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Review

Der Name Gaspar Noé steht nicht gerade für leichte Filmkunst, was besonders Leute mit einem zarten Gemüt wohl bestätigen können. Auch „Seul contre tous“ ist ein Werk, welches provoziert und einen nicht kalt lässt.


Das Leben eines Metzgers (Philippe Nahon) in Paris wird zur Katastrophe, als er aus falschen Gründen einen Bauarbeiter tötet, von dem er glaubt, er hätte seine Tochter vergewaltigt (dabei war es nur die Regel). So landet er im Knast, verliert seinen Job, seine Metzgerei. Als er entlassen wird, steht er vor dem Nichts. Kein Geld, keine Arbeit, seine behinderte Tochter im Heim. Um diese musste er sich kümmern, nachdem seine Frau mit einem Ausländer das Weite gesucht hat. Diese war aber nur eine Bettgeschichte. Aushalten konnte sie das nicht, also führte ihr letzter Weg sie zur Metro.
Er lernt eine „Dicke“ kenne, zieht nach Lille, sie verspricht ihm eine neue Metzgerei, nachdem sie auch von ihm schwanger ist. Doch die Metzgerei bekommt er nicht. So steigert sich sein Hass, den er irgendwann an der „Dicken“ und ihrer Mutter entlädt...und auch dem Baby. Zurück in Paris, mit 300 Franc in der Tasche und einer Pistole, will er noch mal anfangen. Doch Paris meint es nicht gut mit ihm. Auch hier regieren Arbeitslosigkeit, die Wirtschaft stagniert. Freunde helfen ihn nicht, die Reichen geben ihm keinen Job. Seine Wut schwillt weiter an, die totale Explosion des Mannes steht kurz bevor, denn drei Kugeln hat er...


„Seul contre tous“ ist einer der negativsten Filme, die mir in meiner Zeit als Filmfan begegnet sind. Der Film besitzt wirklich kaum einen Funken Hoffnung. So ist der Film ein Film, der den Zuschauer runterzieht, ihn nachdenklich zurücklässt und einfach betrübt.
Warum von diesem Film so eine Faszination ausgeht, ist wirklich schwer zu sagen. Die Machart ist relativ einfach, wir begleiten das Leben eines namenlosen Metzgers, der kurz vor der Explosion steht. Deswegen gefällt mir der original französische Titel „Seul contre tous“, was man ungefähr als allein gegen alle übersetzen könnte, um einiges besser als der deutsche Titel „Menschenfeind“. Loben muss man auch einmal eindeutig die Präsenz von Phillipe Nahon. Vielen wahrscheinlich nur als Killer aus „Haute Tension“ bekannt (leider, darauf sollte man ihn nicht reduzieren), so kann er doch hier wirklich zeigen, was in ihm steckt.
Nahon ist immer präsent, was daran liegt, wie Gaspar Noé diesen Film aufgebaut hat. Die meisten Dialoge spielen sich im Kopf von Nahon ab, die wir dann als Monologe miterleben. So läuft Nahon durch die Viertel von Paris und redet innerlich mit sich selbst. Schon hier kann man sich fragen, ist er ein Verrückter, wird er verrückt und wer hat das zu verantworten?

Der Hass steigert sich kontinuierlich. Freunde können oder wollen ihm nicht auf die Beine helfen, irgendein Ausländer (was wollen die eigentlich in seinem schönen Frankreich, immerhin ist er der Franzose, stolz, ein Franzose zu sein) nimmt ihm seine Arbeit weg, die Reichen haben mehr als genug (und schwul sind sie eh alle), die Deutschen haben seinen Vater im KZ getötet (sind eh alles Nazis), die Dicke und ihr dummes Balg (er hasst sie und das Kind, warum sollte er es je lieben), seine Frau ist abgehauen, hat ihn mit der Tochter zurückgelassen (wieder diese Ausländer).
Man sieht, der Film bietet eine Masse an Konfliktpotentialen und provoziert, wo er nur kann. Natürlich ist es das, was Noé will, provozieren, wie schon bei seinem Film „Irreversible“. Dennoch gefällt mir „Seul contre tous“ deutlich besser. Der Film bietet mir inhaltlich mehr, ist nicht nur auf seine expliziten Darstellungen beschränkt, denn sind wir mal ehrlich, den Großteil hat es doch eh nur interessiert, wie in „Irreversible“ jemand mit einem Feuerlöscher das Gesicht zertrümmert wird und die knallharte Vergewaltigungsszene mit Monica Bellucci.

Auch das Bild von „Seul contre tous“ spricht Bände. Das Bild wirkt arm, farblos, als würde es Nahons Stimmungslage wiederspiegeln. Die Straßen in diesem Viertel sind leer, es sind kaum Leute zu sehen, ungewöhnlich für eine Stadt wie Paris. Auch hier spiegelt Noé die Angst des Hauptdarstellers wieder und die Angst vieler Menschen: Die Angst vor dem allein sein.
Noé arbeitet hier wenig mit Musik, dafür mit schnellen Zooms auf die Gesichter der Darsteller, gefolgt von einem lauten Knall, der zumindest beim ersten Sehen für ein Zusammenzucken sorgt. Dieses Stilmittel setzt Noé auch ein, wenn es im Kopf von Nahon „Boom“ macht, wenn Nahon sich vorstellt, wenn er alles abknallen könnte. Dies muss gut überlegt sein, denn er hat nur drei Kugeln. Aber für zwei Ausländer und den reichen Schwulen wird es reichen...oder doch nicht?

Hinzu kommen immer wieder eingeblendete Schlagwörter wie „MORAL“. Am bekanntesten ist natürlich die Einblendung nach 70 Minuten, wenn dem Zuschauer genau 30 Sekunden Zeit gegeben wird, diesen Film noch abzuschalten. Dies klingt wie eine Drohung, nach den 30 Sekunden kommt wohl etwas widerliches, etwas krankes, sonst würde es doch so eine Warnung nicht geben?
„Seul contre tous“ ist kein Film für schwache Gemüter, auch wenn der Film nicht Unmengen von diesen Szenen bietet. Wenn es aber so weit ist, wird es schmerzhaft, auch für den Zuschauer. Die Effekte verstärken sich durch die düstere Stimmung, jeder Funken Hoffnung wird gnadenlos zerstört. Wenn Nahon seine Freundin verprügelt, kann man kaum hinsehen, doch er schlägt weiter ein, sein Ziel ist es, das Baby zu töten (der Tod ist besser als bei den zwei Irren zu wohnen).
Explizite Sexszenen gibt es kaum, auch wenn der Film davor doch warnt. Und wenn man es sieht, sind es Szenen aus einem Kinofilm, den sich Nahon anschaut (und er begreift, eigentlich ist er ein Schwanz). So beschränkt sich Noé auf wenige, aber massive Szenen, die den Zuschauer prägen werden, ihn schocken werden, auch wenn der Film zum großen Teil die innerliche Zerstörung eines Menschen beschreibt. Das Leben ist nicht mehr lebenswert, am besten ist es doch, wenn man tot ist...aber die Tochter? Kann er sie alleine lassen? Drei Kugeln sind verdammt wenig...einteilen muss man sie sich. Doch für wen? Die Ausländer? Der Reiche (Schwule)? Oder doch für...


Fazit: „Seul contre tous“ ist für mich ein Meisterwerk, um längen besser als „Irreversible“. Selten hat mich ein Film, der eigentlich nur aus Monologen besteht, so in den Bann gezogen. „Seul contre tous“ beschönigt nichts, vermittelt nichts positives und lässt uns am Ende offen zurück. Dank einer grandiosen Leistung von Phillipe Nahon wird der Zuschauer knapp 90 Minuten in dessen Bann gezogen, in seine Welt, die nicht mehr lebenswert ist, die nur schlecht ist, die keine Zukunft mehr bietet. Ein Film, der zum nachdenken anregt und mit seinen wenigen Szenen den Zuschauer schockiert wie lange nicht mehr. Ein Film, der lange nachwirkt. Ein Film, den man gesehen haben muss.

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