der beunruhigenden Sehnsucht nach „normalen" menschlichen Gefühlen hin und her gerissen ist. Als moderner Film Noir nur unzureichend beschrieben, ist „Thief" vor allem eines: ein Michael Mann Film. Als Qualitätssiegel taugt dieses Etikett ohnehin viel eher.