Die Ausgangssituation von Auftrag Rache erinnert frappierend an den letztjährigen Actionreißer 96 Hours. Ein alternder Vater kramt noch mal all seine in einer langen Dienstzeit erworbenen ermittlerischen und kämpferischen Fähigkeiten hervor, um auf einem kompromisslosen Rachefeldzug die Entführer bzw. Mörder seiner Tochter teuer bezahlen zu lassen. Während Liam Neeson als knallharter Rächer noch eher überraschend besetzt war, fährt Auftrag Rache mit dem einstigen Actionstar Mel Gibson ein Geschütz auf, das erst recht die beschriebenen Erwartungshaltungen nährt. Um die Irreführung perfekt zu machen, lies die Produktionsfirma einen Trailer zusammen schneiden, der vor allem Fans der Death Wish-Reihe Freudentränen in die glänzenden Augen getrieben haben dürfte.
Die glückselig-wässrigen Augen werden bei Sichtung des Films vermutlich schnell trocknen. Auftrag Rache ist alles andere als ein Testosteron geschwängerter Revenge-Kracher für die bierselige Männerrunde, sondern ein sich langsam entwickelnder Politkrimi, dessen wenige Actionanteile klar im Dienst der Handlung stehen und keinerlei vordergründigen Schau- oder Unterhaltungswerten frönen. Es geht um Emotionen wie Trauer, Wut, Verlust, die sich hier aber nicht in permanenten Gewalteruptionen entladen. Vielmehr treiben sie den ergrauten Cop unaufhaltsam voran und geben ihm letztlich die Kraft, die Hintergründe um den gewaltsamen Tod seiner Tochter aufzuklären. Mel Gibson spielt den trauernden Vater zurückhaltender als bei seiner vergleichbaren Rolle in Kopfgeld. Er wirkt besonnen und zielstrebig. Der verwitwete Polizist hat nichts mehr zu verlieren und ermittelt mit geradezu stoischer Ruhe.
Der zweifache Bond-Retter (GoldenEye, Casino Royale) Martin Campbell erzählt diesen klassischen Verschwörungsthrillerplot in ruhigen, stimmungsvollen Bildern und verzichtet gänzlich auf die heute so gerne zu Spannungssteigerung und Suggerieren von Rasanz eingesetzten Stilmittel Wackelkamera und Schnittgewitter.
Vor allem zu Beginn macht Campbell alles richtig. Mit einem sicheren Gespür für subtilen und trotzdem zügigen Spannungsaufbau eröffnet er den Film mit einer nächtlichen See-Szenerie und drei angeschwemmten Leichen. Man wird diesen Ort wenig später bei gleißendem Sonnenlicht und in seiner eigentlichen Bedeutung noch besser kennen lernen. In wenigen unaufdringlichen, aber prägnanten Szenen wird die enge Beziehung zwischen dem verwitweten Bostoner Police Officer Thomas Craven (Mel Gibson) und seiner gerade erwachsenen Tochter Emma (Bojana Navakovic) umrissen. Mitten in dieses Familienidyll kracht völlig unerwartet der Tod mit unglaublicher Wucht und Brutalität. Ein plötzlicher Schuss katapultiert Emma durch die halbe Wohnung und schockt Vater wie Publikum gleichermaßen.
Nach diesem fulminanten Auftakt drosselt Campbell erst einmal deutlich das Tempo. Das funktioniert eine Weile ganz gut, da Craven das schreckliche Geschehen erst verarbeiten muss und nur mit Mühe in die Realität zurück findet. Langsam beginnt er dann Ermittlungen einzuleiten, um der Frage des "Warum?" auf den Grund zu gehen.
Das ist so lange spannend, bis er auf die geheimnisvolle Atomforschungseinrichtung Northmoor und deren zwielichtigen Chef Jack Bennett (Danny Huston) stößt. Das Schlagwort "Verschwörung" springt einen dabei förmlich von der Leinwand herunter an. Ab diesem Zeitpunkt läuft der Film dann auch weitestgehend überraschungsfrei und geradlinig auf sein völlig vorhersehbares Ende zu.
Lediglich der dubiose Regierungsberater Jedburgh (Ray Winstone) sorgt in seinen wenigen Auftritten für Verwirrung und verbreitet zumindest ansatzweise so etwas wie eine klassische Polit-Thriller-Atmosphäre. Er ist der mit Abstand interessanteste Charakter des Films, insbesondere da er aus der ansonsten arg schablonenhaften Schwarz-Weiß-Zeichnung der übrigen Charaktere ausschert. Winston spielt Jedburgh als sinister-zynischen Feingeist, der die kriminellen Seilschaften zwischen Wirtschaft und Politik zugleich unterstützt, durchschaut und letztlich verabscheut. Diese Ambivalenz und Vielschichtigkeit sucht man im Rest des Scripts leider vergeblich. So gehören seine Gespräche mit Thomas Craven - bei denen er neben seinen zweideutigen und sarkastischen Bemerkungen ganz nebenbei bei einem Gläschen Rotwein auch Diogenes und Scott Fitzgerald zitiert - klar zu den Höhepunkten einer ansonsten etwas träge erzählten Handlung.
Ein zentrales Problem des Films ist sicherlich, dass Campbell seine eigene TV-Miniserie aus den 1980er Jahren auf Spielfilmformat zusammenstutzen musste. Manches wirkt daher oberflächlich, bruchstückhaft oder nur angerissen. Gibsons Figur ist das eindeutige Zentrum des Films, was klar zu Lasten der übrigen Charaktere geht, die häufig lediglich als Stichwortgeber fungieren. Das Gleiche gilt für die damit verbundenen Subplots. So wirkt Auftrag Rache trotz des ruhigen Erzähltempos stellenweise etwas gehetzt und fahrig. Auch die anfangs geschickt aufgebaute Spannung verpufft mit zunehmender Dauer aufgrund der bereits monierten Vorhersehbarkeit und mangels erwähnenswerter Plottwists.
Was bleibt ist ein altmodisch anmutender Politthriller, der einer (zu) häufig gesehenen Figuren- und Plotkonstellation kaum neue Facetten abringen kann. Von Regie-Routinier Martin Campbell zwar kompetent inszeniert und stimmungsvoll fotografiert, fehlt es letztlich an einer wirklich packenden Geschichte. Wer eine Rache-Actionorgie der Marke 96 Hours erwartet wird ebenfalls wenig Freude haben. Der deutsche Verleihtitel und der reißerische Trailer haben hier ordentlich Blendgranaten verschossen. Der Originaltitel The Edge of Darkness trifft den Kern des Films erheblich besser. Im Focus stehen Verlust, Trauer, aber auch dunkle Machenschaften dubioser US-Privatunternehmen mit Regierungsbeziehungen. Charles Bronsons Rotseher wäre hier eher fehl am Platz.
So bleibt als wesentliche Attraktion das Schauspielcomeback des einstigen Superstars Mel Gibson. Die achtjährige Leinwandabstinenz scheint ihm offenbar nicht geschadet zu haben. Trotz der ein oder anderen Falte mehr, verkörpert er jederzeit überzeugend den kompromisslosen und zu allem entschlossenen Rächer. Nach wie vor ist er absolut in der Lage einen Film alleine zu tragen und auch bei offenkundigen Drehbuchschwächen noch sehenswert zu gestalten. Gut, er hat eine gehörige Portion Agilität und Körperlichkeit eingebüßt, aber wenn es darum geht auf unkonventionelle Weise zu töten, ist er nach wie vor in seinem Element. Und da blitzt es am Ende dann doch noch auf, das lange vermisste Überraschungsmoment. Zumindest wenn es um "Lethal Weapons" geht.