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Film-Biennale George Clooney, Festspiel-King

Italiens Zeitungen machen es wie Frauen aus aller Welt: Sie himmeln Hollywoods schönsten Schauspieler an. Der George-Clooney-Jubel lässt vorübergehend die Angst vor Terroranschlägen auf dem Lido vergessen. Clooneys neuer Film ist übrigens auch ziemlich gut.
Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig?

Ein bisschen Kriegsspiel muss sein, da kann uns der ganze Terror-Irrsinn doch gestohlen bleiben! Höchste Alarmstufe, las man, herrsche diesmal bei den Filmfestspielen am Lido, weil man Angst habe vor dem islamistischen Mörderpack - doch kurz nach halb sechs am Eröffnungsnachmittag, als der Besucher gerade eintrifft, zischt und kracht und raucht es vor dem Festivalpalast.

Als Piraten kostümierte junge Kerle schreien in ein Mikrofon und lassen Feuerwerksraketen in den wolkenlosen Himmel steigen - und genau die paar Dutzend schwerbewaffneten Polizisten, die Terrorangriffe auf die Filmfestspiele verhindern sollen, finden den Krawall zum Piepen. Grinsend sehen die Carabinieri den juvenil zerlumpten Globalierungskritikern bei ihrer Demonstration zu. Die protestierende Jugend hat auf dem Lido von Venedig ein Camp errichtet. Sie nennt es "Pirateninsel".

Das Festival als Fort

Vor dem Palast aber ist, als die Raketen abgefeuert sind, dann doch Schluss mit dem Piratenspuk. Denn hier steht der Sicherheitszaun aus Stellwänden und Metalldetektor-Schleusen. Das Festspielgelände ist in diesem Jahr in ein Fort verwandelt, über dessen Zugangstoren man goldene Löwen gepappt hat: das Weltkino im Belagerungszustand?

Alles halb so schlimm, denkt man sich angesichts der Hunderten von großteils sehr jungen und mehrheitlich italienischen Menschen, die sich wie immer auf den Stufen vor dem ehemaligen Casino niedergelassen haben und in den Buden und Cafes rund um das Fort essen und trinken und feiern. Die Musik aber ist nicht halb so laut aufgedreht wie in früheren Jahren, überall patroullieren Uniformierte, Kriegsschiffe dümpeln draußen im Meer, angeblich haben auch ein paar Taucher das kleine Hafenbecken vor dem Hotel Excelsior sorgfältig abgecheckt. Zwar bemühen sich alle um italienische Lässigkeit - und doch ist die Terrorangst, die sich Italien mit seiner Beteiligung am Irak-Krieg eingehandelt hat, überall auf dem Lido gegenwärtig.

Ein bisschen Kriegsspiel muß sein - nach diesem Motto hat der vom Asienkino begeisterte, aber eher begrenzt geschmackssichere Festivalchef Marco Mueller den Hongkong-Regisseur Tsui Hark mit seinem neuen Werk "Seven Swords" für die Eröffnungsgala der Festspiele geladen. Klar haben die vielen abgesäbelten Köpfe im Film teilweise Empörung ausgelöst, Tsui Harks prachtvolles Menschen-Schaschlick mutet derzeit doch irgendwie merkwürdig an. Aber was soll's: Der Eröffnungsfilm nimmt am Wettbewerb traditionell ja eh' nicht teil.

Dafür ist George Clooneys neuer Film "Goodnight and Good Luck" im Kampf um den Goldenen Löwen am Start. Es ist seine zweite Arbeit als Kinoregisseur nach "Confessions of a Dangerous Mind" aus dem Jahr 2002.

Clooney hat es geschafft, schon jetzt als der strahlende King dieser Festspiele gefeiert zu werden. Nicht nur, weil er mit seinem breiten Lächeln alles in Grund und Boden charmiert, sondern auch, weil sein Film tatsächlich was hermacht: Es ist eine ergreifende, nur streckenweise etwas heftig pathetische Kampfansage gegen die Herrschaft der Stumpfsinnigen und Bornierten - und gegen die Feinde der Meinungsfreiheit in den USA.

Beau und Ideologiekritiker

"Goodnight and Good Luck" erzählt von der Zeit der Kommunistenhatz im Amerika der fünfziger Jahre, von der sogenannten McCarthy-Ära. David Strathairn spielt den Fernsehjournalisten Edward Murrow, der eine wöchentliche Politik-und-Showbusiness-Sendung für den TV-Sender CBS moderiert. Nach einigem Zögern und vielen Einschüchterungsversuchen tritt er dem Mann, der das Klima des gesamten Landes vergiftet, mannhaft entgegen: eben McCarthy. Der republikanische Senator lässt die halbe künstlerische und intellektuelle Elite des Landes vor einen Senatsausschuss zerren und klagt sie wegen unpatriotischer Umtriebe an.

"Goodnight and Good Luck" ist die Floskel, mit der sich Murrow nach jeder seiner Sendungen von seinen Hörern verabschiedet - und genauso altmodisch und gentlemanlike wie diese Floskel ist der ganze Film. In bestechend ausgeleuchteten, zwischendurch mit lässigen Jazzklassikern untermalten Schwarzweißbildern zeigt Clooney den Heldenmut einer kleinen Schar von Unbeugsamen, ihre Zweifel und ihr Zaudern, ihre Attacke und ihren Triumph.

Natürlich ist dieser Historienfilm nicht bloß ein Historienfilm, sondern auch ein Pamphlet: gegen George W. Bush, gegen die systematische Volksverdummung von heutigen US-Sendern wie Fox, gegen die Verlogenheit der amerikanischen Medien insgesamt (nur die in der Vorbereitungsphase des Irak-Kriegs bekanntermaßen schlimm verlogene "New York Times" kommt gut weg). Erstaunlicherweise aber steht das Engagement der Kunst nicht im Weg. Und deshalb wurde Clooneys Film, in dem der Regisseur übrigens auch in einer Nebenrolle zu sehen ist, nach der leicht chaotischen Vorstellung im Großen Festivalsaal zu Recht bejubelt und gefeiert.

Irgendwas gibt's aber fast immer zu lästern, in diesem Fall könnte man beanstanden, dass der Film vielleicht doch manchmal das Schicksal seines Schöpfers teilt: Er sieht einfach zu gut aus.

Polizeiarbeit, kein Witz

Ganz anders verhält es sich mit dem französischen Film "Le Petit Lieutenant" von Xavier Beauvais, der in Venedig leider nur in der Autorenfilm-Reihe läuft: Hier geht es darum, bloß nichts zu beschönigen. Polizeiarbeit zeigt Beauvais krass naturalistisch, das heißt: Während heute in jedem modischen Fernsehkrimi aufgedrehte Gerichtsmediziner am Seziertisch stehen und lustig in menschlichen Eingeweiden wühlen, sieht man - und vor allem: hört man - hier, wie grässlich die Alltagsarbeit der Ermittler ist. Es ist kein Spaß, Brustbeinknochen zu knacken.

"Le Petit Lieutenant" ist ein Polizeifilm. Nathalie Baye spielt eine Kommissarin, die durch eine tückische Krankheit ihren siebenjährigen Sohn verloren hat, das Saufen anfing und nur mühsam aus dem Alkoholismus ins Leben zurückgekehrt ist. In dem jungen Polizeihochschul-Absolventen Antoine, der ihr Assistent wird, glaubt sie ihren Sohn wiederzuerkennen. Und weil der Junge, gespielt von dem in Frankreich bereits ausgiebig angehimmelten Jalil Lespert, ein Draufgängertyp ist, geht die Sache schlimm schief.

Es ist ja gerade das Tolle an Festivals wie dem in Venedig, dass man hier Filme zu sehen kriegt, die womöglich nie ins deutsche Kino finden. Da mag "Le Petit Lieutenant" noch so hinreißend sein, vermutlich wird eine DVD und (bestenfalls) ein passabler Sendeplatz im deutschen Fernsehen herausspringen. Und wie wird es dem Wettbewerbsfilm "Brokeback Mountain" von Ang Lee ergehen? Reden wir nicht lang herum: Ang Lee erzählt mehr als zwei Stunden lang die Geschichte zweier schwuler Cowboys - ob so eine Geschichte zum Popcornkino taugt?

Schwulsein in Marlboro-Land

Egal, auch das hier ist ein großer, mutiger Wurf zu bejubeln: Der aus Taiwan stammende, in den USA für Streifen wie "Der Eissturm" gefeierte Regisseur Ang Lee präsentiert einen Film über die hässliche Intoleranz der US-amerikanischen Gesellschaft. Der Mädchenschwarm Jake Gyllenhaal und der gleichfalls gut aussehende Heath Ledger spielen zwei sattelfeste amerikanische Landjungs, die 1964 in den Bergen Wyomings einen Sommer lang auf Pferden reiten und Schafe hüten sollen.

Beide sind maulfaul, ein bisschen verklemmt und erstmal nicht im mindesten aneinander interessiert. Als sie dann aber in der Marlboro-Country-mäßigen Landschaft allein miteinander sind, treiben sie's eher beiläufig im Zelt miteinander - und es gehört zu den komischen und zugleich rührendsten Szenen des Films, wie sich die Jungs am nächsten Morgen gegenseitig versichern, ganz bestimmt nicht schwul und strikt heterosexuell zu sein.

"Brokeback Mountain" schildert das Leben der beiden Helden während der nächsten beiden Jahrzehnte. Beide heiraten sie, kriegen Kinder, schließen ihren Kompromiss mit der Konvention. Und beide gehen sie dabei kaputt. Sie leben mitten in der amerikanischen Provinz - und brechen doch immer wieder aus, eben in die Wildnis: offiziell zum Fischen, in Wahrheit zum Vögeln. Was auf Dauer nicht gutgehen kann.

Ang Lee braucht leider sehr lang, um die Verzweiflung seiner Helden plausibel zu machen. Freundlich ausgedrückt: Der Regisseur verzichtet auf jede direkte Anklage der Außenwelt und schildert nur, wie es den Protagonisten ergeht - ihre unbeholfenen Umarmungen, ihre jähen Gewaltausbrüche, ihr Versagen gegenüber der eigenen Familie. Erst am Ende gewinnt der Film die Leidenschaft, die er zuvor eineinhalb Stunden lang behauptet. Man kann Lee den prächtigen Landschaftkitsch und den zarten Schwulenkitsch dieses Films vorwerfen, seine Botschaft aber ist von schöner universaler Gültigkeit: In einer Welt, die vom Terror der Moralapostel vergiftet wird, können die Menschen nicht glücklich werden.

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