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Review

“Gold-Formel”

Gert Fröbe ist zweifellos einer der bekanntesten und besten deutschen Bühnen- und Filmschauspieler. Trotz einer enormen Rollenvielfalt wird der Charakterdarsteller allerdings bis heute - auch in seinem Heimaltland - vor allem mit einer Rolle identifiziert: der des größenwahninnigen Superverbrechers „Auric Goldfinger“.
Fröbe hatte das Pech/Glück (das kann man sehen wie man will), die Schurkenrolle im wenn nicht erfolgreichsten (bis heute Feuerball von 1965), so doch im eindeutig berühmtesten Bondfilm der langlebigen Franchise zu spielen. Der 1964 entstandene Goldfinger löste eine weltweite „Bondomanie“ aus und machte den britischen Gentlemanspion zu einem der angesagtesten Exportartikel der Insel, auf Augenhöhe mit den Beatles, der Queen und dem 5-Uhr-Tee.
Neben dem besten Bondgegner wartet Goldfinger u.a. mit dem besten Titelsong (Shirley Basseys Hit „Goldfinger“) sowie dem besten „Gadget“ (Bonds silbergrauer Aston Martin DB 5) auf. Ur-Bond Sean Connery lieferte in diesem Film klar seine beste Vorstellung als Superagent, Regisseur Guy Hamilton (er drehte noch drei weitere Bondfilme) sollte seine Leistung ebenfalls nicht mehr toppen können.

Während Dr. No (1962) einem ungeschliffenen Rohdiamanten gleich die grobe Linie vorgab, der exzellente Kalte Krieg-Thriller Liebesgrüße aus Moskau (1963) in erster Linie eine Verbeugung vor der literarischen Herkunft des Doppelnullagenten darstellte, etablierte und zementierte der dritte Bondfilm endgültig die Bondsche Erfolgsformel, die der ständig wachsenden Fangemeinde (lediglich leicht variiert) 17 Folgefilme in über 40 Jahren bescheren sollte.
Im Gegensatz zu den eher harten und ernsthaften Vorgängerfilmen, hält hier erstmals ein ironisch-flapsiger Unterton Einzug, der zum Markenzeichen der Reihe werden sollte und vor allem in den Filmen mit Roger Moore auf die Spitze getrieben wurde.
Von dieser Trendwende gibt bereits die mit dem Vorgängerfilm eingeführte Pre-Title-Sequence ein beredtes Zeugnis: Bond nähert sich tauchend einer feindlichen Fabrik, zur Tarnung trägt er eine Seemöwe auf dem Kopf. Nachdem er einen Wachposten ausgeschaltet und eine Sprengladung angebracht hat, entledigt er sich seines Taucheranzugs. Darunter trägt er ein perfekt sitzendes weißes Dinnerjacket. Er steckt sich eine rote Nelke ins Knopfloch und wartet in einer benachbarten Bar seelenruhig auf die Explosion. Danach widmet er sich einer Angestellten im Hinterzimmer. Die Botschaft ist unmissverständlich: Die nächsten 100 Minuten werden ein Riesenspaß. Und bitte das Gezeigte bloß nicht zu ernst nehmen. So hat die Eingangssequenz zwar inhaltlich nichts mit dem Hauptfilm zu tun, gibt aber Ton und Stimmung Goldfingers perfekt vor. Der Zuschauer kann sich auf ein selbstironisches, farbenfrohes Agentenabenteuer einstellen, bei dem es vornehmlich um erstklassige Unterhaltung und weniger um nervenzerfetzenden Thrill geht.
So lässt Connery als Bond dann auch eine ganze Batterie flapsiger Bemerkungen und One Liner vom Stapel und etabliert damit den versnobten Sprücheklopfer, den der erwähnte Moore perfektionieren sollte. Bonds „Hauptgespielin“ heißt Pussy Galore (Honor Blackman) und läutet eine lange Reihe doppeldeutiger Frauennamen ein.
Goldfinger verabschiedete sich endgültig vom realistischen Agentenmilieu und entführte den Zuschauer in die Phantasiewelt größenwahnsinniger Superschurken, williger Schönheiten, exotischer Schauplätze und Science Fiction-angehauchter Geheimwaffen. Der Titelheld führt ein Jet Set-Leben zwischen mondänen Hotels, Kaviar, Champagner und sündteuren Sportwagen. Der meist globalen Bedrohung durch die erwähnten Mega-Verbrecher begegnet er mit lässiger Eleganz und gewitztem Charme. Die Errettung der Welt wirkt dabei eher wie ein Spiel, denn ein Kraftakt, gleicht mehr einem sportlicher Wettstreit, als einem Existenz bedrohenden Überlebenskampf.

Obgleich Bond nach allen Regeln der Kunst nach dem Leben getrachtet wird und er häufig in Gefangenschaft gerät, bekommt man nie wirklich Angst um ihn. Das Vergnügen liegt nicht darin ob er es schafft, sondern vielmehr darin wie er es schafft, den diversen Zwickmühlen und Gefahrensituationen zu entkommen. Eine entscheidende Rolle spielen dabei die von der Abteilung Q ausgeklügelten Geheimwaffen. Kam in Liebesgrüße aus Moskau noch ein relativ realistisch anmutender Aktenkoffer mit Spezilausrüstung zum Einsatz, so ist Goldfinger auch beim Thema „Gadgets“ Trendsetter und Prototyp für die Entwicklung der Geheimwaffen hin zu High tech Spielzeugen.
Spätestens mit dem dritten Film erfüllen die Gadgets neben der Ausrüstung Bonds vor allem eine Funktion: Unterhaltung und Faszination des Zuschauers. Was wäre besser dafür geeignet als ein mit diversen phantastischen Extras voll gestopftes Dienstfahrzeug? Bezeichnenderweise - und hier wird die Abkehr vom realitätsbezogenen Agententhriller überdeutlich - handelt es sich dabei nicht etwa um ein unauffälliges Alltagsgefährt, sondern um einen elegant-schnittigen Sportwagen der englischen Nobelmarke Aston Martin. Der handgefertigte DB 5 war 1964 das neueste Modell der Traditionsfirma und ist auch heute noch ein absoluter Blickfang.
Berühmt geworden ist der Wagen aber vor allem durch sein „Innenleben“. Drehbares Nummernschild für diverse Länder, Maschinegewehre hinter den Frontscheinwerfern, in der Radnabe versteckte Reifenaufschlitzer, kugelsichere Scheiben sowie eine auf Knopfdruck ausfahrbare, kugelsichere Rückwand gegen schweren Beschuss. Für unliebsame Verfolger verfügt das extravagante Dienstfahrzeug zudem über Rauchentwickler, Ölsprüher und Wasserwerfer, vorausfahrende Autos lassen sich mit Hilfe eines Minisenders am im Armaturenbrett eingebauten Monitor bequem und zielgenau beschatten. Das absolute Highlight aber versetzt selbst den von Qs Ausführungen betont gelangweilten Bond in Erstaunen: der Aston Martin verfügt über einen Schleudersitz für unliebsame Beifahrer. „Schleudersitz?“, fragt Bond ungläubig. „Das ist doch wohl ein Scherz.“ „Ich scherze nie, wenn es sich um meine Arbeit handelt, 007“, entgegnet Q erbost ob des mangelnden Vertrauens in seine technischen Fähigkeiten.
Die ganze Szene besitzt nicht nur aufgrund der oben beschriebenen Extras enormen Unterhaltungswert, sondern vor allem aufgrund des Verbalduells zwischen 007 und seinem „Ausrüster“. So ist Goldfinger auch die Geburtsstunde der ewigen Frotzeleien zwischen Bond und Q. Der Geheimagent hat dabei stets das letzte Wort und treibt den humorlosen Waffenmeister mit betont zur Schau getragenem Desinteresse und flapsig-ironischen Bemerkungen wiederholt zur Weisglut.

Auch was die Handlanger von Bonds Gegenspielern betrifft, stellt Goldfinger einen Wendepunkt dar. Waren es in Dr. No noch eher farblose, gedungene Mörder und einfallslose Chargen aus der zweiten Reihe, bekam es Bond in Liebesgrüße aus Moskau bereits mit dem überaus cleveren und brutalen Auftragskiller Donovan Grant zu tun. Alle aber waren realistische, annähernd lebensechte Charaktere.
Auftritt Oddjob (Harold Sakata). Goldfingers stummer koreanischer Chauffeur und Leibwächter fällt in einen andere, neue Kategorie. Er tötet mit einer Melone, in deren Hutkrempe ein Stahlring eingebaut ist. Er zerquetscht Golfbälle mit der bloßen Hand und wehrt auf ihn geworfenen Goldbarren mit der blanken Brust ab. Oddjob eröffnet die lange Reihe schillernd-bizarrer Killer, die Bond im Auftrag ihrer jeweiligen Herrn das Leben schwer machen bzw. auf besonders phantasievolle Weise beenden sollen. Man denke nur an das schwule Killerpärchen Mr. Wint und Mr. Kid in Diamantenfieber (1971), dem mit einem Kneifzangenarm ausgestatteten Krokodilliebhaber Tee Hee in Leben und sterben lassen (1973), den Erdnuss liebenden Gourmetkoch und Killerliliputaner Schnick Schnack in Der Mann mit dem goldenen Colt (1974) und schließlich an Beißer in Der Spion, der mich liebte (1977) und Moonraker (1979). Im gleichen Maße wie diese bizarren Handlanger an Bedrohlichkeit abnahmen, legten sie an Komik und Spleenigkeit zu, bis sie schließlich zu reinen Comicfiguren verkommen sollten (v.a. Beißer „Jaws“).

Das größte Pfund - im wahrsten Sinne des Wortes - des dritten Bondfilms ist aber Titelschurke Auric Goldfinger und mit ihm sein Darsteller Gert Fröbe. Anders als Dr. No ist Goldfinger nicht einfach nur ein hochintelligenter, größenwahnsinniger Verbrecher, sondern zudem eine schillernde, letztlich höchst unterhaltsame Persönlichkeit.
Auch hier setzte Goldfinger den Trend für die Folgefilme. Ob Blofeld, Kananga, Scaramanga, Carl Stromberg, Hugo Drax, Max Zorin oder Elliot Carver. Die Liste der weltmännischen, charmanten, aber nichts desto trotz zum Wahnsinn neigenden Superschurken ist endlos. Goldfinger ist der erste dieser illustren Riege und gleichzeitig auch der beste. Seine zahlreichen Begegnungen und Scharmützel mit 007 haben Kultcharakter und sind innerhalb der Filmreihe unerreicht.
Ihre erste Begegnung findet in Miami Beach statt, als Bond nebenbei ein betrügerisches Kartenspiel Goldfingers unsanft beendet, woraufhin dieser seine verräterische Freundin mit Gold überziehen lässt. Absolut tödlich und absolut einfallsreich. Beim Golfspiel in England zieht Goldfinger erneut den Kürzeren, obwohl er sich auch hier die Freiheit nimmt, das Spiel zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Den Höhepunkt schließlich bildet ihre Begegnung in Goldfingers Schweizer Tarnfabrik zur Goldschmelze. Der gefangene Bond liegt auf einem Tisch aus massiven Gold. Die Beine gespreizt, wartet er darauf, dass sich ein Laserstrahl langsam aber sicher bis zu seiner Körpermitte vorfrisst. Legendär der folgende Dialog: „Do you expect me to talk?“ „No, Mr. Bond. I expect you to die.“
Fröbe nimmt seine Rolle ernst und verleiht dem eigentlich völlig überzeichneten Charakter damit realistisch-menschliche Züge. Er umgibt ihn mit einer Aura aus Jovialität und Bedrohung, die keiner seiner Schurken-Nachfolger annähernd so überzeugend hinbekommen sollte. Sein Zusammenspiel mit Connery ist perfekt. Die Chemie stimmt.

Mit Goldfingers Allmachtsphantasien beginnt auch die Hinwendung der Bondfilme zu phantastischen Plots, die zwar nie in Science Fiction abdriften - mit Ausnahme des etwas über das Ziel hinaus schießenden Moonraker - , aber doch dem technisch Möglichen und Machbaren immer einen Schritt voraus sind. Goldfingers Plan der radioaktiven Verstrahlung des Goldbestands der USA mittels einer „Mini-Atombombe“ bildet den Auftakt einer Vielzahl von aberwitzigen Plänen zur Eroberung der Weltherrschaft. Gestohlene Atombomben, Raumpendler, U-Boote und Raketen zur Erpressung und Kriegsprovokation der beiden Supermächte gehören ebenso dazu, wie die Überflutung Silicon Valleys oder der Aufbau eines weltweiten Medienmonopols aus eher wirtschaftlich motivierten Wahnvorstellungen.

Neben der oben ausführlich beschriebenen Etablierung der berühmten Bondformel verfügt Goldfinger aber noch über eine Reihe weiterer Stärken, die ihm letztendlich den Status als Klassiker unter den Bondfilmen verschafften.
Nach seiner berufsbedingten Abwesenheit bei Liebesgrüße aus Moskau (er arbeitete für Stanley Kubrick an Dr. Seltsam, oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben) kehrte Setdesign Mastermind Ken Adam zurück und entwarf nicht nur den waffenstrotzenden Aston Martin, sondern mit dem Golddepot von Fort Knox auch eine seiner eindrucksvollsten Bondkulissen. Der fünffache Oscarpreisträger John Barry zeichnete nicht nur für Shirley Basseys Titelhit (Platz 8 in USA und D) verantwortlich, sondern komponierte mit der Filmmusik seinen besten und erfolgreichsten Bondscore.
Goldfinger zeichnet sich zusätzlich durch seinen enormen Unterhaltungswert aus. Guy Hamiltons Inszenierung ist straff und mit diversen (Action-)Höhepunkten gewürzt. Zu keinem Zeitpunkt kommt auch nur ein Anflug von Langeweile auf. Sämtliche Darsteller waren offensichtlich mit Spaß bei der Arbeit. Vor allem Connerys Bondinterpretation sollte nie mehr so souverän und charmant lässig sein.

Der heute vom Feuilleton regelmäßig als bester Bondfilm abgefeierte Goldfinger wurde natürlich 1964 von der seriösen (Film-)Kritik zerrissen. Wie schon beim Vorgänger Liebesgrüße aus Moskau warf man dem Film Gewaltverherrlichung, Sexismus, Sadismus und Sarkasmus vor. Überflüssig zu erwähnen, dass das Publikum Bond Nr. 3 zu einem globalen Kassenschlager machte, der die ersten beiden Abenteuer binnen kürzester Zeit überflügelte.
Goldfinger löste weltweit eine regelrechte Bondhysterie aus, die man in heutiger Zeit lediglich mit dem Hype um Harry Potter oder Star Wars vergleichen kann. Obgleich der Begriff erst später entstand, wurde der Film von einem umfangeichen Merchandising begleitet, bei dem vor allem der silbergraue Aston Martin DB5 in allen nur erdenklichen Formen auf den Markt geworfen wurde. Ein mit allen Extras ausgestattetes 1:1 Modell wurde sogar auf Welttournee geschickt, um den Film zu promoten. Sean Connery schließlich avancierte mit seinem dritten Bondfilm endgültig zum Superstar und wurde sehr zu seinem Leidwesen überall nur noch mit Mr. Bond angesprochen.

Fazit:
Goldfinger ist der erste Bondfilm, der sämtliche Elemente der bis heute nahezu unveränderten Erfolgsformel zu einer perfekten Einheit formte. (Selbst-)Ironie, Wortwitz, Gadgets, Superverbrecher, Größenwahnsinn, Gigantomanie, Setdesign, Filmmusik und Darstellerleistungen verschmelzen hier zu einem makellosen Genrekunstwerk. Darüber hinaus ist der Film gnadenlos unterhaltsam und hat sich eine zeitlose Frische bewahrt, die seinesgleichen sucht.
Kurz: Der beste Bondfilm des besten Bonddarstellers mit dem besten Gegenspieler und damit schlicht und ergreifend der beste Bondfilm aller Zeiten. Dafür würde man gerne auch 11 Punkte vergeben.

(10/ 10 Punkten)

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