Wes Anderson ist der Meister der Leere - und bleibt es. Seine Filme kräuseln sich zu Gewinden, die auf ein riesengroßes Nichts hinauslaufen. In der Struktur der Gewinde lassen sich menschliche Texturen erkennen; Ehrlichkeit, Änderungswillen, Geschwisterliebe, das sind jene Fäden, die dem Road Trip auf dem Rücken des "Darjeeling Limited" seine schillernd-türkisgelbe Textur verleihen. Kunst um der Kunst willen sind Andersons Filme dabei zwar, ohne deswegen aber wirklich gekünstelt zu wirken. Darin besteht auch die Meisterschaft des Regisseurs - etwas, das durch und durch gestelzt wirken sollte, natürlich wirken zu lassen.
Im Gegensatz zu "Die Tiefseetaucher" lenkt diesmal nichts von der Figurengruppe ab, die im Zentrum steht. In diesem Fall ein Bruderdreieck, das im Zug eine Lebenserfahrung machen möchte. Es gibt keine bunte Welt, die Owen Wilson, Adrien Brody und Jason Schwartzman die Show stehlen würde. Indien färbt die Brüder zwar mit seinen grellen Farben und würzigen Gerüchen, hebt sich aber nicht als eigenständiger Protagonist ab, sondern legt sich als Schicht, beinahe als Überguss nieder auf die Geschwister. Es kandiert sie. Und jenseits der Schicht wird man sie so gut wie gar nicht kennen lernen. Das Außergewöhnliche wird zum Normalzustand. Deswegen wirkt es so stark nach, als Wilson seinen Verband ablegt und damit sein von Wunden gezeichnetes Normalaussehen entpuppt.
Aus dem gleichen Grund erlangt auch der Prolog mit Natalie Portman seine Wirkung. Als dem eigentlichen Hauptfilm nicht zugehöriger Kurzfilm erinnert “Hotel Chevalier” an die Nouvelle Vague, beinahe als feierten Jean-Paul Belmondo und Jean Seberg in einem französischen Hotelzimmer ein Revival. Schwartzman pariert Portmans gesäuselte Worte mit absonderlichen Erwiderungen, immer der Vorhersehbarkeit zuwiderlaufend. Alte Schule.
So macht Anderson mit der Bonusepisode nicht etwa das Verhalten einer Figur anschaulicher, wie man es von einem Prolog erwarten würde, sondern setzt ihn lediglich als Kontrast ein, als zeige man dem Fisch die Luft, um das Wasser als seine elementare Lebensform abzugrenzen. Das entspricht der Arbeitsweise des Regisseurs, sich sämtlichen Klischees und Biedernheiten zu entziehen. Weshalb sich die Brüder wie verhalten, ist eine Spirale ohne Endausscheidung, selbst wenn die Mutter später aufzeigt, woher Wilsons Figur seine unangenehme Eigenschaft hat, Anwesende in eigene Angelegenheiten reinzuziehen, ohne zu fragen. Letztlich bewegt sich Anderson mit seinen Welten in parallelen Universen, sich abgrenzend von der internen Logik gängiger Hollywood-Ware. Seine Fische nennen die Luft ihr natürliches Lebenselement.
Gerade das macht es so schwierig, einen Wes Anderson zu rezipieren. Die Indienreise ist unvorhersehbar, sperrig, schräg - soweit allgemein ein klassischer Anderson. Sie ist ferner indisch, ortswechselnd, dreifaltig, kulturell aufgeladen, türkis-gelb-rot - soweit spezifisch “Darjeeling Limited”. An der Summe unter dem Strich ändert das nichts. Trotz der Farbenpracht im Wechselspiel aus elegischem Dahintreiben und plötzlichen Drehmomenten kann auch "The Darjeeling Limited" nicht vollends für sich einnehmen; mein Herz wird nicht berührt und obwohl die filmische Irritation ihre Wirkung nicht verfehlt, mein Verstand möchte sich nur bedingt mit etwas auseinandersetzen, das ähnlich leer ins Nichts ausläuft wie der Satz "Sie sind Brüder, weil sie Brüder sind".